Medizinprodukte: Starke Branche mit Zukunft

Medizinprodukte-Unternehmen tragen wesentlich dazu bei, die qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung der österreichischen Bevölkerung sicherzustellen und laufend zu verbessern. Sie sind gleich­zeitig auch ein wichtiger Wirtschafts- und ­Arbeitsmarktfaktor und stehen für zentrale Innovations- und Qualifikationsaktivitäten. Um diese vielfältigen Zusammenhänge ab­zubilden und mit Zahlen zu belegen, hat das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) im Auftrag der AUSTROMED kürzlich die Studie ­„Medizinprodukte-Unternehmen: Innovationen in einem dynamischen und komplexen Marktumfeld“ durchgeführt. Ziel war es, die Chancen und Herausforderungen durch Innovationen am heimischen Gesundheits- und Wirtschaftsstandort zu beleuchten.

v.l.n.r.: Mag. Philipp Lindinger (Geschäftsführer der AUSTROMED), Manuela Raidl (Moderation), Gerald Gschlössl (Präsident der AUSTROMED), Dr.in Irene Fialka (CEO von INiTS – Vienna’s High-Tech Incubator), Günther Ogris, MA (Leiter des SORA Instituts), Mag.a Lena Marie Glaser, MA (Basically Innovative), FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider (Industriewissenschaftliches Institut – IWI), Margit Kreuzhuber, MA (Austrian Business Agency); © Sabine Klimpt

FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider vom IWI präsentierte im Rahmen der ­AUSTROMED-Herbstgespräche in seiner Keynote die zentralen Ergebnisse der Studie. „Innovation hat einen außerordentlich hohen Stellenwert für die Medizinproduk­te-Unternehmen“, so Schneider. Die Heterogenität der Branche und die hohe Produktvielfalt sowie sehr unterschiedliche Unternehmensstrukturen – vom traditionellen „großen“ Hersteller über „kleine“ Händler bis hin zu „jungen“ Start-ups – führen jedoch dazu, dass Innovation sehr unterschiedlich gelebt wird. „Im Zuge der Studie hat sich gezeigt, dass es vor allem drei strukturprägende Rahmenbedingungen sind, die Innovation im Medizinprodukte-Sektor beeinflussen: die heterogene Struktur und das interdisziplinäre Zusammenwirken unterschiedlicher Technologien, Wissenschaften und wirtschaftlicher Akteure, die Komplexität der Regulierung und rechtlichen Rahmenbedingungen von der Zulassung bis zur Kostenerstattung ­sowie ein Gesundheitswesen, das unter starkem Kosten- und Rationalisierungsdruck steht“, fasst Schneider zusammen.

Innovation ist kein Selbstzweck

Doch Innovation braucht nicht nur „Erzeuger“, sondern auch Anwender, einen Markt und muss Mehrwert schaffen. Bei Medizinprodukte-Unternehmen findet sie in einem sensiblen Umfeld statt, orientiert sich am konkreten Versorgungsbedarf von Patient:innen und muss allerhöchste Sicherheitsstandards erfüllen. Daher treiben häufig nicht Forschung und Entwicklung neue Ideen voran, sondern Erfahrungen, Anwenderwünsche oder Patientenbedürfnisse. Impulse für neue Produkte oder Dienstleistungen kommen häufig von den Anwender:innen selbst oder folgen Technologietrends wie etwa der Digitalisierung.

Was Unternehmen und die Politik ­beitragen können

Die Branche unterscheidet sich durch einige Besonderheiten von anderen, wenn es um die Rahmenbedingungen von Innovation geht: die hohe Produktvielfalt von mehr als 750.000 verschiedenen Gütern, die Organisationsvielfalt – vom Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern –, das interdisziplinäre Innovationsfeld und hochsensible Einsatzgebiete. Nicht einfacher machen es die Komplexität der Regulierung von der Zulassung bis zur Erstattung und schließlich der hohe Wettbewerbsdruck. „Für Unternehmen ist es wichtig, ihre Innovationskompetenz aufzubauen und zu halten. Sie müssen die vorhandene Förder- und Unterstützungslandschaft proaktiv nutzen und strategische Netzwerke aufbauen“, so Schneider. Er ist überzeugt, dass das aktuelle Fördersystem die Medizinprodukte-Branche nicht adäquat abbildet und rät daher, auch zu „artfremden“ Fördertöpfen zu greifen, wie etwa der KMU-Digitalisierungsförderung. „Die Politik ist gefordert, Förderlücken zu schließen und die Digi-Fitness bei den Anwender:innen im Gesundheitssystem zu stärken. Gleichzeitig wäre es wichtig, die hemmenden Auswirkungen der EU-Verordnungen für Medizin­produkte und In-vitro-Diagnostika abzufedern und legistische Vorgaben für den Nachhaltigkeitsbereich zu entwickeln“, betont Schneider.

