Das (12-Kanal-)EKG ist für Arrhythmien, Brady-/Tachykardien und besonders für die Erkennung von ischämietypischen EKG-Veränderungen essenziell.1 Wesentliche Entwicklungen in der EKG-Diagnostik konnten in den letzten Jahren durch die Digitalisierung der EKG-Technologie erreicht werden. Hierzu zählt der Einsatz mobiler 12-Kanal-EKG-Geräte im Rettungsdienst mit der Möglichkeit der digitalen Übertragung auf Fax-Geräte und E-Mail-Adressen. Auch die Weiterentwicklung der Vektor-EKG-Technologie ist erwähnenswert, da sie eine EKG-Aufzeichnung von bis zu 22 Kanälen mit nur 4 Elektroden erlaubt.2 Dies ermöglicht eine schnellere EKG-Registrierung bei guter Vergleichbarkeit mit dem Standard-12-Kanal-EKG und besserem Patientenkomfort.3 Die Ableitungen V7–V9 sowie VR3–VR9 werden hierbei mitangezeigt, was besonders für die Beurteilung von Patient:innen mit akutem Koronarsyndrom (bei Hinter- und Seitenwandinfarkten) von Vorteil sein kann.
Eine weitere Entwicklung ist die Selbstmessung des EKG durch die Patient:innen. Ähnlich der ambulanten Blutdruck-Selbstmessung4 hat die EKG-Selbstaufzeichnung durch Smartphone oder Smartwatch an Popularität gewonnen.5 Zukünftige Studien werden den Zusatznutzen dieser Technologien als digitale Gesundheitsanwendungen untersuchen. Diese Übersichtsarbeit beschreibt aktuelle mobile Geräte und Technologien zur EKG-Registrierung mit Fokus auf ischämietypische Veränderungen.
Die Elektrokardiografie basiert auf der Messung und Darstellung elektrischer Ströme des Herzens, die durch Elektroden abgeleitet werden. Hierbei wird das elektrische Potenzial zwischen 2 Elektroden aufgezeichnet, was die elektrische Erregung unterschiedlicher Myokardregionen sichtbar macht. Ein Großteil der heutigen Standard-12-Kanal-EKG-Geräte benutzen das Marquette™-12SL-Analyse-System. Dieses errechnet zur Analyse der Komplexmorphologie einen repräsentativen Mediankomplex aus allen Ableitungen. Für die Messung von Intervallen und Wellendauer wird der früheste und der späteste Messpunkt aus allen Ableitungen genommen.
Eine alternative Technik ist die Vektorelektrokardiografie. Die Herzströme werden mit 4–5 Elektroden 3-dimensional als Vektorschleife erfasst und ermöglichen eine Darstellung von bis zu 22 statt 12 Ableitungen.2 Das von Dower vereinfachte EASI-System6 berechnet aus 5 Elektroden die 12 klassischen Ableitungen. Neuere Systeme wie „CardioSecur“ stützen sich hierauf. Dieses 360°-Ableitungssystem ermöglicht aktuell 22 Ableitungen mit nur 4 Elektroden, einschließlich der Darstellung von Hinterwand (V7–V9) und rechter Seitenwand (VR3–VR9). Die Vergleichbarkeit von Standard-12-Kanal-EKG und Vektor-EKG wurde in mehreren Studien bestätigt.7–10 Es kann jedoch zu geringfügigen Unterschieden in Länge der P-Welle, PQ-Zeit und QTc-Intervall sowie Amplitude von P- und T-Welle sowie QRS-Komplex kommen.11, 12
Für das „CardioSecur“-System gibt es erste Studien zum routinemäßigen Einsatz in unterschiedlichen klinischen Settings (Tab. 1). In Frankreich wurden 10 Hausarztpraxen über 2,5 Jahre mit „CardioSecur“ ausgerüstet. Bei 338 Patient:innen mit kardiovaskulären Symptomen oder Rhythmusveränderungen wurde „CardioSecur“ mit dem Standard-12-Kanal-EKG verglichen. Diagnosen wurden in 14 % der Fälle richtigerweise geändert, und pro 9 EKGs ergab sich eine neue Diagnose. Die Behandlung änderte sich bei 82 Patient:innen, und 69 Patient:innen erhielten weiterführende diagnostische Tests. Hausärzt:innen bewerteten den Nutzen mit 9/10 Punkten. Damit zeigte sich ein diagnostischer Vorteil gegenüber dem konventionellen 12-Kanal-EKG.13 In England wurde das 22-Kanal-EKG bei 30 Sportlern (13–16 Jahre) getestet. Die Studie hat gezeigt, dass „CardioSecur“ eine gute und schnelle Alternative für Messungen am Spielfeldrand darstellt.12 In einer weiteren Studie wurde die Qualität des „CardioSecur“-EKG-Gerätes unter Belastung getestet. Bei 403 Patient:innen wurden ein EASI- und ein Standard-12-Kanal-EKG in Ruhe und unter Belastung abgeleitet. Während der Belastung erkannte „CardioSecur“ ST-Streckenveränderungen > 0,1 mm in 90 % und > 0,2 mm in 97 % der Fälle. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zum Standard-12-Kanal-EKG.14 2016 wurde „CardioSecur“ 20 Monate lang in 2 Rettungswagen in Heidelberg eingesetzt. Notärzt:innen bewerteten in Fragebögen den Zeitaufwand der Messung (98 %), die Elektrodenplatzierung (98 %) und die Nutzerfreundlichkeit (93 %) als sehr positiv. In diagnostischer Güte war „CardioSecur“ vergleichbar mit Standard-12-Kanal-EKGs; 3 von 34 STEMI-Patient:innen wurden sogar nur durch das 22-Kanal-EKG erkannt.3
