Kommentar: Der inoffizielle Teil-Lockdown, der nicht sein darf

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Mehr als 300.000 Menschen haben sich hierzulande in der vergangenen Woche mit dem Corona-Virus infiziert. Damit liegt Österreich im Europa-Vergleich im absoluten Spitzenfeld. Die Politik versinkt im Chaos.

Dem Statistik-Portal Statista zufolge, das sich auf Daten der Johns Hopkins Universität und des Robert Koch-Instituts bezieht, hat es von 46 europäischen Staaten in der vergangenen Woche nur in Island und in Liechtenstein – hochgerechnet auf 100.000 Einwohner – mehr behördlich bestätigte Infektionen gegeben. Drei Tage in Folge hat es in Österreich beinahe 50.000 Fälle binnen 24 Stunden gegeben. Rechnet man Ungetestete und Kontaktpersonen dazu, haben wir trotz oder wegen der Öffnungen wieder einen Teil-Lockdown – diesmal inoffiziell.

Die Folgen treffen alle Bereiche. Die Omikron-Welle zeigt sich etwa auf den Normalstationen. Im Krankenhaus liegen derzeit laut AGES 2.786 Personen. 218 Menschen müssen derzeit auf Intensivstationen betreut werden. Die hohe Zahl der Neuinfektionen wirkt sich auch auf die Spitäler aus, Personal fällt aus und nicht dringende Operationen müssen wieder einmal verschoben werden. Allein in der vergangenen Woche wurden zudem 203 Covid-19-Todesfälle verzeichnet. Die Zahl der Infektionen steigt, die Zahl der Impfungen und Testungen geht weiter zurück. Die aktuellen Rekord-Infektionszahlen sorgen laut dem obersten Lehrergewerkschafter Paul Kimberger bundesweit für so viele coronabedingte Personalausfälle an den Schulen wie nie zuvor. Laut vielen Experten sind die Lockerungen zu früh gekommen. Auch die Corona-Kommission hatte sich am Donnerstag erst für die Wieder-Einführung geeigneter Präventionsmaßnahmen ausgesprochen und diese später relativiert. Schuld ist sicherlich auch die Omikron Variante BA.2. Sie ist infektiöser als bisher angenommen.

Genau zeigt sich aber auch das Problem: Die Politik ist noch immer nicht auf neue Varianten vorbereitet. Man hofft von einer Welle zur nächsten, dass es danach besser wird. Und man reagiert mit den gleichen Fehlern: Man reduziert Tests – frei nach Trump, weil es nicht gibt, was man nicht sieht –; man hebt die Quarantänemaßnahmen auf, weil noch immer – und jetzt gerade besonders – die Kapazitäten für das Contact Tracing fehlen –; man streitet zwischen schwarzen und roten Bundesländern; und man hat noch immer kleinen Blick für die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die nach wie vor am Limit arbeiten. Niemand will teure Kapazitäten aufbauen, die nach der Pandemie nur schwer wieder reduziert werden können. Also versucht man durchzutauchen. Die nächste Welle wird ja hoffentlich die letzte sein.

Der Bevölkerung kann man das nicht mehr erklären. Zwei Jahre hat man den Menschen gesagt, sie sollen sich ja nicht anstecken. Jetzt sind positive Tests nicht mehr die relevante Größe, Quarantäne ist nicht mehr nötig und die Impfpflicht braucht es auch nicht. Mit dieser Strategie taumeln wir spätestens im Herbst in eine weitere Welle – nur diesmal mit einer Immunisierungsrate von vielleicht noch 30 Prozent, weil sich bis dahin die Impfbereitschaft jener von anderen Impfungen nähert. Die Folgen werden verehrend sein. Und selbst die Bundesländer, die jetzt öffnen wollten um den Ostertourismus einen Schub zu verleihen, werden damit krachend scheitern, wenn die Infektionszahlen in Österreich mehr als doppelt so hoch sind wie in Deutschland. Die Rechnung bekommen jene bezahlt, deren Operationen (erneut) verschoben werden, die an Long Covid erkranken (darunter viele Kinder und Jugendliche) und die im Gesundheitswesen das alles aushalten müssen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Föderalismus gesundheitsschädigend ist und sich die Bundesländer hier zunehmend als inkompetent erweisen. Es braucht endlich Transparenz über regionale Ausgaben, Erkrankungszahlen, Spitalsdaten und eine zentrale Steuerung. (rüm)