„New Work“: kein Zukunftstrend, sondern Realität

Im Anschluss nahm sich Mag.a Lena Marie Glaser, MA, New-Work-Expertin, Gründerin und Geschäftsführerin von Basically Innovative, dem Zukunftslabor für neues Arbeiten, eines Themas an, das auf die Innovationsfähigkeit der Medizinprodukte-Unternehmen großen Einfluss nimmt: dem Fachkräftemangel. Gleich zu Beginn bremst sie jedoch zu hohe Erwartungen: „Einfache Lösungen gibt es nicht.“ Dass sich die Arbeitswelt rasant verändert, ist spätestens seit der Pandemie deutlich geworden. Ein neues Verständnis von Arbeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung wird nicht nur von der jüngsten Generation am Arbeitsmarkt gefordert. „Der demografische Wandel zwingt Unternehmen dazu, eine starke Arbeitgebermarke aufzubauen. Machen Sie keine falschen Versprechungen, sondern nehmen Sie die Anliegen der Bewerber:innen und Mitarbeitenden ernst“, bringt es Glaser auf den Punkt. Dazu gehören vor allem der Wunsch nach kreativen Freiräumen, Partizipation und Wertschätzung.

Schon viel früher will Sozialforscher Günther Ogris, MA, Leiter des SORA Instituts, dem Fachkräftemangel entgegensteuern und stellt die Frage in den Raum: „Wie lange können wir uns noch ein Schulsystem leisten, das sehr stark auf Selektion, Abwertung und Ausgrenzung setzt?“ Während Finnland lediglich 0,5% Schulabbrecher:innen verzeichnet, sind es in Österreich rund 20%. „Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn es keine Fachkräfte gibt, denn ein Drittel aller Jugendlichen aus den Neuen Mittelschulen hat mit ihrer Bildung nach der Pflichtschule abgeschlossen, weil sie so frustriert vom Schulsystem sind“, setzt ­Ogris nach. „Zudem gibt es immer mehr Spezialausbildungen, jedoch haben die Absolventen danach oft nur eingeschränkte Rechte am Arbeitsmarkt und unterliegen starken Hierarchien, wie am Beispiel der ­diplomierten Kranken- und Gesundheitspfleger gut zu beobachten ist.“ Sein Fazit: „Wir haben genug Fachkräfte, nur müssten sie auch motiviert sein, ihren erlernten Beruf auszuüben!“

Arbeitsalltag in der Medizinprodukte-Branche

Die mangelnde Motivation stellt auch Dr.in Irene Fialka, Geschäftsführerin von INiTS, dem Wiener High-Tech Incubator, fest. „Wir schaffen es trotz aller Kampagnen nicht, mehr Frauen in MINT-Fächer zu bringen.“ Hier ortet sie schon Aufholbedarf bei den Jüngsten: „Solange in Kindergärten und Volksschulen traditionelle Rollenbilder vermittelt werden, wird sich das auch später in der Aus- und Weiterbildung manifestieren.“ Positiv beobachtet Fialka, dass gerade im ­Life-Science-Sektor mehr Gründerinnen­ ­aktiv sind als in vergleichsweise anderen ­wissenschaftlichen Disziplinen.

Trotz aller Schwierigkeiten liegt Österreich noch immer unter den Top 10 der Zielländer, die hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland ansteuern. „Die Lebensqualität ist hoch, wir sind ein sicheres Land, und für viele ist das kein selbstverständliches Umfeld“, beschreibt Margit Kreuzhuber, MA, Head of Work in Austria bei der Austrian Business Agency, die Situation. Doch, so die Expertin weiter, die Herkunftsländer ändern sich: „Die Demografie ist in ganz Europa gleich. Wir müssen jetzt schon weiter weg, etwa nach Brasilien oder Indonesien, gehen, wenn wir junge Fachkräfte anwerben wollen.“

Welche Lösungen sich aus diesen vielfältigen Diskussionsergebnissen für den Arbeitsalltag in den Medizinprodukte-Unternehmen ergeben, bringt AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl abschließend auf den Punkt: „Wir müssen Führungskräfte vom hohen Druck im Alltagsgeschäft freispielen, damit sie für den Nachwuchs als Mentor:innen eingesetzt werden können. Junge Menschen sind bereit, Ver­antwortung zu übernehmen, doch sie wollen ­keine Hierarchien, benötigen viel komm­u­nikative Zuwendung und wünschen sich ­Unterstützung im Arbeitsalltag. Um junge Fachkräfte anzusprechen, müssen wir noch deutlicher zeigen, was die Medizinprodukte-Branche kann!“