Tipps für Medizinstudenten: EKG systematisch beurteilen

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Ein EKG sollte sehr rasch nach den Beurteilungsempfehlungen analysiert werden. Hier noch weitere Tipps für Medizinstudenten.

Das Elektrokardiogramm (EKG) dient der Erfassung und Beurteilung der elektrischen Aktivitäten des Herzens. Dadurch kann man sehr rasch und effektiv die verschiedensten Anomalitäten und Pathologien erkennen. Ein systematischer und zielgerichteter Zugang bereitet aber zahlreichen Medizinstudenten Schwierigkeiten und Kopfzerbrechen. Dieser Artikel soll nicht näher auf die wissenschaftlichen EKG-Kriterien der einzelnen erfassbaren Pathologien eingehen, sondern eine strukturierte, notfallmedizinisch geprägte Analyse des EKGs vorstellen. Diese beruht auf praktischen Erfahrungen besonders aus dem Rettungsdienst und der Notfallmedizin. Selbstverständlich ist klarzustellen, dass dieses Vorgehen keinesfalls eine Kritik an anderen EKG-Beurteilungsempfehlungen ist, sondern ausschließlich als zusätzlicher Leitfaden dienen soll.

EKG-Beurteilung – Schritt für Schritt

1. Beurteilung der Frequenz

Meistens wird diese vom Gerät vorberechnet, dennoch kann es zu Fehlern kommen. Im EKG gibt es drei Arten von Kästchen – klein (1 mm), mittel (5 mm) und groß (10 mm). Es empfiehlt sich daher folgende Methode: bei 25 mm Papier rechnet man 150/Anzahl an großen Kästchen zwischen zwei R-Zacken, bei 50 mm Papier 300/Anzahl an großen Kästchen. Beispiel: Ergibt die Frequenz <60/min, muss man bei der nachfolgenden Rhythmusbeurteilung (siehe Punkt 4) gezielt nach AV-Blöcken (v.a. Grad 3) suchen.

 

2. ST-Strecken-Veränderungen

Es gibt zahlreiche Gründe für die Veränderung der ST-Strecke, oft lassen sie sich gar nicht richtig zuordnen. Dennoch ist es essenziell, die wichtigste Form von ST-Streckenveränderungen zu erkennen, nämlich akut ischämische (STEMI oder NSTEMI). Somit ist meine Empfehlung, kurz einen Initialblick auf die ST-Strecken zu werfen, um sofort einen etwaigen Herzinfarkt (sofern er sich im EKG zeigt) bzw. mögliche ischämische Zustände zu erkennen.

 

3. Lagetyp

Der Lagetyp kann uns unter anderem Hinweise auf akute oder chronische Belastungszustände des Herzens geben. Beispiel: Ergibt die Frequenz 120/min und zeigt der Lagetyp einen überdrehten Rechtstyp, so muss man ab jetzt eine mögliche Pulmonalembolie im Hinterkopf haben.

 

4. Rhythmus 

Welcher Rhythmus liegt vor? Ist er rhythmisch/arrhythmisch? Beispiel: bei einer vorliegenden Arrhythmie soll man besonders nach Vorhofflimmern suchen.

 

5. P-Welle und PQ-Zeit

Die Form der P-Welle kann uns Hinweise auf die Vorhofaktivität sowie ektope Erregungsherde geben, die PQ-Zeit auf Präexzitationssyndrome bzw. AV-Blöcke.

 

6. QRS-Zacken (Q – R – S)

Die QRS-Zacken liefern uns oft wertvolle Informationen über abgelaufene Infarkte bzw. vorhandene Herzveränderungen.

