Die Umsetzung zahlreicher EU-Verordnungen – von der Medizinprodukte- und In-vitro-Diagnostika-Verordnung (MDR/IVDR) über Nachhaltigkeits- und Lieferkettengesetze bis hin zum AI Act, dem Europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS sowie Health Technology Assessment (HTA)- und Cybersicherheitsrichtlinien – führt zu einer zunehmenden Belastung für Unternehmen. Besonders kleine und mittlere Betriebe stoßen dabei an ihre Grenzen, denn Zulassungsstaus, fehlende Benannte Stellen und hohe Marktzugangskosten bremsen Innovationen und führen bereits heute zu Engpässen bei wichtigen Produkten. Die Folgen sind eine Verlagerung von Produktionsstandorten und Investitionen ins Ausland, aber auch Versorgungslücken und ein Innovationsstau werden sichtbar, da Hersteller neue Produkte zunehmend außerhalb Europas einführen. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, fordert die AUSTROMED gezielte Maßnahmen zur Entlastung und Standortstärkung.
Die dringend notwendige Entbürokratisierung ist eine zentrale Voraussetzung für einen starken Medizinprodukte-Standort. Die AUSTROMED fordert daher eine schnelle Umsetzung der EU-Bürokratieabbau-Initiativen und eine effizientere Zulassungsinfrastruktur. „Dazu müssen die Kapazitäten der Benannten Stellen ausgebaut und vernetzt werden“, wünscht sich AUSTROMED-Geschäftsführer Mag. Philipp Lindinger. Ein digitaler One-Stop-Shop soll eingerichtet werden.
Die aktuelle US-Zolldebatte zeigt deutlich, dass sich Österreich am EU-weiten „Zero-for-Zero“-Abkommen – einer Vereinbarung, bei der die Zollbehörden beider Vertragsparteien auf die Abschaffung der Zölle für bestimmte Produkte verzichten –beteiligen muss. Darin werden Medizinprodukte und deren Vormaterialien als humanitäre Güter von handelspolitischen Spannungen ausgenommen.
Innovationen entstehen häufig in kleinen und mittleren Unternehmen. Sie brauchen geeignete Instrumente, um ihre Ideen in marktreife Lösungen umzusetzen. Daher plädiert die AUSTROMED für einen nationalen Innovationsfonds nach deutschem Vorbild, der Transformationsprojekte und klinische Evidenzstudien finanziert und erfolgreiche Produkte rasch in die Regelversorgung integriert. Zudem soll die Förderlandschaft vereinfacht werden, um auch die Entwicklung digitaler, datengetriebener Medizintechnologien zu beschleunigen.
Um die Resilienz des Gesundheitssystems zu erhöhen, fordert die Interessensvertretung der Medizinproduktebranche eine gesetzliche Verankerung des Qualitäts- und Bestbieterprinzips mit mindestens 50 Prozent Qualitätsgewichtung, bei lebensrettenden oder innovativen Produkten mindestens 80 Prozent. Ein strategisches Sicherheitslager für systemrelevante Produkte in öffentlicher Verantwortung soll aufgebaut werden, wobei die Kosten nicht auf die Industrie abgewälzt werden dürfen. „Nur durch eine qualitativ hochwertige Beschaffungspolitik lassen sich Versorgungskontinuität und Patientensicherheit langfristig garantieren“, sind sich Gschlössl und Lindinger einig.
»Das Erstattungssystem bildet aktuell die Möglichkeit, innovative Produkte zu den Patientinnen und Patienten zu bringen, nicht ab.«
Gerald Gschlössl, AUSTROMED-Präsident und
Mag. Philipp Lindinger, AUSTROMED-Geschäftsführer
Das derzeitige Erstattungssystem hinkt dem Innovationsfortschritt hinterher und muss dringend an moderne Erfordernisse angepasst werden. Intramural gilt es, Finanzierungsentscheidungen nicht allein am Preis zu orientieren, sondern auch Faktoren wie Qualität, Versorgungssicherheit und Innovationskraft zu berücksichtigen. Das LKF-System muss an einen „Total-Cost-of-Ownership“-Ansatz angepasst werden, der Anschaffungs- und Betriebskosten sowie Outcome-Daten einbezieht. Ein Investitionsfonds soll die Chance fördern, Zukunftstechnologien wie digitale Bildgebung, Robotik oder Point-of-Care-Diagnostik in den Spitälern auszurollen. Beschaffungsentscheidungen sollen verpflichtend an Outcome-KPIs gekoppelt sein.
Ein bundesweit einheitliches digitales Erstattungsportal für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika soll im extramuralen Sektor Klarheit über die Kostenübernahme bringen, vor allem auch bei digitalen und telemedizinischen Anwendungen. „Ein Fast-Track-Verfahren für CE-zertifizierte Innovationen mit einer bis zu dreijährigen Erprobungsphase und begleitender Evidenzerhebung würde zudem dafür sorgen, dass Innovationen rascher zum Patienten oder zur Patientin kommen“, beschreibt Gschlössl und ergänzt.
„Die Medizinprodukte-Branche ist nicht nur ein technologischer Innovationstreiber, sondern auch ein verlässlicher Partner des Gesundheitssystems. Ohne moderne Lösungen ist eine qualitativ hochwertige, effiziente und patientenzentrierte Versorgung nicht denkbar“, betont Lindinger. Doch damit Österreich auch künftig zu den führenden Gesundheitsstandorten zählt, braucht es eine langfristige Strategie, die Innovation, Versorgungssicherheit und Digitalisierung verbindet. „Wir sind bereit, diesen Weg gemeinsam mit der Politik zu gestalten – im Interesse von Patientinnen und Patienten, der Gesundheitswirtschaft und des gesamten Standorts Österreich“, so Gschlössl.