Schmerzversorgung: „Wir erleben eine Jahrhundert-Chance“

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Der Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft, Richard Crevenna von der MedUni Wien, spricht im RELATUS-Sommergespräch über den aktuellen Stand der Schmerzversorgung, Meilensteine in der Therapie und was es künftig braucht. 

Die Schmerzmedizin wurde Ende 2024 in den Strukturplan Gesundheit aufgenommen: Hat sich die Versorgung dadurch bereits verbessert? Wir sind auf dem richtigen Weg, und es tut sich was. Die bereits erfolgte Integration der Schmerzmedizin in den „Österreichischen Strukturplan Gesundheit“ ist ein Momentum, eine Jahrhundert-Chance für die Schmerzversorgung in Österreich, auf die nun solide und kontinuierlich aufgebaut werden muss. Dies ermöglicht einen grundlegenden Wandel und eine Optimierung der Versorgung von Schmerzpatient:innen. Für die Patient:innen kann dies eine Reduktion der schmerzbedingten Behinderung, eine Steigerung der Lebensqualität, der sozialen Aktivitäten und körperlichen Aktivitäten, eine raschere Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess sowie das Vorbeugen einer weiteren Chronifizierung bedeuten. Gleichzeitig kann es durch die Integration im Strukturplan ein zielgerichteterer Ressourceneinsatz durch abgestimmte, evidenzbasierte Behandlungs- und Versorgungsprozesse einerseits zu einer Entlastung von Krankenhäusern, Ambulanzen und Notärzt:innen kommen. Andererseits erwarten wir eine Kostenersparnis durch den Wegfall ineffizienter Diagnostik und Therapie, eine Verringerung der stationären, medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen, weitere Einsparungen durch einen gezielten Medikamenteneinsatz und im besten Fall eine Vermeidung von nicht notwendiger Krankenhausaufenthalte. In diese Richtung bewegen wir uns nun – aber es ist noch einiges zu tun. 

Der Strukturplan Gesundheit bezieht sich auf ganz Österreich. Welche Auswirkungen hat dies auf die regionale Schmerzversorgung? Damit Schmerzpatient:innen eine niederschwellige, faire, wohnortnahe und vor allem rasche Hilfe bekommen, müssen als weiteren Schritt nun die regionalen Gesundheitsstrukturpläne der einzelnen Bundesländer die Schmerzmedizin ebenfalls verankern. Um sektorenübergreifend arbeiten zu können, braucht es für entsprechende Pilotprojekte, die es derzeit in Wien, Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark gibt, Ressourcen, die geschaffen und bereitgestellt werden müssen.  

Auf der systemischen Versorgungsebene tut sich also etwas. In welche Richtung entwickelt sich die Schmerzforschung aktuell? Die Schmerzforschung entwickelt sich zunehmend interdisziplinär. Ein wichtiger Ansatz ist die Multimodale Schmerztherapie, bei der verschiedene Fachbereiche wie Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sportwissenschaftler:innen und verschiedene Therapeut:innen zusammenarbeiten. Der Fokus liegt auf der Funktionsverbesserung und der Selbstwirksamkeit der Patient:innen, wobei auch psychologische Therapien wie die Kognitive Verhaltenstherapie oder Achtsamkeitstechniken eine zentrale Rolle spielen. Besonders spannend sind auch die neuen Technologien wie Virtuelle Realität und Augmented Reality, die zur Schmerzbewältigung und Reizmodulation eingesetzt werden. Die digitale Transformation der Schmerzbehandlung ist grundsätzlich als Trend bemerkbar, etwa durch Apps zur Schmerzdokumentation oder KI-gestützte Auswertungen von Schmerztagebüchern, die eine genauere Anpassung der Therapie ermöglichen. In der ferneren Zukunft könnten auch Neurotechnologien und personalisierte Ansätze eine noch größere Rolle spielen. 

Welche neuen Meilensteine wurden zuletzt erreicht? Ein bedeutender Meilenstein in der Schmerzforschung ist etwa der Einsatz funktioneller Bildgebungstechnologien wie fMRT und PET, um chronische Schmerzsyndrome besser zu verstehen und die zentralen Mechanismen hinter der Schmerzchronifizierung zu entschlüsseln. Auch die personalisierte Schmerztherapie, bei der unter anderem genetische Analysen, wie das CYP450-Profil, genutzt werden, um eine individuell angepasste, gezielte Schmerzmedikation zu ermöglichen, ist ein großer Fortschritt. 

Und wie sieht es in der Therapie aus? Auf pharmakologischer Seite gibt es ebenfalls neue Entwicklungen, wie zum Beispiel hochselektive Natriumkanalblocker für neuropathische Schmerzen oder Anti-NGF-Antikörper für chronische Gelenkschmerzen. Aber auch nicht-medikamentöse Verfahren haben große Fortschritte gemacht, zum Beispiel in der Neuromodulation mit neuen Closed-Loop-Systemen oder der peripheren Nervenstimulation. Ebenso sind die zunehmenden Anwendungen physikalischer regenerativer Therapien wie der Stoßwellentherapie, spezieller Photo- und Magnetstimulationstherapien sowie der aurikulären Vagusstimulation vielversprechend. Zukünftige Technologien wie mRNA-Ansätze zur Schmerzbehandlung oder Nanotechnologien zur gezielten Wirkstoffabgabe könnten die Schmerztherapie revolutionieren, während digitale Innovationen wie Telemedizin und Apps zur Therapieunterstützung bereits heute eine größere Rolle spielen. 

Was braucht es also kurz- und langfristig, um diese Fortschritte in die österreichische Schmerzversorgung zu integrieren? Vor allem der Kommitment und Mittun aller beteiligter Player mit Bereitstellung von Ressourcen zum Aufbau eines adäquaten Versorgungsnetzes. Ein solches besteht aus den primärärztlichen Versorgungsleistungen als erster Ebene, fachspezifische Versorgungsleistungen als zweiter Ebene und multimodalen, interdisziplinären Versorgungsleistungen als dritter Ebene. Begleitend gibt es dann bedarfsweise noch die Einbeziehung von beispielsweise konsiliarisch tätigen Fachrichtungen, Wirbelsäulenchirurgischen Zentren, der Rehabilitation etc. 

Wie kann die Politik unterstützen? Von der Politik erwarte ich eine bestmögliche Unterstützung der Optimierung einer adäquaten Schmerzversorgung unserer Bevölkerung – denn Schmerzreduktion bedeutet eine Verbesserung der Mobilität, was wiederum die soziale und berufliche Teilhabe verbessert. Dies alles erleichtert ein selbstbestimmtes Leben mit weniger Abhängigkeit von fremder Hilfe wie Pflege – und damit letztens nicht nur weniger persönliches Leid und bessere Lebensqualität, sondern wohl auch eine Entlastung unseres Gesundheits- und Sozialsystems, das in Zukunft immerhin von immer weniger Schultern getragen werden muss. (Das Interview führte Katrin Grabner.)