Das viel diskutierte Bewertungsboard

Dr.in Ingrid Zechmeister-Koss, MA, Geschäftsführerin des AIHTA, hat eine klare Position zum Bewertungsboard: Sie hält es für einen der größten Erfolge der letzten Gesundheitsreform. In ihren Augen war die Einrichtung einer solchen Institution in Österreich längst überfällig: „Wir haben jetzt eine österreichweite Empfehlung bei bestimmten Anwendungen, wodurch sichergestellt wird, dass alle Patient:innen in ganz Österreich denselben Zugang zu diesen Therapien erhalten. Zudem wird jetzt nur mehr eine umfassende Evidenzanalyse, die alle wichtigen Aspekte abdeckt, durchgeführt. Bevor es das Bewertungsboard gab, hat das jedes Bundesland selbst erstellt.“ Sie betont weiters, dass auch Kliniker:innen aus den jeweiligen Fachgebieten in die Erstellung des HTA-Berichts von Beginn bis zum Ende eingebunden werden sowie in den Sitzungen des Bewertungsboards für fachliche Fragen zur Verfügung stehen. Die Empfehlungen sind evidenzbasiert und werden in einem gemeinsamen Diskurs getroffen. „Das bedeutet, wir haben einen großen Zugewinn an Transparenz durch das Bewertungsboard. Darüber hinaus werden auch Patient:innen systematisch in die Erstellung der HTA-Berichte involviert“, so Zechmeister-Koss.

Und was sagt sie zu der Sorge über eine mögliche Zeitverzögerung durch das Bewertungsboard, bis eine innovative Therapie verfügbar ist? „Bei der Errichtung des Bewertungsboards konnte ich diese Angst durchaus noch nachvollziehen. Doch jetzt sehen wir, dass die Empfehlung des Bewertungs­boards sehr früh, beim aktuellen Produkt wahrscheinlich noch vor der Zulassung, vorliegt. Ich finde, dass man nach der Erfahrung der ersten Bewertungen nun die Befürchtung hinsichtlich Zeitverzögerung loslassen könnte“, meint Zechmeister-Koss. Und sie ruft alle Beteiligten dazu auf, stattdessen die Tätigkeit des Bewertungsboards bestmöglich zu unterstützen, denn: „Es ist aus unserer Sicht eine ethische Notwendigkeit, Entscheidungen über sehr hochpreisige Therapien auf Basis fundierter und umfassender Daten zu treffen.“

Beitrag zu effizientem ­Ressourceneinsatz

Auch Priv.-Doz. Dr. Robert Sauermann, Abteilungsleiter Vertragspartner Medikamente, Dachverband der Sozialversicherungsträger, unterstreicht, dass das Bewertungsboard „eine bestehende Lücke geschlossen hat“. Er hält es für unabdingbar, dass sich nicht nur einzelne Expert:innen, sondern auch das Gesundheitssystem selbst mit dem sinnvollen Einsatz von Innovationen auseinandersetzt: „Das Bewertungsboard war somit ein wichtiger Schritt dahingehend, dass sich auch Ministerium und alle Bundesländer gemeinsam diesem Thema widmen, und zwar einheitlich sowie unter Einbeziehung von Ärzt:innen und Patient:innen.“ Mit dieser Aufgabe gehe auch eine große Verantwortung einher und das Bewertungsboard müsse nun beweisen, dass es dieser auch gerecht wird, so Sauermann. Hinsichtlich der benötigten Zeit für die Bewertung durch das Board sieht er derzeit keine großen Verzögerungen und betont zudem: „Ein bisschen Zeit, um über den Einsatz von innovativen Therapien nachzudenken, ist in meinen Augen gut investiert, wenn es zu einem qualitativ hochwertigen, effizienten Einsatz neuer Medikamente beiträgt.“

Zeithorizont beobachten

Dr. Wolfgang Tüchler, Geschäftsführer von Axxess Healthcare Consulting, sieht das Bewertungsboard ein wenig anders. Er bewertet die Errichtung einer strukturierten Entscheidungsbasis für ganz Österreich zwar grundsätzlich ebenfalls als positiv, sieht aber die zeitliche Dimension des Prozesses noch immer kritisch: „Bei dem ersten Fall, den das Bewertungsboard bearbeitet hat, wurde der Prozess im September gestartet, Ende Jänner kam die Empfehlung des Boards und Ende April der Beschluss der Bundeszielsteuerungskommission. Das sind acht Monate – meiner Ansicht nach müssen wir noch weitere Beispiele abwarten, ehe wir wirklich ausschließen können, dass es durch das Bewertungsboard zu Verzögerungen kommt. Prinzipiell bin ich aber davon überzeugt, dass sich alle Beteiligten darüber einig sind, dass ein rascher Zugang im intramuralen Bereich erhalten bleiben muss.“ Sein zweiter Kritikpunkt am Bewertungsboard: „Es geht dabei um hochkomplexe Therapien, für die es meist nur wenige Expert:innen in Österreich gibt.
Im Bewertungsboard sind zwar Ärzt:innen vertreten, die aber die unterschiedlichsten Therapiegebiete abdecken müssen. Mein Wunsch wäre deshalb, dass klinische Expert:innen, die sich mit dieser einen Indikation täglich beschäftigen, auch in Zukunft je nach Fall stark eingebunden werden und ihre Expertise in die Bewertung einfließt.“

Zusatznutzen in Geschäftsordnung definiert

Dr.in Michaela Wlattnig, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Patient:innen- und Pflegeanwält:innen (ARGE), sieht die Bewertung des Zusatznutzens von Therapien eindeutig in der Geschäftsordnung (GO) der Bewertungsordnung geregelt: „Bereits in § 1 der GO des Bewertungsboards wird festgehalten, dass bei der Durchführung und ­Aufbereitung von HTA ein Vorschlag zur Einstufung des medizinisch-therapeutischen Zusatznutzens zu formulieren ist. In § 10 der GO wird definiert, was darunter zu verstehen ist, nämlich ,die nachweislich positiven Effekte einer Arzneispezialität auf patientenrelevante Endpunkte im Vergleich zu vorhandenen und zweckmäßigen Alternativen‘.“ Vor diesem Hintergrund kann sie die Aufregung um das Bewertungsboard nicht ganz nachvollziehen, denn es sei klar gesetzlich geregelt, dass die Patient:innen nach State of the Art behandelt werden müssen und die Entscheidung der Arzt oder die Ärztin trifft. „Bisher wurden die Fristen eingehalten und das sehr aufwendige Verfahren wird zeitlich sehr gestrafft umgesetzt – in meinen Augen läuft die Arbeit des Bewertungsboards damit derzeit gut“, so Wlattnig.