„Es wird nicht mehr so werden wie früher. Das ist eine gute Nachricht.“

Der Ausgang ist am Beginn der Reise ungewiss. Wir machen uns auf den Weg, indem wir es wagen, uns einzugestehen, dass es nie mehr so werden wird wie früher und dass das keine schlechte, sondern eine gute Nachricht ist.“ Ein bis zwei Mal im Monat hat Johannes Rauch als Vorarlberger Landesrat sich in einem Blog tiefere Gedanken über Politik und Gesellschaft gemacht. 2022 war nach dem Februar Schluss damit. Am 8. März wurde er als Minister angelobt. Seither war er mit Pandemie, Pflegereform, Bundespolitik, Inflation und vielem mehr beschäftigt. Bis Anfang Mai. Da hat er wieder einen Blogbeitrag veröffentlicht – zur Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Zeiten von Krieg, Pandemie, Inflation und Klimawandel. Der Text beginnt mit dem Titel dieses Porträts und er endet mit dem ersten Zitat dieses Textes: „Der Ausgang ist am Beginn der Reise ungewiss.“

Politik als Handwerk mit Haltung

Den Text kann man auch als Ansatz für Rauchs Arbeit als Sozial- und Gesundheitsminister verstehen. Es steht viel an Arbeit an. Nicht nur die Pandemiebekämpfung bleibt ein Dauerthema – auch andere Reformen warten. Ganz neu sind diese Themen für Rauch nicht, hat er doch das aktuelle Regierungsprogramm mitverhandelt. Politik bedeute Arbeit in dem Sinn, dass man sich in eine Materie vertiefen und auch die Details verstehen müsse, sagte Rauch vor einem Jahr. Damals trat er nach 24 Jahren als Chef der Vorarlberger Grünen ab, wollte sich auf den Rückzug als Landesrat vorbereiten. Dann kam es bekanntlich anders und er folgte Wolfgang Mückstein als Gesundheitsminister. Politik sei auch ein Handwerk und verlange Haltung, formulierte Rauch 2021. Am Wesen des Politikbetreibens habe sich in den vergangenen mehr als 30 Jahren nicht viel verändert. „Es geht um das Finden von Mehrheiten, um Gesetze, um Geld“, sagte Rauch. Beim Bundeskongress der Grünen im Mai in Villach legte der grüne Realo nach: „Ich habe den Vorteil, ich bin 63, ich habe nichts mehr zu verlieren, muss mich auf gut Deutsch nichts mehr scheißen, und das ist eine gute Voraussetzung.“
Tatsächlich bescheinigen politische Gegner wie auch Ländervertreter dem Gesundheitsminister nach der kurzen Zeit am bundespolitischen Parkett, dass er das Gespräch sucht, Lösungen finden will und dabei auch klare Worte und eine klare Linie nicht scheut. Gesprächsbereitschaft müsse es immer mit allen geben, auch wenn es manchmal vielleicht Überwindung koste, hat Rauch einmal gesagt. Diese Richtung gibt er auch den Stakeholdern im Gesundheitswesen vor: „Mein Befund nach den ersten Wochen: Es müssen sich alle aus ihren eingegrabenen Positionen he­rausbewegen und in ein Verhandlungssetting kommen. Ich halte es nicht aus, wenn alle nur entlang der Fragen diskutieren: ,Sind wir dafür zuständig?‘ und ,Müssen wir es zahlen?‘. Das betrifft auch die Bundesländer. Dort versuche ich auch eine Einheitlichkeit in der Einschätzung hinzubekommen“, erklärt er im Interview mit PHARMAustria. Wenn es nicht gelinge, alle wesentlichen Player in ein Verhandlungssetting zu bekommen, werde man die Probleme nicht lösen können. „Ich bin in vielen Bereichen nur der Moderator und muss es schaffen, dass alle Seiten – wie etwa Krankenversicherungen und Ärztekammer – vernünftig miteinander reden. Ich kann deshalb nur appellieren: Bitte in ernsthafte Verhandlungen eintreten! Natürlich wird man über manche Dinge auch streiten, aber ohne ernsthafte Verhandlungen werden wir nichts verändern – verändern bei der Verbesserung der Qualität, bei der Versorgungssicherheit und für das Personal.“
Wie Veränderung aussehen kann, zeigte Rauch dann ohne „Vorwarnung“ mit der Präsentation eines milliardenschweren Pflegepakets. Erst am Vorabend waren die Medien dazu eingeladen worden, und nur ganz wenige hatten davor Hinweise erhalten, dass die Verhandlungen zur Reform abgeschlossen waren. Offiziell hatte Rauch noch Tage zuvor davon gesprochen, dass er „vor dem Sommer“ die lange erwartete und seit Jahren versprochene Reform abschließen wolle. Dazu kam – und auch das überraschte – viel Lob für das Paket: von den Ländern und Gemeinden über Pflegeorganisationen bis zur Gewerkschaft. Auch wenn angemerkt wird, dass die Reform nur ein erster Schritt sein könne, ist die weitgehende Zustimmung doch ungewöhnlich.

