Interview

Großer Spitalsträger – große Herausforderungen

ARZT & PRAXIS: Das Spitalskonzept 2030 sieht 6 Spitäler (mit dem AKH 7) in 3 Regionen vor. Gleichzeitig unterstreichen Sie die Gesundheitsversorgung in leicht erreichbarer Distanz zum Wohnort. Ein Widerspruch?

Mag.a Evelyn Kölldorfer-Leitgeb: Das Gesundheitssystem fußt auf mehreren Säulen. Jede dieser Säulen erfüllt ihre eigene Aufgabe im Sinne der Gesundheit der Wiener:innen. Die Versorgung in Wohnortnähe ist ein klassischer Vorzug, der von den Ärzt:innen im niedergelassenen Bereich erwartet wird. Neben den niedergelassenen Ärzt:innen stehen in Wien außerdem 20 Akutkrankenanstalten zur Verfügung. Mit dieser Angebotsdichte gehört die Stadt Wien mit Sicherheit zu einer der bestversorgten Millionenstädte der Welt. Die Kliniken des Wiener Gesundheitsverbundes tragen dabei den Hauptanteil der Versorgung. Sie erbringen über 75 % aller Spitalsleistungen in der Bundeshauptstadt. Gemeinsam mit der Wiener Berufsrettung und den privaten Rettungsorganisationen stellen die Spitalsbetreiber in Wien sicher, dass im Ernstfall von überall in der Stadt jederzeit und in kurzer Zeit ein Krankenhaus erreicht werden kann.

Der WIGEV möchte bis 2040 klimaneutral werden. Wie soll das gelingen?

Bei der Modernisierung unserer Kliniken sind die Klimaziele der Stadt Wien ein ganz wichtiger Aspekt. Sowohl bei den Neubauten als auch bei den Sanierungsprojekten werden hohe Energiestandards zur Anwendung kommen mit dem Ziel, Emissionen zu reduzieren. An einigen Klinikstandorten wird zum Beispiel Geothermie zum Einsatz kommen. Probebohrungen sind bereits im Gange. An allen Klinikstandorten wird es auch in Zukunft attraktive Grünflächen geben, die nicht nur zur Erholung der Patient:innen beitragen, sondern die auch das Mikroklima im Grätzel verbessern, Lebensraum für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt sind. Pkw-Stellplätze an unseren Klinikstandorten werden reduziert und von der Oberfläche in Garagen verlegt, die Klinikareale werden fußgänger- und radfahrerfreundlich. Kurzum: Wir nutzen alle Möglichkeiten, um dem Ziel der Klimaneutralität näher zu kommen.

Kommen wir zur Personalsituation. Spüren Sie noch die Auswirkungen der 2015 eingeführten 48-Stunden-Woche?

Was uns seit einigen Jahren beschäftigt, ist der hohe Bedarf an Fachkräften in den verschiedensten Bereichen. Die Gründe dafür kennen Sie. Sie betreffen die Wirtschaft und die Gesellschaft im Allgemeinen sowie alle Branchen gleichermaßen: Babyboomer gehen in den kommenden zehn Jahren in Pension und es kommen weit weniger potenzielle Arbeitskräfte nach. Am dringendsten ist der dadurch entstehende Bedarf in der Pflege. Wir haben daher in Wien in den letzten Jahren die Ausbildungsplätze verdoppelt. Bei den Ärzt:innen ist das Bild ein wenig differenzierter. Der Bedarf konzentriert sich hier auf einzelne Fächer wie beispielsweise die Psychiatrie, die Anästhesie oder die Notfallmedizin. Natürlich hat die Neuregelung der Arbeitszeiten auch zu einem Mehrbedarf an Dienstposten geführt, den wir als Wiener Gesundheitsverbund selbstverständlich erfüllen und laufend evaluieren. Die Herausforderung der nächsten Jahre wird sein, die Mitarbeiter:innen im System zu halten und frei werdende Stellen möglichst rasch nachbesetzen zu können.

Können Sie bereits abschätzen, in welchen Bereichen die Pensionierungswelle den WIGEV besonders treffen wird?

Ich möchte hier keinen einzelnen Bereich besonders hervorheben. Je nach Altersstruktur der Mitarbeiter:innen wird es aber einzelne Abteilungen oder Stationen zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Härte treffen. Aber wir setzen all jene Maßnahmen, die wir setzen können: möglichst langes Halten des bestehenden Personals, intensives Recruiting in Bereichen des Bedarfs und vorausschauendes Planen.

