Kritik an der wirtschaftlichen Situation der ÖGK und den Folgen für Gesundheitsberufe und Patient:innen: In den Bundesländern braut sich Gegenwind zusammen.
Für den Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) war die Gesundheitskassenreform, die unter der ÖVP-FPÖ-Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) umgesetzt worden war, ein „Fehler“. Es benötige wieder eine föderale Ausgestaltung. „Es braucht durchaus die Reform von der Reform“, sagte der Tiroler Landeshauptmann am Sonntag in der ORF-Pressestunde. Als Problem machte Mattle die Zentralisierung aus. So würden in den Bundesländern Defizite gespürt, die ausgeglichen gehörten, sagte er im Hinblick auf die „Reformpartnerschaft“ mit dem Bund. Mattle plädierte dafür, im Zuge der „Reformpartnerschaft“, die Bund und Länder planen, auch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) in die Pflicht zu nehmen.
Auch in anderen Bundesländern rumort es. Thom Kinberger, Vorsitzender des ÖGK-Landesstellenausschusses in Salzburg auf Dienstnehmerseite, kritisierte in Social Media-Kanälen die geplanten Maßnahmen der Kasse. Die Zerstörung der Gebietskrankenkassen sei die „größte Milliarden Lüge der Österreichischen Geschichte“, schreibt er. Die Salzburger Versicherten würden Überschüsse erwirtschaften, „die allesamt in der Zentrale einkassiert wurden, um das Milliarden Loch zu stopfen.“ Umgekehrt würden Dienstposten hauptsächlich in den Bundesländern eingespart. „Der Dienst am Patienten“ müsse vor Ort passieren, nicht in der Wiener Zentrale, formuliert Kinberger auch in einem ORF-Interview. Und weiter: „Ein kleiner Kreis von parteipolitischen ÖGK-Strategen dirigiert die 4. größte Krankenversicherung Europas, mit 13.000 Mitarbeitenden und einem 21 Milliarden Budget, wie ihr privates Brettspiel.“
Das Brodeln innerhalb der ÖGK erfasst nicht nur Tirol und Salzburg. Es gärt auch in den anderen Bundesländern und das über Parteigrenzen hinweg. „Wenn man die Landsleute fragt, ob sich die Gesundheitsversorgung seit der ÖGK-Reform verbessert hat, würde wohl eine deutliche Mehrheit mit Nein darauf antworten“, fasst es zu Wochenbeginn der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) zusammen: Die Wartezeiten für Arzttermine würden länger, es gebe in Summe zu wenige Fachärzt:innen und daher überlastete Spitalsambulanzen. „Das ist die Realität. Aber so kann und darf es nicht weitergehen“, mahnt er dringend „Verbesserungen zum Wohle der Patientinnen und Patienten“ ein. Das sei Aufgabe der ÖGK, müsse aber auch ein zentrales Projekt der Reformpartnerschaft sein, das dringend angegangen werden solle, so Stelzer.
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) begrüßt den Vorstoß seines Tiroler Amtskollegen auf APA-Anfrage als „notwendigen und richtigen Schritt“ ausdrücklich. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) erinnerte in einer der APA übermittelten Stellungnahme daran, dass die Landeshauptleute bei ihrem jüngsten Treffen mit den Spitzen der Bundesregierung beschlossen haben, die Organisation des Gesundheitswesens als eines von mehreren zentralen Feldern grundlegend zu diskutieren. Es gehe hier nicht um ihre Meinung, es gehe um einen Evaluierungsprozess der Sozialversicherungsreform, dieser sei im Regierungsprogramm vereinbart worden, gab sich hingegen Sozialministerin Korinna Schumann im ORF-Interview vorsichtig: „Wir werden uns anschauen anhand von Zahlen, Daten, Fakten: Wo sind denn Dinge, die nicht so gut laufen? Welche Handlungsschritte müssen wir denn setzen? Da geht es nicht um Einzelmeinungen, sondern da geht es darum, dass wir Fakten und Tatsachen brauchen, die am Tisch liegen. Und nach dem kann man dann entscheiden, welche Maßnahmen zu setzen sind.“
Aus den Kassen selbst kommt vor allem von ÖVP-Seite Kritik an den Parteikollegen aus Tirol und Oberösterreich. Peter McDonald, Vorsitzender im Dachverband der Österreichischen Sozialversicherungen, Vize-Generalsekretär im ÖVP-Wirtschaftsbund und aktuell Vize-Obmann der ÖGK: „Ich kann wenig damit anfangen, wenn wichtige – damals mit den Bundesländern gemeinsam ausgearbeitete – Reformen in der Sozialversicherung immer wieder von verschiedenen Seiten aus politischen Motiven angezweifelt und kritisiert werden.“ Die Zusammenführung von 21 auf 5 Träger sei wichtig und richtig gewesen. Die Fusionsgewinne seien auch deswegen noch nicht vollständig gehoben, weil häufig die Partner auf der anderen Seite für österreichweite Lösungen fehlen, spielt er den Ball an die Länder zurück.
Auch ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer verteidigte am Dienstag die Kassenreform: „Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen, vor demografischen Herausforderungen. Die Medizin wird ambulanter, das Anspruchsverhalten der Menschen verändert sich. Diese Herausforderungen wollen wir österreichweit einheitlich – vom Bodensee bis zum Neusiedlersee umsetzen und annehmen, zum Beispiel durch Telemedizin.“ Gleichzeitig betonte er, die Reform auch kritisch zu beleuchten: „Ich denke, natürlich muss man bei Reform sich immer selbst evaluieren, das tun wir auch laufend.“ An der Grundsatzentscheidung der Kassenzusammenlegung will Wurzer aber keinesfalls rütteln: „Die österreichische Gesundheitskasse ist sehr wohl richtig und gut für die Menschen.“ (rüm)