Frauen erhalten ihre Diabetesdiagnose oft später und in einem schlechteren Gesundheitszustand als Männer. Auch bei Behandlung und Vorsorge sind sie benachteiligt.
Frauen sind im weltweiten Anstieg von Diabetes mellitus Typ 2 besonders benachteiligt – das zeigt ein aktuelles Perspektivenpapier von Michael Leutner und Alexandra Kautzky-Willer (MedUni Wien/AKH) im Deutschen Ärzteblatt. Diabetikerinnen erhalten die Diagnose meist später, oft mit bereits bestehenden Komplikationen wie Adipositas oder Bluthochdruck. Männer erkranken im Schnitt früher, während Frauen häufiger unter psychosozialem Stress und Diabetes-Distress leiden. Auch hormonelle Unterschiede, viszerales Bauchfett, nicht-alkoholische Fettleber oder ein früherer Schwangerschaftsdiabetes erhöhen bei Frauen das Risiko für die Erkrankung.
Die schlechtere Versorgungslage für Frauen setzt sich auch nach der Diagnose fort. Sie erreichen seltener die empfohlenen Zielwerte bei Blutzucker, Blutdruck und Cholesterin – teils, weil wichtige Medikamente wie Statine oder Betablocker seltener verschrieben werden. Die Folge: betroffene Frauen haben ein höheres relatives Risiko für Herzschwäche, kardiovaskuläre Erkrankungen und frühzeitige Todesfälle. Bereits bei Diagnosestellung zeigen sie laut den Wiener Forschenden häufiger fortgeschrittene Atherosklerose als Männer.
Mikro- und makrovaskuläre Folgeerkrankungen verlaufen bei Frauen mit Diabetes mellitus Typ 2 ebenfalls teils schwerer. Sie sind häufiger von Nierenschäden, neuropathischen Schmerzen und Nervenerkrankungen betroffen, während bei Augenschäden keine signifikanten Unterschiede festgestellt wurden. Depressionen und Angststörungen treten bei Diabetikerinnen den Expert:innen häufiger auf. Trotz dieser Erkenntnisse fließen geschlechtsspezifische Unterschiede in der klinischen Praxis noch kaum in individualisierte Behandlungsstrategien ein, wie Kautzky-Willer kritisiert.
Leutner und Kautzky-Willer fordern daher mehr geschlechtersensible Medizin im Umgang mit Diabetes mellitus Typ 2. Weltweit waren im Jahr 2021 bereits rund 540 Millionen Menschen betroffen – etwa 90 Prozent davon an Diabetes mellitus Typ 2. Die steigende Zahl der Erkrankten geht Hand in Hand mit zunehmender Adipositas. Umso dringlicher sei es, die Unterschiede in Entstehung, Diagnostik, Therapie und Folgeerkrankungen zwischen Männern und Frauen stärker zu berücksichtigen und systematisch in der Versorgung umzusetzen. (red/APA)