Experten warnen: „Vergessen wir nicht auf Nicht-Corona-Patienten“

Österreich scheint bezüglich Intensivbetten und derzeitiger epidemiologischer Situation in relativ guter Position, Gesundheitsökonomen zeigen sich aber besorgt um die Versorgung von Nicht-Covid-19-Patienten. Sie fordern einen „Schutzschirm für das Gesundheitswesen“.

Das Gesundheitswesen benötigt zum reibungslosen Funktionieren in absehbarer Zukunft einen „Schutzschirm“ von zwei bis drei Milliarden Euro. Dies erklärten die Ökonomen Maria Hofmarcher und Christopher Singhuber (Health System Intelligence/Austrian Health Academy) am Wochenende. Eine Gefahr sehen die Fachleute dadurch, dass sich das Gesundheitswesen in Österreich ausschließlich auf SARS-CoV-2 konzentriert. „Im extramuralen Bereich bestehen Empfehlungen der Ärztekammern, Ordinationen nur in dringenden Fällen aufzusuchen. Laut Mitteilung der Ärztekammer Wien halten sich die Patienten an diese Empfehlungen. Kassenordinationen haben einen deutlichen Rückgang der Patientenzahlen, viele Wahlarztordinationen verzeichnen ebenfalls einen Rückgang der Patientenzahlen, manche Ordinationen sind wegen Erkrankung geschlossen“, sagt Hofmarcher.

In allen Krankenhäusern seien elektive Untersuchungen und Operationen ausgesetzt, um Kapazität für Covid-19-Patienten frei zuhalten. Es werden nur noch akute therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Hofmarcher: „Damit ist klar, dass derzeit schon seit etwa vier Wochen viele elektive Maßnahmen, Vorsorgeuntersuchungen und nicht-akute Beschwerden nicht weiter abgeklärt und behandelt werden. Es gibt Hinweise, dass in vielen Krankenhäusern Maßnahmen der Qualitätskontrolle wie Tumorboards und interdisziplinäre fallbezogene Besprechungen nicht oder nur eingeschränkt durchgeführt werden können.“ Die Gefahr laut der Gesundheitsökonomin: „Bei Weiterführung der derzeitigen Maßnahmen ist daher eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung von Nicht-Covid-19 Patienten absehbar, mit besonderem Schwerpunkt chronischer, insbesondere onkologischer Erkrankungen. Hier gilt es, die Mortalität dieser Patienten nicht ansteigen zu lassen.“ Andere Gesundheitsökonomen berichten derzeit davon, dass in manchen Ländern in Europa die Zahl der Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten scheinbar stark zurückgeht. Tatsächlich dürften sie aber nicht behandelt und registriert werden.

Hofmarcher und Singhuber haben eine Modellrechnung zum Verlauf der SARS-CoV-2-Infektionen und Covid-19-Erkrankungen erstellt. Die Gesundheitsökonomen leiten daraus mehrere Forderungen ab, um das Gesundheitswesen, auf das sich die Österreicher verlassen können sollen, abzusichern:

  • Dotierung eines „Corona-Fonds“ mit Mitteln von Bund, Ländern und Sozialversicherung in der Höhe von zwei bis drei Milliarden Euro. Das Ziel müsse sein, Kapazitäten, Beschaffung und Personal ordentlich zu dotieren, Ressourcenverfügbarkeit und Testaktivitäten zu koordinieren.
  • Aktivierung der Bundesgesundheitskommission, in der alle Akteure zu koordinieren sind. Das Ziel müsse sein, sowohl Überblick über Ressourcen zu erhalten, als auch Mittelzuteilungen aus dem „Corona-Fonds“ vorzunehmen.
  • Strategische Unterstützung und Ausbau der Intensivversorgung in Schwerpunktkrankenanstalten, damit die wirksame Beatmung von Schwerkranken möglich ist, Stichwort: Extrakorporale Beatmung (ECMO).
  • Einbindung der ambulanten Versorgungsstrukturen einschließlich der Wahlärzte und eine stärkere Einbindung der Sozialversicherung.
  • Einbindung der privaten Krankenanstalten zur Sicherstellung erforderlicher Kapazitäten. Diese Gruppe von Krankenanstaltenträger erhalte immerhin jährlich rund 150 Millionen Euro von der sozialen Krankenversicherung.
  • Österreich sollte in der EU seine Positionierung überdenken. Österreich sollte seine EU-Orientierung verstärken und den Widerstand gegen die von den meisten Euro-Ländern geforderten „Corona-Bonds“ überdenken. Derzeit sei solidarisches Handeln in der EU besonders wichtig. (red)