Mehr Zentralisierung oder doch mehr Fokus auf regionale Themen? Die ÖGK ist der Versuch der Quadratur des Kreises und selbst die Kritiker:innen wissen nicht, was sie eigentlich wollen.
Die ÖGK kämpft mit Kritik aus den Bundesländern. Sowohl intern als auch von der Landespolitik. Der Grund für die Probleme liegt nicht, wie viele in den vergangenen Tagen suggerieren, im ÖGK-Management, sondern in der Historie und der Struktur selbst. 2017 hat die ÖVP-FPÖ-Regierung von Kanzler Sebastian Kurz den Bundesländern bei der Kassenfusion versprochen, dass ihr Einfluss nicht verloren geht und die Gelder der einzelnen Gebietskrankenkassen in den Ländern künftig zur Verfügung stehen werden. Nur so war überhaupt die Zustimmung der Länder möglich, die die Gebietskrankenkassen immer in ihrem Einflussbereich sahen, auch wenn sie eigentlich in der Selbstverwaltung nichts mitzureden hatten.
Beobachter:innen und Beschäftigten in den Kassen war klar, dass das unmöglich funktionieren kann, wenn der Auftrag an die ÖGK gleichzeitig die Vereinheitlichung und Zentralisierung ist. Die Landespolitik wurde mehrfach davor gewarnt, dass sie vom Bund über den Tisch gezogen wird. Doch die Gier nach den Geldern in den Gebietskrankenkassen und der Zugriff darauf in den Ländern war größer. Mit der Umsetzung der Fusion folgte die Ernüchterung. Das Management versuchte zu tun, was sein Auftrag war: Vereinheitlichung und Zentralisierung. Und wurde – wenig überraschend – in den Ländern gebremst, wo es nur ging. Geholfen hat dabei die Struktur. So gibt es etwa weiterhin in den Ländern Landesstellenausschüsse, deren Sinn bis heute niemand wirklich erklären kann.
Tatsächlich fordern die Länder nun ihrerseits eine Quadratur des Kreises: mehr Vereinheitlichung bei mehr Autonomie für die Länder. Wie das gehen soll, bleibt unbeantwortet. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) will, dass es im Gesundheitsbereich wieder vor Ort mehr Entscheidungsspielräume gibt: „Es dauert zu lange, wenn alles nur in der Bundeshauptstadt entschieden werden darf.“ Sein Vorarlberger Kollege Markus Wallner (ÖVP) will einige mutige Schritte. Die getrennten Finanzierungsströme im Gesundheitsbereich müssten aufgehoben werden. Der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP), der die Fusion der ÖGK als Fehler bezeichnet hat, rudert zurück. Er wolle keine Rückkehr zu den Gebietskrankenkassen, aber eine „Konzernstruktur mit entscheidungsbefugten Landesstellen“. Wie er diesen Widerspruch auflösen will, sagt er nicht.
Auch ÖGK-Obmann Andreas Huss, früher Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, scheint mit sich selbst nicht einig, wo jetzt der Fokus liegen soll: „In der ÖGK war es uns als Arbeitnehmervertreter wichtig, dass wir einheitliche Leistungen vom Bodensee bis zum Neusiedlersee erreichen. Es ist uns in vielen Bereichen gelungen“, sagte er zuletzt in einem ORF-Interview. Man habe einheitliche Verträge mit Physiotherapeuten, „jetzt auch dann mit Psychotherapeuten, mit Hebammen, mit Logopädinnen, mit Ergotherapeuten, im Bereich der Heilbeihilfe, Hilfsmittel, Rollstühle usw.“. Diese bundesweit einheitlichen Verträge seien „einer der wenigen Vorteile“ der neuen Struktur und brauche auch einen ärztlichen Gesamtvertrag für ganz Österreich mit einheitlichen Leistungen. Man müsse aber auch „regionaler“ werden, betonte er. Die ÖGK sei „sehr, sehr zentral“ organisiert, es werde sozusagen von der Zentrale in Wien vorgegeben, was in den Bundesländern zu passieren habe.
Und dann kommt der Satz, mit dem Oxymoron – dem Widerspruch in sich: „Wir brauchen mehr Regionalität in einer zentralen ÖGK, die zentrale Leistungen sozusagen vorgibt.“ Der Unterschied zum Oxymoron in den Aussagen der Länder ist nur, dass der innere Widerspruch eines Oxymorons eigentlich gewollt ist und der pointierten Darstellung eines doppelbödigen, mehrdeutigen oder vielschichtigen Inhalts dient. Ein anderes Oxymoron ist übrigens „beredtes Schweigen“. (rüm)