Claudia Neumayer-Stickler ist seit Jahresbeginn Vorsitzende der Konferenz der Sozialversicherungen. Im RELATUS-Sommergespräch sagt sie, welche Möglichkeiten sie für Apotheken sieht.
Bei der Bilanz-Pressekonferenz im Frühjahr hat der Dachverband der Sozialversicherungen darauf hingewiesen, dass es 2024 einen Boost bei der Eröffnung von Primärversorgungseinheiten gegeben hat. Damit im Zusammenhang konnte auch die klinische Pharmazie in einzelnen dieser Einrichtungen verankert werden. Was steckt dahinter? Es geht uns hier darum, dass der Heilmitteleinsatz gezielter angelegt wird und die Patient:innen zusätzlich zu möglichen Wechselwirkungen beraten werden. Bisher haben wir hier einzelne Projekte, wo klinische Pharmazeut:innen in einem PVE tätig sind. Ich sehe darin viele Vorteile – von der Patientensicherheit über den Wissensaustausch zwischen Ärzt:innen und Pharmazeut:innen zu neuen Medikamenten bis hin zum ökonomischen Aspekt, also dem wirtschaftlichen Einsatz von Arzneimitteln.
Bleiben wir gleich beim Thema neuer möglicher Dienstleistungen. Halten Sie das aktuelle Portfolio der Apotheken noch für zeitgemäß, oder sollte hier nachgebessert werden? Apotheken sind sicher ein sehr wichtiger Player in der Gesundheitsversorgung. Es wurde schon viel über das Impfen in Apotheken gesprochen. Über diesen Punkt könnte man schon nachdenken. Ich persönlich würde das zumindest bei bestimmten Standardimpfungen befürworten, weil es mir generell wichtig ist, dass die Impfquoten in der Bevölkerung steigen. Es ist mir ein wirkliches Anliegen, dass der Nutzen und das Positive einer Impfung wieder in den Vordergrund gerückt wird. Und dabei könnte ein zusätzliches Angebot in Apotheken helfen.
Welche Themen haben die vergangenen Monate sonst noch geprägt? Es war natürlich ein spannendes Zusammentreffen, dass kurz nach dem Start der neuen Funktionsperiode in der Sozialversicherung auch eine neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Das Programm der Koalition sieht Vieles vor, wo die Sozialversicherung eingebunden ist. Eines der großen Themen ist natürlich die finanzielle Situation – gerade in der Krankenversicherung. Hier gab es ja bereits gesetzliche Akzente, um schrittweise zu einer nachhaltig sicheren Gebarung zu kommen.
Stichwort: Regierungsprogramm. Dort werden langfristig wirkende Reformen im Bereich Gesundheit angekündigt. Was kann man sich hier konkret erwarten? Ein ganz konkreter Punkt ist, dass die Organisationsreform der Sozialversicherung von 2018/19 evaluiert werden soll. Damals wurde sehr viel verändert und es ist gut, wenn man sich das nach einigen Jahren genau ansieht. Die genaue Ausgestaltung der Evaluierung läuft derzeit noch. Aber klar ist, dass die Arbeitnehmer:innenvertretung damals massiv geschwächt wurde und damit in Zusammenhang die echte Selbstverwaltung auf Seiten der Versicherten. Das heißt: Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen in den Verwaltungskörpern gehört überprüft, die Parität müsste überdacht werden. Auch die finanziellen Rahmenbedingungen, die damals geschaffen wurden, sollte man sich ansehen. Es wurde beispielsweise der Unfallversicherungsbeitrag gesenkt, was sich nachteilig auf die AUVA aber in weiterer Folge auch auf die ÖGK ausgewirkt hat. Die Mittel zum PRIKRAF wurden erhöht. Es gibt also zahlreiche Punkte, die überprüft werden sollten.
Ein großer Brocken der amtierenden Regierung war der Beschluss des Doppelbudgets. Ab 2026 ist ein Gesundheitsreformfonds in der Höhe von jährlich rund 500 Millionen Euro vorgesehen. Welche Projekte sind damit verbunden? Das genaue Regelwerk ist noch offen. Es braucht hier noch eine gesetzliche Konkretisierung und die detaillierte Ausgestaltung der Rahmenbedingungen. Der Ausbau der niedergelassenen Versorgung ist sicher eines der Kernthemen, also der Ausbau im Bereich der Primärversorgung, der Fachärzte, der Expertisezentren für chronische Erkrankungen. Da wird es viele Mittel brauchen. Wobei die Sozialversicherung bei jenen Themen, bei denen sie zuständig ist, auch in die Umsetzung eingebunden werden sollte. Generell braucht es jedenfalls Investitionen im Gesundheitsbereich, dem muss aus meiner Sicht bei Verwendung der Gelder der Vorrang gegeben werden. (Das Interview führte Evelyn Holley-Spiess)