Gesprächsfähigkeit erforderlich

Rauch ist sicherlich kein „Wunderwuzzi“, dem in nur zwei Monaten gelingt, was andere Minister und ganze Regierungen in den vergangenen Jahren im Pflegebereich verabsäumt haben. Er erntet wohl auch, was die oft kritisierten grünen „Corona-Minister“ Rudolf Anschober und Wolfgang Mückstein im Hintergrund und ohne viel Aufsehen vorgearbeitet haben. Offenbar waren Länder und Pflegeorganisationen dabei breit eingebunden und haben die Verhandlungen dennoch nicht öffentlich geführt. Das spricht für den Willen aller, ein gutes Paket zu schnüren. Und es spricht für die Gesprächsfähigkeit des neuen Ministers.
Die wird er auch brauchen. „Wir haben im Herbst vier sich überlagernde Krisen: die Energiefrage, die Teuerung – die uns länger begleiten und auf alle Bereiche durchschlagen wird –, die Pandemie und die Flüchtlingssituation durch den Ukrainekrieg. Entlang dieser Ausgangssituation wird man die Budget- und Finanzausgleichsverhandlungen denken und führen müssen“, so der Minister im Interview. Die Verhandlungen beginnen jetzt und man müsse Pflege und Gesundheit als eng zusammengehörend denken. „Diese Gespräche werden, salopp formuliert, brutal – alle stehen finanziell an der Wand. Vielleicht ist das aber auch eine gute Möglichkeit, Strukturreformen anzudenken.“ Er könne nicht riskieren, 10–15% der Bevölkerung in die Armut abrutschen zu lassen.
Rauch weiß, wovon er spricht, wenn er über soziale Themen redet. Nach Absolvierung der Handelsschule arbeitete er einige Jahre in einer Bank, um dann die Fronten zu wechseln. Von 1981 bis 1985 war er bei der Pfarrgemeinde Rankweil als Jugendarbeiter angestellt und absolvierte in dieser Zeit teilweise berufsbegleitend die Akademie für Sozialarbeit in Bregenz. Anschließend arbeitete er als diplomierter Sozialarbeiter in den Bereichen Sozialpsychiatrie, Arbeitslosenbetreuung und Schuldenberatung, ehe er 1997 Geschäftsführer der Arbeitsinitiative für den Bezirk Feldkirch (ABF) wurde. Ab 1990 war er daneben politisch tätig, baute die Grünen in der Gemeinde und in Vorarlberg mit auf. 1995 kam er in den Landesvorstand der Vorarlberger Grünen, zwei Jahre später wurde er nach einer Stichwahl gegen Grünen-Legende Kaspanaze Simma Vorstandssprecher, ab 2000 war er schließlich hauptberuflich Politiker und saß im Landtag.
Rauch hat zwei erwachsene Töchter aus erster Ehe, liebt die Natur, Skitouren und das Radfahren. Im Dezember 2021 heiratete Rauch seine Lebensgefährtin Gabriele Sprickler-Falschlunger, Vorsitzende der Vorarlberger SPÖ und langjährige niedergelassene Allgemeinmedizinerin.