Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Volker Strenger
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Graz
26.3.2020. Bisherige Daten zu pädiatrischen COVID-19 Fällen sind rar, nehmen jedoch von Tag zu Tag zu. Kinder erkranken im Vergleich zu Erwachsenen seltener und haben meist einen milderen Verlauf. Ob Säuglinge oder Kinder mit Vorerkrankungen ein höheres Risiko für schwere Verläufe haben, werden weitere Daten zeigen.
Die Arbeitsgruppe für Infektiologie der ÖGKJ (Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde) hat die Datenlage zum Thema COVID-19 bei Kindern zusammengefasst. (Stand 20.3.2020)
Auf Basis welcher Daten wurde diese Zusammenfassung erstellt?
Diese Zusammenfassung der Informationen zu pädiatrischen COVID-19 Patienten beruht auf Daten aus Publikationen in (großteils peer-reviewten) wissenschaftlichen Journalen, Publikationen der chinesischen, italienischen und internationalen Gesundheitsbehörden sowie Erfahrungsberichten von chinesischen und italienischen ÄrztInnen. Umfassende Informationen zu COVID-19 bei Kindern werden erst langsam verfügbar.
Wie häufig ist COVID bei Kindern?
Kinder erkranken wesentlich seltener als Erwachsene. Eine Auswertung der ersten knapp 45.000 labor-bestätigten COVID-Fälle in China zeigt, dass Kinder <10 Jahren nur 0,9% (416 Kinder) und Kinder zwischen 10 und 19 Jahren nur 1,2% (549 Kinder) der Fälle ausgemacht haben (1). Diese Auswertung bezieht sich nur auf Fälle, welche in der Regel aufgrund von (relevanter) Symptomatik getestet wurden. Wie viele Patienten (inkl. Kindern) erkrankt sind, aber aufgrund einer milden Symptomatik nicht getestet wurden, ist naturgemäß unbekannt.
Gibt es Daten zur Mortalität bei Kindern?
Bisher sind kaum Todesfälle bei Kindern bekannt. Während die Gesamtsterblichkeit in der chinesischen Analyse 2,3% betragen hat, ist kein Kind <10 Jahren (von 416) und ein Kind von 549 (entsprechend 0,18%) zwischen 10 und 19 Jahren verstorben (1). Eine später veröffentlichte Arbeit berichtet über den Tod eines 10 Monate alten Säuglings in Wuhan mit einer Invagination (2). In einer Untersuchung zu den ersten 2.003 Todesfällen in Italien mit Stand 17.3.2020 zeigte sich kein pädiatrischer Todesfall (3).
Was weiß man zur Schwere der Erkrankung bei Kindern?
In der bisher größten pädiatrischen Arbeit mit über 2.000 Kindern, welche auch Verdachtsfälle inkludiert, waren Kinder aller Altersstufen betroffen. Ein signifikanter Geschlechterunterschied zeigte sich nicht. Zirka 4% der Fälle verlief asymptomatisch und fast 90% zeigten einen milden oder moderaten Verlauf. Schwere Verläufe waren insgesamt selten (6%), jedoch waren Kinder unter 1 Jahr am häufigsten von einem schweren Verlauf betroffen. Allerdings waren in dieser Altersgruppe knapp 80% der Fälle lediglich Verdachtsfälle (ohne SARS-CoV-2-Laborbestätigung), sodass die Autoren davon ausgehen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser schweren Verläufe durch andere Viren (v.a. RSV) und nicht durch SARS-CoV-2 verursacht gewesen sein könnte (4).
Sind intensivpflichte Verläufe beschrieben?
Es existieren einzelne Berichte (als Teil von Fallserien bzw. in persönlicher Kommunikation) von intensivpflichtigen pädiatrischen Patienten, jedoch sind Daten zu Grund- bzw. Begleiterkrankungen, Alter, Schwere oder Organmanifestationen bisher nicht ausreichend beschrieben (2, 5).
Gibt es Hinweise auf eine vertikale Transmission?
