Gedanken über mediale Regeln nach Mordfall in Wien

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Berichterstattung über Krankheit und Tod von Menschen ist medial heikel. Der jüngste Fall der Ermordung eines prominenten Apothekers wirft wie im Fall der jungen Ärztin, die Impfgegner in den Tod trieben, deshalb Fragen auf.

Eigentlich hätte dieser wöchentliche Kommentar sich diesmal den Reformpunkten für 2023 im Gesundheitswesen widmen sollen. Doch mehrere Medien berichteten am Montag und Dienstag darüber, dass ein ehemaliger Funktionär der Apothekerkammer in der Silvesternacht ermordet wurde. Bestätigt ist all das offiziell nicht. Nicht zuletzt deshalb, weil die Polizei auch die Ermittlungen nicht gefährden will. Medial ist das heikel, weil auf der einen Seite das öffentliche Interesse an einer Person des öffentlichen Lebens berechtigt sein könnte, aber andererseits auch der Persönlichkeitsschutz im Raum steht. RELATUS wird sich an der Berichterstattung wie auch im Fall jener Ärztin, die vor einem Jahr von Drohungen von Impfgegnern in den Tod getrieben worden ist, nicht beteiligen. Allerdings gilt es zum Verständnis ein paar Fragen aufzuwerfen.

Im Dezember hat der heimische Presserat – eine Selbstregulierungseinrichtung der Medienbranche, deren Urteil zum Teil auch dienstrechtlich relevant sind – die Suizidberichte im Fall der Ärztin als Verstoß gegen die Medienethik verurteilt. Der Presserat stellte fest, dass die Berichterstattung über Suizide und Suizidversuche große Zurückhaltung gebietet, insbesondere auch wegen der Gefahr der Nachahmung. Verantwortungsvoller Journalismus wägt ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht und verzichtet gegebenenfalls auf überschießende Berichterstattung (Punkt 12 des Ehrenkodex für die österreichische Presse). In der bloßen Bekanntgabe des Suizids oder Suizidversuchs kann zwar ein öffentliches Interesse bestehen, etwa wenn der Vorfall auch eine politische Dimension aufweist. Unabhängig davon kann jedoch die Veröffentlichung bestimmter Details überschießend und somit medienethisch unzulässig sein.

Wie ist das aber im Fall einer Ärztin, die selbst noch zu Lebzeiten den Weg in die Öffentlichkeit gesucht hat, oder einem ehemaligen, prominenten Funktionär der Apothekerkammer? Generell genießt ein ehemaliger und bekannter Standespolitiker grundsätzlich weniger Persönlichkeitsschutz als eine Privatperson. Dennoch ist der Gesundheitszustand eines Menschen laut Presserat dem Bereich der Privatsphäre zuzurechnen. Im Punkt 5 des Ehrenkodex heißt es: „Jeder Mensch hat Anspruch auf Wahrung der Würde der Person und auf Persönlichkeitsschutz.“ Und weiter: „Auf die Anonymitätsinteressen von Unfall- und Verbrechensopfern ist besonders zu achten.“ Punkt 6 schützt auch die „Intimsphäre jedes Menschen.“ Das gilt auch für die Veröffentlichung von Fotos. Darüber steht – und das ist von Fall zu Fall abzuwägen, öffentliches Interesse. Und das ist besonders dann gegeben, wenn es um die Aufklärung schwerer Verbrechen, den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Gesundheit oder um die Verhinderung einer Irreführung der Öffentlichkeit geht. Allerdings muss ein „über das Voyeurhafte hinausgehendes öffentliches Interesse klar ersichtlich“ sein.

Doch es geht nicht nur um den Ehrenkodex, sondern auch andere Regelungen. Journalismus bedingt Freiheit und Verantwortung. Und die endet ganz generell bei Gesundheitsthemen immer auch dort, wo es um Leid und Bedürftigkeit von Menschen geht. Deshalb gibt es etwa auch genaue Regelungen für die mediale Berichterstattung über (neue) Therapien und entsprechende Werbeverbote. Die Verantwortung im Hinblick auf das Leid von Betroffenen endet gerade im Fall von Krankheit oder Tod zudem nicht nur bei der Person, sondern betrifft auch deren Angehörige, auf die entsprechende Rücksicht genommen werden sollte. Und deshalb werden wir uns in der Berichterstattung besonders zurückhalten. (rüm)