Alte Rezepte, neue Probleme

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Die Personalengpässe im Gesundheitswesen resultieren nicht erst in den Folgen der Pandemie. Sie sind Ursache von bereits seit Jahren verfolgten und verfehlten Effizienzkonzepten, die vor allem Beratungskonzerne dem Gesundheitswesen teuer einimpfen.

Als damals neuesten Trend beobachtete die Financial Times Deutschland bereits Anfang des Jahres 2007 eine Optimierung der Abläufe im Krankenhaus. Das Ziel dabei: Wenn mehr Patient:innen schneller behandelt werden können, lohnt sich das für die Klinik mehr als ein billig eingekauftes Produkt. Eugen Münch, Gründer der heute zur Asklepios-Gruppe gehörenden Rhön-Klinikum AG, zu der auch deutsche Unikliniken gehören, beschrieb das im Februar 2007 in einem Interview mit der Zeitschrift Stern so: „Wenn ich ein teures Großgerät kaufe, dann muss da alle zehn Minuten ein Fall durchgeschleust werden. Auch der Arzt muss sich, wie in der Industrie, einem Takt einfügen.“

Was er meinte, ist auch aus den Statistiken der Kliniken – auch in Österreich – ersichtlich. Die durchschnittliche Aufenthaltszeit von Patient:innen in Spitälern sinkt in allen Ländern. Das ist zum einen auf medizinische Behandlungsfortschritte, zum anderen aber auch auf ökonomische Vorgaben zurückzuführen. In Österreich lag die durchschnittliche Verweildauer im Jahr 1980 bei 14,5 Tagen, 2021 waren es 6,3 Tage. Angesichts derartiger Entwicklungen verändert sich in den Kliniken auch die Situation für das Personal. Der Unternehmensberater Roland Berger von Strategy Consultants rechnete anhand deutscher Beispiele bei einer Präsentation in Wien bereits vor 15 Jahren vor, dass die Kosten allein für das Pflegepersonal um zehn Prozent gesenkt werden können, wenn Dienstpläne besser gesteuert werden und das Personal flexibler eingesetzt wird.1

Denn trotz teurer Technik sind und bleiben die Personalkosten mit Abstand der größte Kostenfaktor im Gesundheitswesen. In Krankenhäusern entfallen etwa 60 bis 70 Prozent aller Ausgaben auf die dort beschäftigten Ärzt:innen, Pflegekräfte und technischen Dienste. Für die meisten Spitalsmanager:innen bedeutet dies Ausgliederungen, Optimierungen und Druck auf Arbeitszeiten, Überstunden und Löhne. Neue Methoden, wie sie in Wirtschaftsunternehmen unter dem Schlagwort Humanressources – also aktive Personal- und damit Ressourcenentwicklung – forciert und eingesetzt werden, fehlen im Gesundheitsbereich noch immer weit gehend.

In Österreich müssen die Träger von Krankenhäusern deren Defizite abdecken. Reichen also die Zahlungen aus den Spitalstöpfen nicht aus, müssen vor allem die Länder und Gemeinden zuschießen. Nicht zuletzt deshalb fordern sie in den Finanzausgleichsverhandlungen mehr Geld. Und nicht zuletzt deshalb holen sie seit Jahren den Rat von Consultern ein, um die Spitäler zu reformieren. Primäres Ziel: die Verlustabdeckungen senken. Deren Vorschläge sind meist ident wie in privaten Unternehmen: Mit möglichst geringen Kosten, möglichst viel produzieren. Und im personalintensiven Gesundheitsbereich bedeutet das: Personalpläne optimieren, Personal effizient einsetzen, Patient:innen möglichst rasch wieder heimschicken und wenig Zeit für den einzelnen Menschen aufwenden. Wie in einer Autofabrik, wo man einfach das Fließband schneller oder im Mehrschichtbetrieb laufen lässt. Die Folgen: Personal fehlt an allen Ecken und Enden, in nahezu allen Bundesländern sind in Krankenhäusern derzeit Betten und teilweise ganze Stationen gesperrt.

Wie sehr das Gesundheitswesen bereits von Beratungsunternehmen durchdrungen ist, zeigt sich meist dann, wenn etwas schief geht. Bereits 2016 kritisierte der Rechnungshof den Wiener Krankenanstaltenverbund. Die Kosten für externe Berater sollen von 2012 bis 2015 rund 48 Millionen Euro betragen haben, berichtete der Standard. In diesem Zeitraum stiegen die Kosten für externe Berater laut RH um fast 200 Prozent. Das dürfte allerdings weder ungewöhnlich noch einmalig sein. Vor dem heurigen Sommer kritisierte etwa der Oö. Landesrechnungshof die Vergabepraxis der Oö. Gesundheitsholding (OÖG) und des Kepler Universitätsklinikums (KUK) bei externen Beraterleistungen. Die Prüfer monieren, dass Aufträge mündlich erteilt und oft ohne Vergleichsangebote eingeholt wurden, sowie dass die OÖ Landesholding bei der Auswahl der Berater mitgewirkt habe. Von 2018 bis 2021 wurden laut der Initiativprüfung des LRH insgesamt 8,8 Millionen Euro für externe Beratung in den Bereichen Organisations- und IT-Beratung, Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung sowie Beratung im Bereich Personal und Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben. Der Kärntner Landesrechnungshof wiederum hat wie berichtet den landesnahen Verein „Gesundheitsland Kärnten“ überprüft und kritisiert, dass über ihn der vom Landtag genehmigte Stellenplan umgangen wurde und wird. Der Verdacht lautet, dass das Land Kärnten eine Vereinskonstruktion für befristet angestellte Contact Tracer:innen genutzt hat, um Kosten zu senken.

Wer allerdings glaubt, dass das nur auf den Spitalsbereich beschränkt ist, irrt. Dieser Tage lief eine US-Meldung durch die Medien: Die Unternehmensberatung McKinsey will offenbar im Rahmen von zwei Vergleichen 230 Millionen US-Dollar zur Beilegung von Klagen wegen ihrer Rolle in der Opioid-Krise in den USA zahlen. Die Vergleiche, die der Zustimmung eines Richters bedürfen, wurden vor einem Bundesgericht in San Francisco bekanntgegeben. Das Geld kommt zu den 641,5 Millionen Dollar hinzu, die McKinsey bereits gezahlt hat, um die Forderungen der Generalstaatsanwälte der US-Staaten zu erfüllen, berichtet die Austria Presse Agentur. In einer Erklärung teilte McKinsey mit, dass man weiterhin davon ausgehe, dass die frühere Arbeit rechtmäßig gewesen sei. Das Unternehmen wies auch darauf hin, dass es sich 2019 bereits dazu verpflichtet hatte, keine Kunden mehr bei Geschäften im Zusammenhang mit Opioiden weltweit zu beraten.

Im Zuge der Opioid-Krise sind in den USA seit 1999 etwa 450.000 Menschen durch Überdosen von verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln und illegalen Drogen ums Leben gekommen. Im Zentrum der Kritik stand der Oxycontin-Hersteller Purdue Pharma, dem vorgeworfen wurde, dass die Vermarktung seiner Schmerzmittel die Krise befeuert habe. „In den Klagen wird McKinsey beschuldigt, zur Arzneimittelkrise beigetragen zu haben, indem es Arzneimittelherstellern wie Purdue Pharma geholfen hat, irreführende Marketingpläne zu entwerfen und den Verkauf von Schmerzmitteln zu steigern“, heißt es in Medienberichten. (rüm)

1) Flenreiss/Rümmele: Medizin vom Fliessband, Springer, 2007