Die SPÖ verrät gerade ihre eigenen Prinzipien. Statt sich um bessere Arbeitsbedingungen von Beschäftigten im Gesundheitswesen zu kümmern, will sie diese zur Arbeit verpflichten.
„Eine humane Arbeitswelt erfordert, dass alle Menschen frei von Zwang einer sinnhaften und sicheren Beschäftigung nachgehen können.“ So steht es im aktuell gültigen Parteiprogramm der SPÖ. Wer das kostenlose Studium an einer öffentlichen Medizin-Uni absolviert hat, sollte sich im Gegenzug verpflichten müssen, eine gewisse Zeit dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung zu stehen. Das wünscht sich Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ). Die Forderung ist nicht neu. Auch Andreas Huss, Arbeitnehmerobmann in der ÖGK, und ursprünglich Gewerkschafter, hat sie schon aufgestellt. Eigentlich ist man solche Forderungen eher von neoliberalen Wirtschaftsvertretern gewohnt.
Hintergrund der Diskussion ist eine Neiddebatte über Wahlärzt:innen. Weil ihre Zahl steigt und viele Ärzt:innen den Krankenversicherungen als Vertragsparter:innen nicht mehr zur Verfügung stehen, ortet die SPÖ Geldgier bei den Ärzt:innen als Motiv. Tatsächlich geht es um die Arbeitsbedingungen und den Kostendruck der Kassen. Letztere haben – zugegeben auch mit Unterstützung der Ärztekammern – in den vergangenen Jahren verhindert, dass die Zahl der Kassenstellen steigt. Die Kassen verwiesen darauf, dass ihren Versicherten durch ihre Zahlung eines gedeckelten Fixbeitrages an die Spitäler ohnehin Spitzenmedizin im Krankenhaus zu Verfügung steht. Die Folge: 2013 kamen 2200 Menschen auf eine:n Allgemeinmediziner:in, 2025 sind es 3100. Ein Plus von 41 Prozent. Da ist es wenig verwunderlich, dass sich immer mehr Ärzt:innen den Kassenvertrag nicht mehr antun wollen. Vor allem dann, wenn bereits 3,6 Millionen Menschen eine private Krankenversicherung haben.
Gleichzeitig will die Ministerin den vielen Bewerber:innen, die beim Aufnahmetest für das Medizin-Studium scheitern, stärker als bisher umwerben. Derzeit bekommt nur eine:r von sechs Bewerber:innen tatsächlich den erhofften Studienplatz. Künftig sollen jene, die das Medizinstudium nicht beginnen dürfen, aktiv auf die vielen alternativen Ausbildungsmöglichkeiten im Gesundheitsbereich hingewiesen werden. In der marxistischen Wirtschaftstheorie gibt es den Begriff der „industriellen Reservearmee“ – die Menge an Arbeiter:innenn, die bereit und gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, aber keinen Käufer finden. Laut Marx bietet die Existenz dieser Reservearmee für das Kapital einen doppelten Vorteil. Zum einen drücken die unbeschäftigten Arbeitskräfte auf den Lohn der Beschäftigten, zum anderen stellen sie eine „Reserve“ für Wachstumsschübe dar.
Dass die SPÖ heute selbst so denkt ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass einige Teile der Partei sich ihrer eigenen Prinzipien nicht mehr bewusst sind. Das Problem ist aber, dass genau das auch eine Bedrohung für alle anderen Gesundheitsberufe ist. Mit den hohen Verlusten im Gesundheitswesen droht der Spardruck auf alle Beschäftigten im System zu steigen. (rüm)