Bisher gibt es keine ausreichenden Hinweise, dass SARS-CoV-2 vertikal übertragen wird. In zwei kleinen Fallkohorten mit je 9 an COVID-19 erkrankten Mütter, wurden die Neugeborenen allesamt negativ getestet (6, 7). Ebenso war die Testung von Amnionflüssigkeit, Nabelschnurblut und Muttermilch negativ (6). Jedoch zeigten sich in einer diesen Kohorten vermehrte fetale Komplikationen wie Frühgeburtlichkeit oder respiratorischer Stress, wobei der direkte Zusammenhang mit SARS-CoV-2 nicht geklärt ist. Ebenso könnten diese Komplikationen eher indirekt durch die Erkrankung der Mutter (z.B. wegen frühzeitiger Sectio) als durch eine Infektion des Kindes erklärt werden (7). So muss natürlich auf neonatalen Intensivstationen damit gerechnet werden, dass aufgrund einer SARS-CoV-2-Erkrankung der Mutter eine prämature Entbindung indiziert wird und die Frühgeborenen behandelt werden müssen. In einem Fallbericht aus China wurde ein Neugeborenes einer SARS-CoV-2 positiven Mutter 36 Stunden nach der Geburt positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Die Testung von Nabelschnurblut, Plazentagewebe und Muttermilch waren negativ. Es ist daher unklar, ob es sich um eine vertikale oder postpartale Übertragung handelt. Der klinische Verlauf des Säuglings war mild (8).
Ist eine Übertragung über Muttermilch denkbar?
In der Muttermilch SARS-CoV-2 positiver Mütter wurde bisher keine Virus-RNA nachgewiesen (6). Von den meisten Fachgesellschaften wird das Stillen durch SARS-CoV-2 positive Mütter (bzw. Füttern abgepumpter Mutter-Milch) empfohlen. Dabei sollte aber in jedem Fall das Übertragungsrisiko durch Tröpfcheninfektion berücksichtigt werden (Mundschutz und Händehygiene).
Welche Symptome sind für COVID typisch?
Typische Symptome beim Erwachsenen sind – nach einer Inkubationszeit von meist 5-6 Tagen (seltener 1-14 Tagen) – unter anderem Fieber (88%), trockener Husten (68%) und Abgeschlagenheit (38%). Seltener kommt es zum Auftreten von Kurzatmigkeit (19%), Myalgie/Arthralgie (15%) Kopfschmerzen (14%) und Halsschmerzen (14%), Erbrechen (5%) oder Diarrhoe(4%) (8). Von italienischen Kollegen wird berichtet, dass anfangs die respiratorischen Symptome fehlen können und bei manchen Erkrankten primär nur Fieber und Abgeschlagenheit auftreten, jedoch eine reduzierte Oxygenierung auffällt (persönliche Kommunikation). Der Großteil der Erkrankungen verläuft mild.
Wie wahrscheinlich ist ein asymptomatischer Verlauf?
Asymptomatische Verläufe sind beschrieben, wobei die Häufigkeit dieser bei Erwachsenen noch unklar ist. Nach chinesischen Daten entwickelten 75% der initial asymptomatischen Patienten im Verlauf Symptome, sodass durchwegs asymptomatische Verläufe derzeit als eher selten angesehen werden (geschätzte 1-3%) (9). Bei Kindern sind asymptomatische Verläufe in bis zu 16% der Gesamtkohorte (2) und in einzelnen Altersgruppen sogar in über 30% beschrieben (4), wobei hier teilweise unklar ist, ob es im weiteren Verlauf zu Symptomen gekommen sind.
Gibt es Daten über spezifische Symptome bei Kindern?
Bei den wenigen detaillierten Berichten über spezifische Symptome bei Kindern mit COVID-19 wird Fieber in 40–100% und Husten in 40–100% der symptomatischen Fälle beschrieben. Weitere beschriebene Symptome sind Pharyngitis (5–40%), Rhinitis (10–30%) und Diarrhoe (10–30%) (2, 5, 10-14). Eine Arbeit berichtet über drei neonatale Fälle in China. Bei diesen zeigte sich Kurzatmigkeit, Husten, Fieber und gastroösophagealer Reflux (15).
Wie lange ist der Erkrankungsdauer bei Kindern?
