Sozialstaatsenquete: Pflegekosten steigen bis 2050 um über 300%

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Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger und das Wirtschaftsforschungsinstitut widmeten sich am Dienstag der Suche nach Pflegesicherungssystemen. Fazit: Es braucht eine nachhaltige und langfristige Lösung und keine politischen Schnellschüsse.

Die demographische Entwicklung der kommenden Jahrzehnte lässt in Österreich eine stark anwachsende Zahl an alten und hochaltrigen sowie auch pflegebedürftigen Menschen erwarten. Derzeit beziehen bereits rund 460.000 Menschen in Österreich Pflegegeld. Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) zeigen eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen von über 300 Prozent bis 2050. Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen realen Steigerungsrate von 4,4 Prozent. Im Rahmen der 13. Sozialstaatsenquete beschäftigten sich Experten mit der Zukunft des Pflegesicherungssystems.

Zeitgleich folgten am Dienstag auf die Wahlplakate der Parteien auch Sujets zum Thema Pflege. Die Caritas nutzt freiwerdende Plakatflächen, um auf den akuten Pflegekräftemangel aufmerksam zu machen. Alle Pflegeanbieter seien auf der dringenden Suche nach geeignetem Personal, sagte Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Allein bei der Caritas seien derzeit einige hundert Stellen in ganz Österreich offen. Und die Situation werde sich weiter verschärfen. Bis zum Jahr 2050 sei in Österreich mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 zu rechnen. Mehr als 50.000 zusätzliche Pflegekräfte werden benötigt.

„Obwohl im Wahlkampf viel darüber geredet wurde, liegen nach wie vor keine belastbaren Konzepte zur zukünftigen Organisation und Finanzierung des Pflegewesens am Tisch. Die nächste Bundesregierung wird sich dieser Herausforderung allerdings endlich stellen müssen – das sollte bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen außer Streit gestellt werden“, sagte WIFO-Leiter Christoph Badelt bei der Sozialstaatsenquete.

Dabei wurden die Vor- und Nachteile einer Finanzierung der Pflegeausgaben über Steuern sowie über ein Beitragssystem durch die Sozialversicherung diskutiert. „Die Wirkungen eines Steuer- beziehungsweise Beitragssystems hängen von den konkreten Ausgestaltungen ab. Eine Pflegeversicherung ohne begleitende Abgabenstrukturreform hätte negative Auswirkungen auf Beschäftigung und Wachstum“, erklärte die stellvertretende Leiterin des WIFO, Ulrike Famira-Mühlberger. In Deutschland wurde seit 1995 der Weg einer Pflegeversicherung in Form einer gesetzlichen Pflichtversicherung gewählt. Auch für Österreich wird nun von mehreren Seiten eine solche Versicherung angedacht. „Das deutsche Beispiel zeigt, dass eine Sozialversicherung ein geeignetes Instrument ist. Werden die Leistungen der Pflegeversicherung jedoch nicht an die Preisentwicklung für Pflegeleistungen angepasst, droht ein Verlust der Funktionsfähigkeit des Versicherungssystems und Pflegebedürftigkeit wird wieder zum Armutsrisiko“, sagte der Direktor des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen, Heinz Rothgang.

Als eine notwendige sofortige Maßnahme zur Sicherung der Pflege wird eine gesetzlich verpflichtende jährliche Valorisierung des Pflegegeldes genannt, die ab 1. Jänner 2020 in Kraft tritt. „Angesichts der wenigen ad-hoc-Anpassungen seit 1993 hat das Pflegegeld seit der Einführung deutlich an Wert verloren. Daher ist die im Sommer beschlossene verpflichtende Valorisierung ein wichtiger Schritt, damit sich Pflegebedürftige auch in Zukunft auf den Sozialstaat verlassen können und nicht in die Armut abrutschen“, betonte der Vorsitzende des Verbandsvorstands im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Alexander Biach. „Das Zukunftsthema Pflege muss ins Zentrum gestellt werden. Es braucht hier einen parteiübergreifenden politischen Willen, ein belastbares Pflegesicherungssystem zu schaffen, dass den demographischen Entwicklungen gewachsen ist“, so Biach. (rüm)