Rechtliche Hürden behindern Ausbau

Erst wird ein Termin vereinbart, dann fragt der/die Ärzt:in via Bildschirm den/die Patient:in, wie es ihm/ihr geht. Anschließend werden Gesundheitswerte besprochen. Wird eine Änderung der Therapie für notwendig erachtet, wird eventuell ein E-Rezept ausgestellt: So oder so ähnlich läuft eine der Videosprechstunden ab, wie sie als telemedizinische Maßnahme schon seit der COVID-19-Pandemie Teil des Gesundheitssystems sind. Die Pandemie habe deutlich gemacht, was alles mit Hilfe der Telemedizin möglich ist, sagt der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, MBA, und ergänzt: „Gerade Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, aber auch mit anderen chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen profitieren stark von der Telemedizin.“ Denn für das Management ihrer Krankheiten müssen sie regelmäßig ihre behandelnden Ärzt:innen konsultieren. Geht dies via Bildschirm, fallen Anfahrtswege, Wartezeiten und etwa auch Abwesenheiten von der Arbeit weg.

Rückstand in Österreich

So nützlich Telemedizin also für viele Patient:innen ist: Schon während der COVID-19-Pandemie hinkte Österreich anderen Ländern beim Ausmaß des Angebotes und dessen Nutzung durch Ärzt:innen und Patient:innen hinterher. Während hierzulande zum Beispiel 25 % der Hausärzt:innen online mit ihren Patient:innen kommunizierten, lag dieser Wert einer Analyse zufolge in insgesamt 38 europäischen Ländern bei durchschnittlich 47,5 %. Der Rückstand wurde bis heute nicht aufgeholt, und auch wenn es um den weiteren Ausbau des telemedizinischen Angebotes der Zukunft geht, besteht Potenzial nach oben.
Das liegt unter anderem daran, dass rechtliche Hürden die Verbreitung und Weiterentwicklung behindern. Dazu zählen zum Beispiel unterschiedliche Regelungen für die einzelnen Berufsgruppen im Gesundheitssystem, weiß der Wiener Rechtsanwalt Dr. Dominik Engel von der Kanzlei Wolf Theiss. „Einheitliche klare Rahmenbedingungen gibt es bislang nicht – weder im berufsrechtlichen noch im kassenrechtlichen Sinn“, sagt er. So dürfen nicht alle Berufsgruppen die Telemedizin seit demselben Zeitpunkt und in gleicher Art und Weise nutzen. Für Ärzt:innen ist die Anwendung beispielsweise seit 2024 ausdrücklich erlaubt. Klinische und Gesundheitspsycholog:innen, Psycho- und Musiktherapeut:innen dürfen erst seit Anfang dieses Jahres Online-Sprechstunden abhalten. Auch Diätolog:innen, Logopäd:innen, Orthopäd:innen und Physiotherapeut:innen sind explizit zu Telemedizin berechtigt und haben rechtliche Sonderbestimmungen für die Anwendung erhalten. Nicht so aber etwa Hebammen, Tierärzt:innen und Freiberufler:innen in der Gesundheits- und Krankenpflege. Dies könnte Engel zufolge daran denken lassen, dass ihnen die Online-Kommunikation mit Patient:innen nicht erlaubt ist, was auf diese Art und Weise Investitionen in die Telemedizin beziehungsweise in die dafür nötige Infrastruktur verhindern kann.

„Gerade Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, aber auch mit anderen chronischen Erkrankungen wie Rheuma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen profitieren stark von der Telemedizin.“

