© Pixabay Im Streit um entzogenes Reha-Geld gibt das OLG Wien einer ME/CFS-Patientin recht. Gutachten müssen künftig nachvollziehbar und wissenschaftsbasiert sein.
Das Oberlandesgericht Wien (OLG) hat im Fall einer ME/CFS-Betroffenen deutliche Kritik am vom Erstgericht eingesetzten Sachverständigen und damit der Pensionsversicherung (PV) geübt. Die Frau hatte 2021 Rehageld – eine vorübergehend gewährte Berufsunfähigkeitspension –zugesprochen bekommen. 2024 entzog ihr die PV dieses wieder mit der Begründung, es gehe ihr gesundheitlich besser und sie sei arbeitsfähig. Das Wiener Arbeits- und Sozialgericht bestätigte diese Entscheidung, woraufhin die Patientin mit Unterstützung der Arbeiterkammer (AK) Wien in Berufung ging. Das OLG hob das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts nun auf.
Laut OLG-Beschluss müssen Gutachter:innen sowohl die vorliegenden Befunde der behandelnden Ärzt:innen als auch den aktuellen medizinischen Wissensstand berücksichtigen. Der Sachverständige habe sich „nachvollziehbar“ und „inhaltlich“ mit den Privatbefunden und zentralen Aussagen des interdisziplinären Statements auseinanderzusetzen – insbesondere mit den dort beschriebenen Diagnosemöglichkeiten und Symptomen, so das Gericht.
Die Arbeiterkammer spricht von einem „wichtigen Etappensieg“ und einem „wichtigen Signal für zukünftige Verfahren“. AK-Jurist Levin Wotke betont: „Erstmals stärkt ein Gericht schwarz auf weiß die Rechte von ME/CFS-Betroffenen.“ Die Entscheidung zeige, dass Gerichte die Qualität medizinischer Gutachten künftig strenger prüfen müssten – besonders bei komplexen Erkrankungen wie ME/CFS oder Long Covid.
Bereits im Mai hatte eine gemeinsame Recherche von APA, ORF und Dossier auf Probleme von ME/CFS- oder Post Covid-Patient:innen mit der Gewährung von Versicherungsleistungen seitens der PV hingewiesen. In den ausgewerteten Fällen wurden 79 Prozent der Anträge abgelehnt oder bereits gewährte Leistungen entzogen. Die Diagnosen ME/CFS oder Post Covid wurden bei mehr als der Hälfte der Gutachten komplett negiert und bei rund 40 Prozent in eine psychische oder psychosomatische Diagnose abgeändert. Auch eine Anfragebeantwortung von Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) Anfang November unterstrich die Problematik. Demnach ist die Ablehnungsquote von Rehageld- oder Invaliditätspensionsanträgen selbst bei jenen Patient:innen hoch, denen die Diagnose ME/CFS von PV-Gutachtern bestätigt wurde: Sie stieg von 57 Prozent im Jahr 2022 auf 66 Prozent im Jahr 2024. (tab)