Martin R. Geisler, Generalsekretär der ApoLife Gruppe, spricht im RELATUS-Sommergespräch über Apothekensterben und gibt betriebswirtschaftliche Tipps.
In Österreich haben zuletzt mehrere Apotheken Insolvenz angemeldet. Wie geht es den Apotheken aktuell wirtschaftlich, Herr Geisler? Das ist tatsächlich ein völlig neues Phänomen für uns. Zu hören, dass eine Apotheke, als Nahversorger mit staatlichem Auftrag, in die Insolvenz rutscht, ist schockierend. Aber es passiert. Die Allgemeinsituation ist ehrlich gesagt recht ernüchternd. Wir haben im Frühjahr ein Stimmungsbild bei unseren Mitgliedern erhoben, das zeigt: Es herrscht stagnierender Pessimismus. Die Kosten steigen nach wie vor stark, sei es bei Personal, Energie oder Mieten. Gleichzeitig steigen zwar auch die Umsätze, aber hauptsächlich durch höherpreisige Produkte. Die Deckungsbeiträge sinken dennoch, und das ist betriebswirtschaftlich natürlich schwierig.
Und auf Kund:innenseite? Spüren Sie dort auch Veränderungen? Die Zurückhaltung ist deutlich spürbar. Viele Menschen überlegen heute doppelt, ob sie sich etwas zusätzlich gönnen, also zum Beispiel Kosmetika oder andere teurere Produkte. In Summe ist die Situation nicht erfreulich, und der Ausblick auch nicht.
Auch die Lohnabschlüsse sorgen für Druck – wie wirkt sich das aus? Natürlich verstehe ich, dass die Arbeitnehmervertretung Lohnabschlüsse durchsetzen will, die inflationsausgleichend wirken. Aber für Apotheken ist das eine enorme Belastung. In drei Jahren 20 Prozent Lohnerhöhung – das frisst jeden Deckungsbeitrag auf. Unsere Umsätze steigen entlang der Inflationsrate, mehr auch nicht. Aber bei den gestiegenen Kosten ist das nicht mehr aufzufangen.
Glauben Sie, dass wir vor einem Apothekensterben stehen? Die Kosten steigen, während Margen und Deckungsbeiträge sinken – in der heutigen Lage braucht man betriebswirtschaftliches Know-How, um gut durchsteuern zu können, und genau da kommen manche Standorte an ihre Grenzen. Wer dann keine guten Berater:innen hat und dann vielleicht noch Konkurrenz durch ein neues Fachmarktzentrum mit Apotheke bekommt, steht plötzlich vor großen Problemen. Ob viele Apotheken dann wirklich zusperren müssen, ist fraglich, aber ein erzwungener Standortwechsel kann durchaus passieren.
Ist die Branche auf diese betriebswirtschaftlichen Herausforderungen vorbereitet? Teilweise. Die Apothekenwelt ist stark naturwissenschaftlich geprägt. Betriebswirtschaft ist da oft kein Schwerpunkt. Es wäre sinnvoll, sich professionelle Steuerberater:innen, Unternehmensberater:innen oder Anwält:innen ins Boot zu holen. Oder sich einer Apothekenkooperation anzuschließen, die solche Unterstützung bieten kann. Der regelmäßige Austausch mit der Steuerberatung ist in Zeiten wie diesen essenziell.
Welchen Einfluss haben Online-Apotheken? Der Wettbewerb ist schwierig, weil wir mit ungleichen Waffen kämpfen. Überregionale Werbung, Rabatte, Aktionen – all das ist uns untersagt, Online-Apotheken dürfen das aber. Die Prognose, dass der Umsatz von Online-Apotheken linear steigen wird, ist aber nicht eingetreten. Während der Pandemie gab es einen Peak, seither stagniert der Markt bei etwa zehn Prozent des OTC-Umsatzes. Das tut weh genug, aber ich sehe derzeit keine große Dynamik. Im Gegenteil: Online-Apotheken bekriegen sich eher gegenseitig.
Gibt es auch positive Entwicklungen? Ja, natürlich. Der OTC-Bereich ist sehr dynamisch und macht vielen Apotheken Freude. Hier sehen viele auch Zukunftspotenzial, weil individuelle Beratung wichtig bleibt. Auch Zusatzangebote wie Kosmetik, Testungen oder Beratungen – etwa zu Sonnenschutz oder Ernährung – gewinnen an Bedeutung. Da gibt es viele Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Unsere verpflichtenden Fortbildungen kommen zum Beispiel gut an. Apotheker:innen waren immer sehr weiterbildungsaffin, das liegt in der Natur der Branche.
Haben Sie Vertrauen in die neue Regierung? Viele Apotheken haben in E-Fuhrparks oder Photovoltaik investiert – jetzt werden Steuerbegünstigungen und Förderungen gestrichen. Die neue Regierung fährt offenbar in Richtung einer Wirtschaftspolitik der 60er- und 70er-Jahre und weg von Klimazielen. Das trägt natürlich weder zur Stimmung noch zur Investitionsbereitschaft bei. Eine sozialdemokratische Ministerin im Sozialministerium, wie es Ministerin Schumann ist, halte ich aber grundsätzlich für gut. Aber es fehlt das Geld und da muss nun mal auch das Gesundheitssystem seinen Beitrag leisten. Wichtig ist, dass die Versorgungssicherheit nicht leidet – und ich glaube, das bleibt auf dem bisherigen Niveau stabil. (Das Interview führte Katrin Grabner.)