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching

Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft

Datenschutz als Hürde

Eventuell ebenfalls eine Hürde auf dem Weg zu einem weiteren Ausbau der Telemedizin könnten datenschutzrechtliche Bestimmungen sein. Diese sehen vor, dass für die Übermittlung von Gesundheitsdaten wie Befunden oder Bildern gesicherte oder verschlüsselte Kanäle verwendet werden müssen. Diese über einen E-Mail-Anhang auszutauschen geht also nicht. Für den nach Datenschutzrichtlinien sicheren Transfer braucht es eine eigene Plattform und speziell zertifizierte Softwareprodukte. Zudem muss bei den Berufsträger:innen und bei Patient:innen eine stabile Internetverbindung vorhanden sein – auch ein Aufwand.
Nach wie vor nicht einheitlich geregelt ist laut Engel außerdem die Abrechnung telemedizinischer Leistungen von Ärzt:innen. Nur Vertragsärzt:innen der ÖGK können telemedizinische Leistungen in gleicher Honorarhöhe abrechnen wie Leistungen, die sie erbringen, während sie am selben Ort wie ihre Patient:innen sind. Terminvereinbarungen und andere Korrespondenz mit Patient:innen per E-Mail oder auch SMS sind aber von der Verrechnung ausgeschlossen. Für Angehörige anderer Berufsgruppen im Gesundheitssystem gibt es kaum Regelungen zur Verrechnung oder gar keine Möglichkeit dazu. Zwar wird dann mit Kostenzuschüssen gearbeitet, doch ob das zur Teilnahme an der Telemedizin motiviert?
ÖDG-Präsident Fasching, der auch Leiter der Abteilung mit Endokrinologie, Rheumatologie und Akutgeriatrie an der Klinik Ottakring in Wien ist, erklärt, warum es wichtig wäre, dass Leistungserbringer:innen im Gesundheitssystem zu Investitionen in die Telemedizin motiviert, dort eingebunden und integriert werden.
„Besonders in der diabetologischen Betreuung ist ein regelmäßiger Austausch in multidisziplinären Teams notwendig, die neben den behandelnden Ärzt:innen etwa auch aus Diabetolog:innen, Diätolog:innen und Psycholog:innen bestehen.“ So wie sich die Situation jetzt darstelle, sei es schwierig, Menschen mit Diabetes über den Kassenleistungskatalog im Team und optimal zu betreuen.
Vor einer ähnlichen Hürde steht mutmaßlich der Ausbau der Telemedizin in der Betreuung von Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen, die meist auch Bedarf an einer multidisziplinären Behandlung haben – zum Beispiel an einer psychiatrischen, bei welcher der Anteil telemedizinischer Behandlungen zuletzt nur bei einem Drittel lag. Internist:innen kamen auf einen Anteil von 10 %. Bei Dermatolog:innen, Neurolog:innen, Gynäkolog:innen und Kinderärzt:innen lagen die Anteile im einstelligen Prozentbereich.

Streit mit der ÖGK

Besonders Menschen mit leichten, plötzlich auftretenden Beschwerden will die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) nun selbst einen einfachen, sicheren und schnellen Zugang zu medizinischer Erstberatung per Videotelefonie ermöglichen. Geplant ist, diesen bundesweit gemeinsam mit einem privaten Partner in einem Public-Private-Partnership-Projekt über ein eigenes Ambulatorium anzubieten. Der Start des Projektes war für 2026 geplant, es war auch schon ausgeschrieben. Doch nach rechtlichen Schritten der Ärztekammern für Wien und für die Steiermark hat das Bundesverwaltungsgericht die Ausschreibung für nichtig erklärt. Die Kammervertreter:innen hatten sie kritisiert, weil sie nicht wollten, dass es in dem Ambulatorium zu anonymen Konsultationen und Medikamentenverordnungen kommt – wieder eine Hürde.
Doch diese könnten die ÖGK, die das Projekt nach einer Analyse neu ausschreiben will, und die ÖÄK „durch die gemeinsame Arbeit an einer Lösung“ überwinden – wenn man will. „Beanstandet wurde, dass bestimmte inhaltliche und umfangsbezogene Rahmenbedingungen in der Vergabeunterlage präzisiert werden müssen. Die Möglichkeit, Telemedizin als modernen Baustein der Versorgung zu etablieren, wurde nicht in Frage gestellt“, teilt die ÖGK mit. Die Bundeskurie niedergelassene Ärzte lädt die Gesundheitskasse nun ein, das Thema gemeinsam im Sinne der Patient:innen anzugehen, „statt weiter Ressourcen in unnötige Alleingänge zu stecken“. Man habe immer festgehalten, dass Ärzt:innen der Telemedizin positiv gegenüberstünden. „Dazu kommen die zahlreichen ausgearbeiteten Projekte wie die Teledermatologie in der Steiermark oder das HerzMobil-Modell, für das sich immer mehr Bundesländer interessieren“, betonte Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Steiermark.
Helfen könnte die Regierung, die sich das Thema Telemedizin auch aus Kostengründen auf die Fahnen geheftet und im Regierungsprogramm verankert hat. Man will so Versorgungslücken reduzieren.
Den Bedenken der Ärztekammer wegen Parallelstrukturen durch die geplante ÖGL-Ambulatoriumslösung entgegnet Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ): Es gehe dabei nicht um Konkurrenz, sondern darum, die Ressourcen optimal zu nützen, und daran arbeite man intensiv, sagt sie.