„Im Nachtdienst brauchen wir eine Neuordnung“

(c) Rümmele

Christof van Dellen, Präsident der Apothekerkammer in Vorarlberg, spricht im RELATUS-Ländertour-Interview, über Nachtdienste, Versandhandel und Vorarlberger Besonderheiten.

Wie wirken sich die jüngsten Lieferengpässe bei Medikamenten in Vorarlberg aus? Momentan sieht es aus, dass wir darum kämpfen müssen, etwa bestimmte Antibiotika zu bekommen. Auch andere Medikamente sind betroffen. Wir haben jetzt einfach Infektionen, die vermehrt auftreten. Die Gründe für die Lieferprobleme liegen sicherlich auch in der Auslagerung der Produktion nach Indien und China. Vermutlich hat man zudem den Bedarf durch die Infektionswellen von Seiten der Industrie unterschätzt. Wir werden aber sicherlich darüber nachdenken müssen, wie die Produktion wieder nach Europa zurückgeholt werden kann.

Minister Johannes Rauch, ein Landsmann von Ihnen, wünscht sich Wirkstoffverschreibungen als Lösung. Wo liegt das Problem hier? Wir kommunizieren eigentlich untereinander zwischen Apotheker:innen und Ärzt:innen ganz gut und haben auch immer Lösungen gefunden. Viele niedergelassene Ärzt:innen sind aber auch überlastet und gehen nicht mehr ans Telefon. Nicht selten läuft auch während der Ordinationszeiten das Band. Wenn wir also nachfragen müssen, ist es zunehmend schwer, jemanden zu erreichen.

Welche anderen Herausforderungen gibt es in Vorarlberg? Im Nachtdienst und im Bereitschaftsdienst brauchen wir eine Neuordnung. Früher hatte jeder Sprengel einen Arzt oder eine Ärztin mit Nachdienst. Jetzt gibt es immer weniger Ärzt:innen, die Dienst machen. Durch Schwerpunktspitäler hat sich das Angebot auch im stationären Bereich verkleinert. Es gibt aber nach wie vor gleich viele Apotheken wie früher, die während der Nacht Dienst haben. Zudem hat die Inanspruchnahme der Nachtdienste durch die Bevölkerung stark abgenommen. Wir müssen als Apotheken aber den Nachtdienst selbst bezahlen. Allerdings sind die Nachtdienste definitiv nicht mehr kostendeckend.

Ist das ein typisches Problem in Vorarlberg? Nein, das höre ich auch aus anderen Bundesländern.

Die Apothekerkammer hat sich angeboten, dass in Apotheken geimpft wird. Obwohl es keine Zusage dafür bisher gibt, wurden Apotheker:innen ausgebildet. Ist das nicht verfrüht? Ja, wir bieten uns an, dass wir impfen dürfen. Vorarlberg war ein Vorreiter im Zuge der Ausbildung, weil wir in der Schweiz ausgebildet haben. Das war ein Zweitageskurs, den die Kolleg:innen selbst bezahlt haben. Das ist natürlich jetzt eine reine Option, aber wenn uns die Politik fragt, ob wir impfen wollen, dann können wir sagen, dass wir soweit sind. In Schweiz lief das genau so: dort wurde gefragt, ob Apotheker:innen das machen wollen, und sie haben gesagt, dass sie das können. Die Antwort der Politik war dann: dann sollen sie es machen. Wenn ich sehe mit welcher Begeisterung die Kolleg:innen in die Ausbildung reingegangen sind, obwohl unklar war und ist ob das je kommt, dann zeigt es, dass sie dahinterstehen und das machen wollen.

Themenwechsel: Der Versandhandel nimmt zu. Die Apotheken diskutieren seit Jahren über Antworten und Konzepte. Bisher gibt es aber keine Lösung. Warum? Für Onlineapotheken müssen wir in jedem Fall eine Gegenstrategie entwickeln. Die Digitalisierung ist ein Thema, das auf uns zukommt. Allerdings ist jeder Apotheker ein selbstständiger Unternehmer. Ich kann also niemanden zwingen. Ein Drittel lehnt Konzepte ab und fragt, warum wir das brauchen und dass es Geld kostet. Anders gesagt: es gibt welche, die Konzepte umsetzen wollen und andere nicht. Wir haben immer ein Drittel, die brennen, ein Drittel, das abwartend ist und ein Drittel, das Maßnahmen ablehnt.

Im gesamten Gesundheitswesen herrscht Personalmangel. Im Grenzgebiet wie Vorarlberg ist das besonders problematisch. Gilt das auch für die Apotheken? Ja, auch wir haben einen extremen Fachkräftemangel. Nicht alle PKA bleiben etwa in der Apotheke. Viele haben auch andere Vorstellungen, wollen flexibler agieren und manche holen die Matura nach und wollen studieren. Das tut uns als Ausbildnerberiebe weh. Man hat hier viel Zeit und Engagement reingesteckt und kann dann die Früchte nicht ernten. Es braucht also sicherlich auch ein Nachdenken über Karrieremöglichkeiten. (Das Interview führte Martin Rümmele)