Haben Selbstbehalte im Gesundheitsbereich eine steuernde Wirkung? Oder bringen sie einfach Geld? Und droht das solidarische System insgesamt zu kippen? Am Dienstag war ein Schlüsseltag.
Offenbar gibt es in der Regierung zunehmend Kräfte, die eine heilende Wirkung durch Selbstbehalte sehen. In der Sozialversicherung rücken ebenso Selbstbeteiligungen in den Fokus. In den Stimmungsbildern, die wir mit Umfragen für den Nachrichtenkanal Relatus erheben, sprechen sich Gesundheitsberufe ebenso für Selbstbeteiligungen der Patient:innen aus. Heute traten Selbstbehalte bei der ÖGK für Krankentransporte in Kraft. Die verteidigte das als „moderat“ und als „sozial verträgliche Kostenanteile für planbare Krankentransporte“. Damit sollen „strukturelle Verbesserungen erzielt und die Versorgung langfristig abgesichert werden“. Was man recht deutlich zugibt: Es geht primär um Einnahmen, nicht um Verhaltenssteuerung.
Umgekehrt zeigen Studien, dass vor allem soziale Unterschiede für die Höhe der Gesundheitsausgaben verantwortlich sind. Je niedriger die Einkommen, desto schlechter die Gesundheit. Analysen zu Selbstbehalten belegen, dass sie so gut wie nicht steuernd wirken, weil Menschen im Krankheitsfall jede Heilung suchen – unabhängig von Kosten. Selbstbehalte bringen also keine Verhaltensänderung, sondern nur mehr Einnahmen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass jene, die sich Selbstbehalte nicht leisten können, sich spät oder gar nicht behandeln lassen. Das erhöht bei fortgeschrittener Erkrankung die Kosten. Deshalb werden eben viele Selbstbehalte sozial abgefedert. Ob sich das angesichts des Verwaltungsaufwandes rechnet, wird sich zeigen.
Die Frage ist aber auch, ob damit die solidarische Basis der öffentlichen Kassen schwindet. „Das öffentliche Gesundheitssystem in Österreich ist nicht solidarisch“, warnt Andreas Huss, der am Dienstag den Vorsitz in der Gesundheitskasse übernahm, vor einem weiteren Ausbau des privaten Gesundheitssektors. Schwarz-Blau habe dem öffentlichen Gesundheitssystem Geld entzogen, um private Gesundheitsversorger zu stärken und die öffentliche Gesundheitskasse zu schwächen. Die Folgen davon seien heute zu spüren. 23,7 Prozent der insgesamt 57 Milliarden Euro Gesundheitsausgaben im Land geben die Österreicher:innen aus der eigenen Tasche aus. Fast 3,6 Millionen Menschen haben inzwischen eine private Zusatzversicherung. Der Rest – und mit ihm die Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitswesen – kommen unter Druck. Es braucht einen Richtungswechsel. (rüm)