„Onkologische Dringlichkeit“ im Gesundheitssystem etablieren

Das ÖOF, initiiert von der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO), untersucht seit rund einem Jahr die Versorgungssituation bei Krebs in Österreich. In Workshops zu verschiedenen Krebsarten werden Defizite identifiziert und eine Versorgungsmatrix erstellt. Auf Grundlage der bisherigen Erhebungen fordert das ÖOF anlässlich seines 1. Jahresmeetings nun die Einführung einer „onkologischen Dringlichkeit“ im Gesundheitssystem. Hintergrund ist die steigende Zahl von Menschen, die mit Krebs leben – aktuell rund 419.000 in Österreich, Tendenz steigend. Das stellt das Gesundheitssystem vor große He­rausforderungen. So sind beispielsweise die Zahlen der Krebspatient:innen, die eine Bestrahlung bzw. medikamentöse Therapie erhalten, von 2017 bis 2024 jeweils um 33% gestiegen, bei Spitalskontakten mit medikamentösen Therapien sogar um 46%. „Dieser Trend wird sich in Zukunft voraussichtlich noch verstärken, und darauf müssen wir uns angesichts der älter werdenden Gesellschaft vorbereiten“, so Dr. Florian Trauner, MSc, ­Public-Health-Experte bei der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).

von links: Florian Trauner, Kathrin Strasser-Weippl, Ewald Wöll, Thomas Czypionka; © OeGHO/APA-Fotoservice/Rudolph

Lange Wartezeiten bei diagnostischen Untersuchungen

Ergebnisse der bisherigen Erhebung zeigen: Trotz scheinbar guter Versorgung onkologischer Patient:innen gibt es Engpässe – insbesondere bei diagnostischen Untersuchungen: Bei MRT beträgt die Wartezeit auch für Krebspatient:innen bis zu 12 Wochen, bei CT 3–4 Wochen, mit regionalen Unterschieden. Priv.-Doz.in Dr.in Kathrin Strasser-Weippl, MBA, medizinische Leiterin der OeGHO, betont: „Aktuell haben wir als betreuende Onkologinnen und Onkologen wenig Handhabe, diesen Prozess zu beschleunigen.“ Dabei legen internationale Studien nahe, dass Verzögerungen im Abklärungsprozess ungünstige Folgen haben können: Laut einer Metastudie erhöht eine vierwöchige Verzögerung bei Krebsoperationen die Mortalität um 6–8%, bei Strahlen- oder medikamentöser Therapie um 9–13%. „In Zukunft werden wir bei steigenden Fallzahlen kluge Lösungen brauchen, um auf den Anstieg der Patientenzahlen entsprechend reagieren zu können. Ansonsten riskieren wir, die Verbesserungen im Überleben, die wir mühsam erkämpft haben, wieder durch Defizite auf der Versorgungsebene zu verlieren. Die Verantwortlichen anderer Gesundheitssysteme haben das bereits erkannt und Maßnahmen ergriffen“, so Strasser-Weippl. Das britische NHS hat beispielsweise maximale Fristen für die Abklärung eines Krebsverdachts definiert. Mit dem „Urgent Cancer Referral“ werden klare Diagnosepfade vorgegeben, die je nach Risikoeinschätzung rasche Termine sicherstellen.

Dr. Thomas Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsökonomie und -politik am Institut für Höhere Studien (IHS), berichtet Ähnliches und empfiehlt, nicht notwendige Inanspruchnahme zu reduzieren und das System durch strukturierte Fast-Track-Diagnoseprogramme effizienter zu gestalten. Auch er verweist auf internationale Vorbilder: Mit dem dänischen „Cancer Pa­tient Pathways Program“ ist es beispielsweise gelungen, Wartezeiten auf Diagnose bei allen Krebsformen zu senken und so das 3-Jahres-Überleben von 45% auf 54% zu steigern. „In vielen Fällen bedeutet das nicht einmal, dass zusätzliche Ressourcen nötig wären, sondern dass allein durch smarte ­Lösungen und Umorganisationen merkbare Effekte erzielt werden können“, so Czypionka.

OeGHO-Präsident Prim. Univ.-Prof. Dr. Ewald Wöll fasst zusammen:
„Obwohl es große Bemühungen und konstruktive Initiativen gibt, um die Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten zu beschleunigen, haben wir in Österreich derzeit kein flächendeckendes Instrument, um diese notwendige Steuerung zu gewährleisten. Wir empfehlen daher, das Instrument der ‚onkologischen Dringlichkeit‘ im österreichischen Gesundheitssystem einzuführen.“ Das würde es Onkolog:innen erlauben, Patient:innen – abhängig von der medizinischen Einschätzung – zu priorisieren und im Abklärungsprozess rasch durchs System zu lotsen.

Die von der ÖGK in Reaktion auf das ÖOF- Jahresmeeting berichtete Regelung, dass laut Vertrag mit den niedergelassenen Radiolog:innen bei Tumorverdacht MRT und CT binnen fünf Tagen zu erfolgen haben, soll zeitnah in die Praxis umgesetzt werden.