Bei Erwachsenen beträgt die Zeit bis zur Genesung für leichte Fälle ca. 2 Wochen, während sie für schwerwiegende Fälle mit 3-6 Wochen angegeben wird. Inwieweit sich Inkubationszeit und Erkrankungsdauer bei Kindern von denjenigen bei Erwachsenen unterscheiden, ist noch nicht ausreichend untersucht (8). In einer Arbeit mit 171 Kindern wird die mediane Fieberdauer mit 3 Tagen und die maximale Dauer mit 16 Tagen angegeben (2). In einer kleinen Fallkohorte mit sieben Kindern in der frühen Phase der Epidemie in Wuhan zeigten sich Fieberverläufe zwischen 3 und 11 Tagen (5).
Was weiß man zur Dauer der Virusausscheidung bei Kindern?
Eine Virusausscheidung kann (bei Erwachsenen) bereits 1-2 Tage vor Auftreten von Symptomen beobachtet werden. Bei Kindern wurde dies noch nicht untersucht. Nach Abklingen der Infektion kann es insbesondere bei Kindern noch mehr als einen Monat zum Ausscheiden von Virus-RNA über den Stuhl kommen (10, 13), wobei deren Infektiosität unklar ist (9).
Sind Laborauffälligkeiten beschrieben?
Laboruntersuchungen bei Kindern zeigten neben normalen oder erniedrigten Gesamt-Leukozyten auch eine Lymphopenie oder Neutropenie. In schweren Fällen kann es zu erhöhten LDH-Werten oder Leberwerten kommen. CRP und PCT sind häufig normal (12).
In den durchgeführten CT Untersuchungen zeigen sich bei Kindern – ähnlich wie bei Erwachsenen -vorzugsweise fleckförmige, milchglasartige Trübungen (16).
Gibt es Daten zur Erkrankung bei Kindern mit Risikofaktoren?
Bei Erwachsenen sind (in teilweise univariaten und daher nicht ganz repräsentativen Analysen) als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf u.a. kardiovaskuläre Grunderkrankungen, Diabetes mellitus, chronische respiratorische Erkrankungen, arterielle Hypertonie und maligne Erkrankungen (bzw. deren Therapie) genannt (1, 17). Daten zu Kindern mit Risikofaktoren und Grunderkrankungen (primäre und sekundäre Immundefizienz, maligne Grunderkrankung, chronische respiratorische Erkrankungen wie Cystische Fibrose, kardiale Erkrankungen, etc.) werden in den bisherigen pädiatrischen Analysen kaum erwähnt (1, 4). In einer Arbeit mit 171 Kindern mussten drei Kinder intensivmedizinisch behandelt werden, welche unterschiedliche Vorerkrankungen hatten (nicht nähere definierte Hydronephrose, Leukämie in Erhaltungstherapie, Invagination) (2).
Ob sich aus der Tatsache, dass so wenige Erkrankungsfälle bei Kindern mit Grunderkrankungen berichtet werden, ableiten lässt, dass diese weniger gefährdet sind als Erwachsene mit Risikofaktoren, ist in Diskussion. Auch italienische Kollegen berichten lediglich von Einzelfällen von SARS-CoV-2-erkrankten Kindern mit oben genannten Risikofaktoren (persönliche Kommunikation).Dies könnte jedoch auch daran liegen, dass diese PatientInnengruppen schon allein wegen ihrer Grunderkrankung häufiger Sozialkontakte meiden als andere, und sich daher weniger leicht infizieren.
Was ist bei der Testung zu berücksichtigen?
Der Nachweis von SARS-CoV-2 erfolgt mittels RT-PCR. Als Material kann neben einem naso- oder oropharyngealen Abstrich auch Sputum, BAL oder Trachealsekret herangezogen werden. Ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion nicht mit Sicherheit aus und sollte bei anhaltendem Verdacht wiederholt werden (18). Eine Testung vor Symptombeginn kann trotz vorliegender Infektion negativ sein, da es erst ca. 1-2 Tage vor Symptombeginn zur Virus-Ausscheidung kommt (9).
Wie ist die Datenlage zur Therapie und zum Management bei Kindern?
