Neue ADA/EASD-Empfehlungen: Fachgesellschaften setzen neue Prioritäten

Im Zentrum der neuen Empfehlungen steht eine noch ausgeprägtere Individualisierung der Therapie, die sich vor allem am individuellen Risikoprofil des Patienten orientiert.  „Den Patienten ins Zentrum der Versorgung stellen“, lautet das Motto der Leitlinie. Anlässlich der Präsentation des Dokuments im Rahmen des EASD-Kongresses in Berlin betonte Melanie Davies fünf Eckpunkte der Leitlinie: Die Empfehlungen wurden durch aktuelle Evidenz aus den vergangenen beiden Jahren maßgeblich beeinflusst. Es wird die Rolle von Lebensstilinterventionen stärker betont. Dabei wird besonders auf Maßnahmen zur Gewichtsreduktion, inklusive der bariatrischen Chirurgie, Wert gelegt. Auch das Patienten-Selbstmanagement wird stärker betont, da dieses einen Schlüssel zu jeder erfolgreichen langfristigen Pharmakotherapie darstellt. Die konkreten Empfehlungen beruhen auf den großen kardiovaskulären Endpunktstudien der letzten Jahre und beziehen klinische Problemfelder wie zum Beispiel das Hypoglykämie-Risiko ein.  GLP1-Rezeptoragonisten soll als erste Injektionstherapie der Vorzug gegenüber Insulin gegeben werden.

Was bleibt, ist die Bedeutung einer konsequenten Zuckersenkung. HbA1c-Ziele sollen mit dem Patienten individuell auf Basis individueller Patientenfaktoren vereinbart werden. Für eine stringentere Kontrolle sprechen unter anderem jüngeres Patientenalter bzw. lange Lebenserwartung sowie die Möglichkeit, das gewählte Ziel ohne hohes Hypoglykämierisiko zu erreichen. Hohes Alter oder Multimorbidität und damit begrenzte Lebenserwartung sprechen hingegen für eine weniger strenge glykämische Kontrolle.

Mit der Therapie-Eskalation nicht zu lange zuwarten

Die neue Leitlinie warnt ausdrücklich vor klinischer Trägheit (clinical inertia) im Sinne verzögerter Therapie-Eskalation. Grund für dieses Nicht-Handeln, wenn Handeln indiziert wäre, könne einerseits das Überschätzen der gewählten Therapie, darüber hinaus aber auch mangelndes Wissen sein. Die Leitlinie empfiehlt kontinuierliches Monitoring der Therapie und das Erstellen eines mit dem Patienten abgestimmten Management-Plans.

Medikamentöse First-Line Therapie bleibt Metformin. Wenn das angestrebte HbA1c-Ziel damit nicht erreicht wird, ist eine schrittweise Eskalation der Therapie indiziert. Initiale Kombinationstherapien werden nicht generell empfohlen, können aber erwogen werden, wenn das HbA1c mehr als 1,5 %-Punkte  über dem Therapieziel liegt. Bei Hinweisen auf einen katabolen Zustand ist an einen unerkannten Typ-1-Diabetes zu denken, dieser entsprechend abzuklären und rechtzeitig eine Insulintherapie zu beginnen.

Assess cardiovascular risk first!

Die Leitlinie geht auch besonders auf das Management von Patienten mit bestehender kardiovaskulärer Erkrankung ein (Abbildung). So soll bei insuffizienter Metformin-Therapie als erstes der kardiovaskuläre (KV) Risikostatus abgeklärt werden. Bei atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD), z.B. manifester KHK, soll als erste Erweiterung der Therapie über Metformin hinaus ein GLP1-Rezeptoragonist  oder ein SGLT2-Inhibitor mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Benefit zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz und/oder kardiovaskulärer Erkrankung und Herzinsuffizienz wird, eine ausreichende glomeruläre Filtrationsleistung vorausgesetzt,  ein SGLT2-Inhibitor empfohlen. Diese Empfehlungen beziehen sich ausdrücklich auf spezifische Vertreter der genannten Klassen, für die der kardiovaskuläre oder renale Benefit in den großen Outcome-Studien demonstriert werden konnte – konkret der GLP1-Rezeptoragonist Liraglutid und der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin. Es sei, so die Leitlinie, nicht geklärt, ob es sich hier um Klasseneffekte oder um Wirkungen der einzelnen, getesteten Substanzen handle.

Um die entsprechenden Entscheidungen früh treffen zu können, wird eine Abklärung hinsichtlich ASCVD, Herzinsuffizienz und chronische Nierenerkrankung früh im Krankheitsverlauf empfohlen. Da zwischen 15 und 25 Prozent der Patienten mit Typ-2-Diabetes von diesen Folgeerkrankungen betroffen sind, ist die Trefferquote bei entsprechendem Screening hoch.

Das Konsensus-Papier wurde zeitgleich mit der Präsentation in Diabetologia und Diabetes Care publiziert [1].

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1) Davies MJ et al. Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2018. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia. 2018 Oct 5. doi: 10.1007/s00125-018-4729-5. [Epub ahead of print] und Diabetes Care. 2018 Oct 4. pii: dci180033. doi: 10.2337/dci18-0033. [Epub ahead of print]

 

AT/LR/1018/0161