stupmed: Der Tag der Entscheidung

Oder: Scheiß der Hund aufs Feuerzeug.

Alle kennen das Problem. Die Frau Mama oder der Herr Papa ist auch Ärztin bzw. Arzt. Beide würden die Sprösslinge enterben und den Kontakt abbrechen, wenn diese dieselbe grundfalsche Berufungsentscheidung träfen. Die jugendlich-pubertäre Rebellion verbietet vielen am Anfang des Studiums zuzugeben, dass sie einfach nur die Ausbildung zu Ende bringen und dann die Ordi bzw. die Ordis und das Primariat volley übernehmen wollen. Der innere Konflikt ist nervenzehrend.

Irgenwann ist der Punkt erreicht, an dem zugegeben wird, dass das Fach eh schon immer interessant war. Mama und Papa sind sowieso die allerbesten, -schönsten und -coolsten. Erstrebenswert ist es, mindestens genausowenig Zeit mit den eigenen Kindern zu verbringen. Und ganz ehrlich, in der Heimatstadt zu bleiben ist jetzt auch nicht sooo schlecht. Die hart ererbte Eigentumswohnung ist immerhin ohnehin da, und die Vermietung zahlt sich in Österreich schon ewig überhaupt nicht mehr aus. Alle Probleme sind gelöst. Durch die rezenten Gehaltsanpassungen im Land der Berge könnte das Lebenswerk der Eltern sogar übertroffen werden. Finanziell. Vielleicht. Hoffentlich.

Leichter haben es andere, deren Lebensweg nicht in vordefinierten Bahnen abläuft. Das Medizinstudium wird begonnen, weil die Juristerei so langweilig ist und weil das Talent als Mathematikerinnen oder Mathematiker für die Betriebswirtschafterei nicht ausreicht. Naturwissenschaften sind bestimmt interessanter, das ganze läuft immerhin sogar im eigenen Körper ab. Die Abstraktionsfähigkeiten um zum Schluss zu kommen, dass Recht und Wirtschaft auch bis zu einem winzigkleinen Grad für das gesellschaftliche Leben relevant sein könnten, haben zukünftige Medizinerinnen und Mediziner schlicht nicht, oder geben sie spätestens nach dem Eingangstest bei der Eingangstür am ersten Unitag ab.

Im Laufe des Studiums wird sich schon irgendetwas finden. Mit intensivem Menschenkontakt wollten sie ihre Karriere eigentlich nie füllen. Dann gehts halt ab in die Wissenschaft, oder so. Dass Wissenschaft, vor allem in der Medizin, absolutester Horror für die meisten, vor allem für echte Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die mit Medizinerinnen und Medizinern “forschen” müssen, ist, wird noch später erkannt werden müssen. Dann wirds halt Radiologie, Labormedizin oder Pathologie. Für Anatomie, Histologie, Pharmakologie oder Ähnliches reicht weder die Intelligenz noch die Lehrkompetenz. Nachwuchs wird dort trotzdem gesucht. Hehe.

Chirurgie fällt völlig flach. Muss wirklich sechs Jahre lang studiert werden, um dann Tischler oder Fleischhacker zu werden? In steriler Kleidung ist es viel zu heiß, viel zu intelligent sind sie auch. Philosophen, Psychologen, Theologen, Geschichteprofessoren, Marcus Franz, Universalgelehrte sind die Unentschlossenen, Internisten müssen sie werden! Schade, dass dann die Innere Medizin durchs ganze Studium viel zu langweilg ist. Zugegeben wird das aber nicht, das wäre ja fast so als würde von der Universität auf eine Fachhochschule gewechselt werden.

Das praktische Jahr beginnt und es wird mit dem interesantesten Tertial gestartet. Schade, dass die 16 Wochen Innere dann komplett lahm sind, obwohl das Team und die Lehre gar nicht so schlecht sind. Aber endlich: Radiologie ist an der Reihe, der letzte Strohhalm: Sterbenslangweilige 8 Wochen. Was jetzt? Im Labor oder in der Pathologie das ganze Leben lang vor einem Bildschirm bzw. vor einem Mikroskop sitzen? Gut, dass noch so viel Zeit bis zur Entscheidung vergehen wird. Noch ganze 16 bis 24 Wochen bleiben. Während dem Chirurgietertial kann genug nachgedacht werden, die geistigen Kapazitäten müssen dort nicht für die Abteilung genutzt werden.

Doch was ist das? Die Stimmung ist viel besser als auf jeder Internen Station. Im OP rennt der Schmäh, das Knüpfen wird von Rocketscience zum automatisierten Bewegungsablauf. Der eigene Humor passt viel besser zu den Chirurginnen und Chirurgen als zum Rest der Medizinzunft. Ein Loch wird gemacht um ein anderes zuzumachen, das neue Loch muss auch zugemacht werden. Kaputtes Gewebe wird entfernt und eventuell mit neuem Gewebe ersetzt. Klingt einfach, ist es auch. Dass das Talent nie für einen Whipple etc. ausreichen wird, ist momentan egal.

Das halbe Team findet einen menschlich in Ordnung, aus Spaß an der Freude werden die ersten wirklichen Überstunden im KPJ erbracht. Eine Mutter-, Vater-, Bruder- oder Schwesterfigur wird gefunden, weil es bis jetzt noch keine oder keinen gibt, die oder der eine erstebenswerte Berufslaufbahn vordefiniert hat. Freundinnen, Freunde und Bekannte machen sich über die überschießende Freude über das Fach aus diesen Gründen lustig.

Die Medizin macht allerdings zum ersten mal nach über fünf Jahren Spaß, zum ersten mal ist es wirklich interessant. Alles ist so, wie es sich Menschen nur in ihren kühnsten Träumen vorstellen können. Sogar die Lightversion der Inneren Medizin an chirurgischen Abteilungen ist spannend, die Abteilungsinternistin bzw. der -internist erklärt geduldiger, detaillierter und verständnisvoller als alle in der bisherigen Karriere getroffenen.

Beim Mittagessen wird es verkündigt, die Entscheidung steht fest. Bereut wird sie, wie alle, einfach später: Chirurgie it is!

Zitate:

“Ich glaube nicht wirklich, dass so viele Österreich verlassen würden, wie in den Umfragen angegeben wird.” – “Ja aber ich könnt mir durchaus sehr gut vorstellen ins Ausland zu gehen, da verdienst ja viel mehr!” – “Du hast schon eine Eigentumswohnung hier, das musst im Lebenseinkommen einmal aufwiegen.” – “Ja ich bleib eh wahrscheinlich da.”
– Ein KPJ-Student will, wie 60% seiner Kolleginnen und Kollegen, ziemlich sicher nach dem Studium ins Ausland. Auch wenn er nach der Fachausbildung zurückkommt, ist er weg. Wen interessieren schon statistisch die Rückkehrerinnen und Rückkehrer? Richtig: Die Österreicherinnen und Österreich nicht

“Ich bild mich jetzt nie mehr in der Medizin weiter, ich werd Chirurg!”
– Ein KPJ-Student macht sich während seiner OP-Aufklärung bei der plastischen Chirurgin beliebt

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