Beispiele:

  • ein abnorm tiefes Q (>1/3 der folgenden R-Zacke und >30 ms), das sog. Pardée-Q, ist ein Hinweis auf einen abgelaufenen Infarkt
  • Q-Zacken in V1-V3 mit gestörter R-Progression können auf einen abgelaufenen Vorderwandinfarkt hinweisen
  • ein erhöhter Sokolow-Index kann auf eine Rechtsherz- bzw. Linksherzhypertrophie hinweisen

 

7. QRS: Form und Breite

Essenziell zur Diagnostik von Leitungsverzögerungen. Beispiel: Tachycarder Patient mit p-dextroatriale & überdrehtem Rechtstyp zeigt einen inkompletten RSB in V1 & V2 –> akute Pulmonalembolie möglich? Klinik!

 

8. Nochmalige Revision der ST-Strecke inkl. der T-Welle

War meine initiale Interpretation der ST-Strecke korrekt? Die Morphologie der T-Welle kann uns Hinweise auf Elektrolyt- bzw. Repolarisationsstörungen geben.

9. QT-Zeit

Beachte hierbei besonders ein LQT-Syndrom.

Zu berücksichtigen ist, dass ein EKG stets im Zusammenhang mit der Klinik des Patienten beurteilt werden sollte und es allein nicht immer der Diagnose einer vermuteten Pathologie reicht.

Ein paar EKG-Beispiele mit 25 mm/s (Lösung nachfolgend)

EKG interpretieren

Lösung: Sinusrhythmus, HF 95, überdrehter Linkstyp, p-sinistroatriale, kompletter LSB (QRS in I, aVl, V5, V6 >120 ms) mit reziproken tiefen S-Zacken in V1-V3 & den inferioren Ableitungen, deszendierende ST-Senkungen & präterminale T-Negativierungen in den lateralen Ableitungen als Zeichen einer bereits vorliegenden Linksherzschädigung

Lösung: Sinusrhythmus, HF = 65, Steiltyp, akuter STEMI der inferioren Hinterwand (Hebungen > 0,1 mV in II, III, aVF) mit reziproken deszendierenden ST-Senkungen in aVl & V1-V5.

Fotos: Matjaž Wakounig

Lösung: rechtsschenkelblockartig (QRS in V1, V2 >120 ms) deformierte ventrikuläre Tachycardie (dh der re. Ventrikel wird nach dem li. Ventrikel erregt, somit sitzt der ektope Urpsprungsort der VT in der li. Herzkammer), HF = ca 240, überdrehter Linkstyp.

Nota bene: In Frage könnte auch eine 1:1 Überleitung eines Vorhofflatterns bei bereits bekanntem Rechtsschenkelblock kommen (Sägezahnmuster zwischen den R-Zacken). Für einen Ursprung aus der Kammer spricht jedoch, dass die R-Zacke in V6 kürzer als die S-Zacke in derselben Ableitung ist. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, dass es oft nicht ganz leicht ist, ein EKG eindeutig zuzuordnen. In diesem Fall ist es aber für die Therapie unerheblich, ob der Patient ein 1:1 übergeleitetes Vorhofflattern oder eine VT hat – er muss abhängig von der Klinik auf jeden Fall medikamentös oder elektrisch cardiovertiert werden, die Medikamente dafür sind ident.

Bei Unklarheit, ob eine sVT oder VT vorliegt, ist übrigens Ajmalin (ein Klasse-1a-Antiarrhythmikum = Na-Kanal-Blocker) Mittel der Wahl, da es sowohl im Vorhof als auch in der Kammer wirkt.

(Matjaž Wakounig, 4.5.2018))

 

Matjaž Wakounig ist Medizinstudent im vierten Jahr an der MedUni Wien, ehrenamtlicher Sanitäter bei der Johanniter-Unfall-Hilfe und Dauerfamulant auf der Abteilung für Herz-Thorax-Gefäß-Anästhesie im AKH Wien.

 

 

Die Inhalte dieses Artikels beruhen auf Praxiserfahrung des Autors und ist als Ergänzung für junge Mediziner zu betrachten.  Es gelten in erster Linie immer die aktuellen Richtlinien und Guidelines der Fachgesellschaften. 

 

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