Wichtiger Bestandteil des Managements von bestätigten COVID-19 PatientInnen ist die frühzeitige Isolierung zur Verhinderung der weiteren Transmission. Bei stationärer Aufnahme sollte neben strengsten Isolationsmaßnahmen eine regelmäßige Überwachung hinsichtlich des klinischen Zustands und der Vitalparameter (insbesondere der Oxygenierung) erfolgen, um frühzeitig – die bei Erwachsenen oft als plötzlich einsetzend beschriebene – Verschlechterung des Krankheitsverlaufes zu erkennen (19).
Die Datenlage zu spezifischen therapeutischen Maßnahmen insbesondere bei Kindern ist noch sehr schwach.
Welche Medikamente kommen zur Anwendung?
Bisher gibt es keine zugelassenen Medikamente zur Therapie von COVID-19 bei Erwachsenen und Kindern. Eine publizierte Arbeit aus China empfiehlt bei Kindern inhalativ Interferon-alpha-2 sowie Lopinavir/Ritonavir (19). In einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 199 Erwachsenen mit schwerem Verlauf zeigte Lopinavir/Ritonavir jedoch keinen signifikanten Vorteil (20). Der Einsatz von Kortikosteroiden sollte vermieden werden und nur in speziellen Situation oder schweren Fällen in Betracht gezogen werden (19, 21). Remdesivir, welches ursprünglich zur Therapie von Ebola entwickelt wurde, zeigt in vitro eine Hemmung von SARS-CoV-2 (22) und wurde bei Erwachsenen bereits in einzelnen Fallserien eingesetzt. Klinische Studien hierzu sind im Laufen. Daten zum Einsatz bei Kindern sind jedoch bisher nicht bekannt. (Hydroxy-)Chloroquin zeigt ebenso eine in vitro Aktivität (22, 23), jedoch sind auch hier bisher nur wenige Daten und ausschließlich bei Erwachsenen bekannt. Ein Kind erhielt auf einer Intensivstation intravenöse Immunglobuline (5). Allerdings ist nicht anzunehmen, dass in handelsüblichen, gepoolten Immunglobulin-Präparaten spezifische Antikörper gegen dieses neuartige Virus enthalten sind.
Wann ist von einer Genesung zu sprechen, wann kann die Isolierung beendet werden?
Eine Entlassung bzw. Entisolierung sollte erst nach Genesung und dem Nachweis von zwei negativen PCR Tests im Abstand von mindestens 24 Stunden erfolgen (8).
Kommen Kinder als primäre Überträger in Betracht?
Aufgrund der milden und eventuell auch asymptomatischen Verläufe bei Kindern, werden diese oft als eine wichtige Quelle der Transmission genannt. Dies wurde jedoch noch nicht systematisch untersucht und belegt. In einer Arbeit von 20 Kindern waren in 65% auch andere Familienmitglieder betroffen, die Transmissionsrichtung ist hier jedoch nicht untersucht (11). Auch italienische Kollegen berichten, dass die pädiatrischen Erkrankungsfälle großteils in familiären Clustern auftreten und die Kinder eher von Erwachsenen im häuslichen Umfeld infiziert wurden (persönliche Kommunikation). Eine verlässliche Aussage zu diesem Thema kann derzeit nicht gemacht werden.
Conclusio
Bisherige Daten zu pädiatrischen COVID-19 Fällen sind rar, nehmen jedoch von Tag zu Tag zu. Kinder erkranken im Vergleich zu Erwachsenen wesentlich seltener und haben meist einen milderen Verlauf. Schwere und kritische Verläufe sind selten, Todesfälle werden vereinzelt berichtet. Ob Säuglinge oder Kinder mit Vorerkrankungen ein höheres Risiko für schwere Verläufe haben, werden weitere Daten zeigen.
Auch wenn Kinder seltener und milder betroffen sind, müssen pädiatrische Einrichtungen auf die Anforderungen dieser Pandemie (Isolationsmaßnahmen, Schutz der MitarbeiterInnen, Diagnostik, Behandlung, ggf. Intensiv-Behandlung, Management von Patienten mit erkrankten Eltern) vorbereitet sein.
Literatur