Ein weiteres Verfahren ist die Cardisiografie, ein 5-Kanal-Vektor-EKG, dessen Daten von einem durch künstliche Intelligenz (KI) gestützten Algorithmus verarbeitet werden. Bisherige Studien untersuchten die diagnostische Genauigkeit zur Erkennung einer stenosierenden koronaren Herzkrankheit. Bei 595 Patient:innen lag die Sensitivität zwischen 90,2 % und 97,2 % und die Spezifität zwischen 74,4 % und 76,1 %. Dies zeigt die Bedeutung der Kombination aus Vektor-EKG und KI für die Patientenversorgung.15

Tab. 1: Vergleichsstudien (PubMed) zum Einsatz des „CardioSecur“-Systems in unterschiedlichen klinischen Settings
Mobile Geräte zur Arrhythmie-Erkennung:
Heutzutage können viele Patient:innen zuhause ein EKG ableiten. Smartwatches verfügen mittlerweile über Photoplethysmografiefunktion und Elektroden. Neben Pulsmessung und Blutsauerstoffanalyse können Anwender:innen durch Berühren einer Elektrode mit dem Finger ein 1-Kanal-EKG messen. Der diagnostische Nutzen beschränkt sich jedoch auf Sinusrhythmus oder Verdacht auf Vorhofflimmern. Erkennt das Gerät Vorhofflimmern, wird der/die Nutzer:in benachrichtigt und ein Arztbesuch empfohlen. Studien zeigen eine hohe Sensitivität und Spezifität für die Vorhofflimmererkennung.16 Es gibt weitere Geräte, die ein 1-Kanal-EKG per Smartphone aufzeichnen können.5 Sie eignen sich nur zur Rhythmusdiagnostik und nicht für die Erkennung ischämietypischer Veränderungen. Geräte mit mehreren Ableitungen existieren ebenfalls. Von AliveCor gibt es das „Kardia Mobile6L“, das statt 1 Ableitung 6 Ableitungen aufzeichnet (2 Fingerkontakte + Beinrückseite). Es ist jedoch weiterhin auf Rhythmuserkennung beschränkt, da die Erkennung ischämietypischer Veränderungen noch nicht validiert ist. Auch der KI-gestützte Wellue®-EKG-Recorder zur 24-Stunden-Heimüberwachung detektiert ausschließlich Arrhythmien.
Mobile Geräte zur Ischämieerkennung: Forscher:innen kombinierten 1-Kanal-Smartwatch-Ableitungen, um I, II, III und V1–V6 zu erhalten, die bezogen auf Amplitude, Polarität und Dauer einem 12-Kanal-EKG entsprechen. Dafür wird die Smartwatch an verschiedene Körperstellen gehalten, während ein Finger die Home-Taste berührt. Die Methode ist zeitaufwendig, wird aber nach kurzer Einführung von Patient:innen selbstständig beherrscht.17, 18
Der „D-Heart Monitor“ (Klasse IIa) ermöglicht 8 oder 12 Ableitungen mit 6 Elektroden, die via Bluetooth mit einem Smartphone (iOS/Android) verbunden werden können. 3 Elektroden erfassen die Extremitätenableitungen (I–III, aVL, aVR, aVF), 2 V2 und V5. Für ein 12-Kanal-EKG muss die V5-Elektrode umplatziert werden. Studien zeigen, dass der Monitor einem Standard-12-Kanal-EKG gleichwertig ist und ischämietypische Veränderungen erkennt.19
Das „CardioSecur“ (Klasse IIa) ist eine weitere Möglichkeit zur mobilen Selbstmessung. Es nutzt 4 Elektroden, die über Kabel mit dem Endgerät verbunden werden. Privatpersonen können die 15-Kanal-Version „CardioSecur Active“ erwerben (Kabel + 144 Klebeelektroden). Die Auswertung erfolgt über eine App, die Empfehlungen zum weiteren Vorgehen gibt („keine Veränderung“, „Arztbesuch planen“, „sofort zum/zur Ärzt:in“). Für medizinisches Personal existiert eine 22-Kanal-Version („CardioSecur Pro“) (Tab. 2).
Der Nutzen einer Mehrkanal-EKG-Selbstmessung liegt in der frühen und zuverlässigen Erkennung ischämietypischer Veränderungen. Dies könnte besonders bei Patient:innen mit akutem Brustschmerz vorteilhaft sein, da das EKG nicht erst beim Kontakt mit medizinischem Personal, sondern schon durch den/die Patient:in selbst aufgezeichnet wird. Ein Einfluss auf Prognose und Behandlungszeit ist jedoch noch nicht untersucht. Ein weiterer Nutzen besteht bei Patient:innen mit paroxysmalen Symptomen bzw. rezidivierender (Ruhe-)Angina. Diese leiden häufig unter koronaren Vasomotionsstörungen, bei denen eine EKG-Aufzeichnung während der Beschwerden selten gelingt. Gelingt eine EKG-Aufzeichnung während Beschwerden, erhärtet dies den Verdacht auf eine ischämische Genese und rechtfertigt weitere Diagnostik, etwa Herzkatheteruntersuchung mit Provokationstest.20
Ein solches Vorgehen wird auch von der aktuellen ESC-Leitlinie für das Management von Patient:innen mit chronischem Koronarsyndrom empfohlen.21
Die Digitalisierung in der EKG-Diagnostik schreitet weiter voran und ermöglicht Ärzt:innen sowie Patient:innen eine mobile EKG-Registrierung mit hoher diagnostischer Genauigkeit. Dies betrifft nicht nur Arrhythmien, sondern auch ischämietypische Veränderungen. Zukünftige Studien werden den Nutzen dieser mobilen EKG-Geräte im Sinne einer digitalen Gesundheitsanwendung untersuchen.