Die Gehaltsordnung macht im Großen und Ganzen keinen Unterschied zwischen den einzelnen Fachdisziplinen. Wäre ein höheres Gehalt in Mangel-fächern denkbar?

Die Situation von Spitalsärzt:innen in Österreich ist eine besondere. Im Gegensatz zu den Berufskolleg:innen in Deutschland etwa steht es unseren Fachärzt:innen frei, neben ihrer (Vollzeit-)Beschäftigung in der Klinik eine eigene Praxis zu führen. Unsere Kolleg:innen machen von dieser Möglichkeit auch zu einem sehr hohen Anteil Gebrauch. Die flexiblen Dienstzeiten, die der Wiener Gesundheitsverbund bietet, schaffen auch eine sehr gute Vereinbarkeit dieser beiden Betätigungsfelder. Im internationalen Vergleich und in der Bewertung der Bezüge sind diese Rahmenbedingungen meines Erachtens auch miteinzubeziehen. In wirklichen Mangelfächern wie etwa der Kinder- und Jugendpsychiatrie müssen sicherlich Anreize gesetzt werden, um ausreichend Fachkräfte für das System zu gewinnen. Und die Bezahlung gehört natürlich zu diesen Anreizen dazu.

Wir kennen die Abwanderungsproblematik bei Medizinstudierenden. Wie steht es um die Pflegeschüler:innen?

Bisher muss ich auf Holz klopfen – weit über 80 % des Pflegenachwuchses, für den wir als größter Ausbildner im Gesundheitsbereich sorgen, tritt auch tatsächlich in einer unserer Einrichtungen den Dienst an. In der Folge ist es dann natürlich unsere Aufgabe als Organisation, die jungen Pflegekräfte weiterzuentwickeln und möglichst lange im Wiener Gesundheitsverbund zu halten.

Die Übersiedlung der Central European University (CEU) auf das Areal der Klinik Penzing hat letztes Jahr doch nicht stattgefunden. Wie sehen die Pläne für das Areal aus? Wäre die Umwandlung in ein Pflegeheim (analog zum Krankenhaus Floridsdorf) denkbar?

Die Politik hat mit dem Spitalskonzept 2030 bereits vor vielen Jahren beschlossen, in welche Richtung sich die Spitalslandschaft in Wien entwickeln soll. Auf der Grundlage der eingeschlagenen Eckpfeiler haben wir im Wiener Gesundheitsverbund unsere Ziel- und Gesamtplanung entwickelt. Es geht ja darum, orientiert am medizinischen Leistungsbedarf der Bevölkerung die Kapazitäten langfristig und nachhaltig sicherzustellen, die für eine gute Spitalsversorgung notwendig sind. Mit unserem Konzept der Versorgungsregionen, in denen künftig jeweils zwei Partnerkliniken mit einem aufeinander abgestimmten Leistungsangebot für die Bewohner:innen der jeweiligen Region da sein sollen, haben wir uns gut aufgestellt. Die Auflassung des Standortes der Klinik Penzing ist integraler Bestandteil dieses Entwicklungskonzeptes. Daher ändert sich für uns durch die Pläne der Nachnutzung des Otto-Wagner-Areals nichts. Das Areal wurde mittlerweile zu großen Teilen bereits in die Verwaltung der verantwortlichen Magistratsabteilungen zurückgegeben. Die bisher dort verbliebenen Leistungen werden nach und nach in die anderen WIGEV-Kliniken übergeführt.

Die Wiener Ärztekammer hat letztes Jahr eine eigene Meldestelle für Missstände in Wiener Spitälern eingerichtet und beklagt derzeit die Gesprächsverweigerung seitens des WIGEV. Wie würden Sie das Verhältnis zur Kammer beschreiben und was können Sie dem vor-gestellten „10-Punkte-Plan zur Rettung der Wiener Spitäler“ abgewinnen?

Ich spreche an dieser Stelle mit Sicherheit auch für meine Vorstandskollegen, wenn ich sage: Wir arbeiten mit den Vertreter:innen der Ärztekammer gut zusammen. Überall dort, wo es um das Funktionieren unserer Kliniken als eine der tragenden Säulen der Patientenversorgung geht, ist jede:r immer herzlich eingeladen, gemeinsam die besten Lösungen im Sinne der Gesundheit zu finden. Mit dem überwiegenden Teil der im 10-Punkte-Plan aufgestellten Forderungen rennen die Kammerfunktionär:innen bei uns offene Türen ein – denn diese sind bereits erfüllt oder wir sind auf dem besten Weg dorthin.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: KAV/Weinwurm