Beratung bei Polypharmazie und Arzneistoffinteraktionen

Demografische Studien belegen, dass bis zu 40% der über 65-Jährigen fünf oder mehr Dauermedikamente erhalten.1 Diese Patientengruppe bringt neben der Multimorbidität auch altersphysiologische Veränderungen mit sich, welche die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Arzneimitteln grundlegend verändern. Daraus resultiert ein stark erhöhtes Risiko für potenziell inadäquate Medikation (PIM) und schwerwiegende Arzneimittelwechselwirkungen.

Strukturierte Beratung in drei Schritten

Zur risikominimierenden Auswahl eines geeigneten Präparates und zur Gewährleistung der Patientensicherheit sollten im Beratungsgespräch drei entscheidende Informationsbereiche erfasst werden:

Red Flags ausschließen

  • Haben Sie Fieber? Wenn ja, wie hoch?
  • Haben Sie Schwierigkeiten beim Atmen oder fühlen Sie sich kurzatmig?
  • Wie lange haben Sie die Symptome schon? Haben sich die Beschwerden in den letzten 24 Stunden verschlechtert?

Mögliche Wechselwirkungen identifizieren

  • Welche Medikamente nehmen Sie regelmäßig ein? Auch Phytotherapie, Nahrungsergänzungsmittel, Augentropfen oder Inhalatoren.
  • Haben Sie eine Vorgeschichte von Stürzen oder Verwirrtheitszuständen?
  • Leiden Sie an Herzinsuffizienz oder schwer einstellbarem Bluthochdruck?
  • Haben Sie eine chronische Nierenerkrankung?
  • Haben Sie Magengeschwüre oder Magen-Darm-Blutungen in der Vorgeschichte?
  • Haben Sie Magen- oder Nierenprobleme? Nehmen Sie Blutverdünner?

Symptomatische Therapie finden

  • Welches Symptom ist im Moment am schlimmsten?
  • Wie lange haben Sie die Symptome schon?
  • Haben Sie bereits etwas gegen die Beschwerden eingenommen? Wenn ja, was?
  • Gibt es ein Mittel, das Sie letztes Mal gut vertragen haben oder das Ihnen ärztlich empfohlen wurde?

Wirkstoffauswahl nach AGS Beers Criteria®

Nach der systematischen Befragung gilt es, ein für die individuelle Situation geeignetes Präparat auszuwählen. Die von der American Geriatrics Society (AGS) entwickelten Beers Criteria® gelten als das wichtigste evidenzbasierte Instrument, um potenziell inadäquate Medikation (PIM) bei älteren Erwachsenen zu identifizieren.2 Bei der Beratung zu Erkältungsmitteln liegt die Hauptgefahr in der anticholinergen und der sympathomimetischen Wirkung. Konkret gilt:

Anticholinergika: Antihistaminika der 1. Generation sollten konsequent vermieden werden. Als sichere Alternative bieten sich Antihistaminika der 2. Generation an, da diese nur geringe anticholinerge Effekte aufweisen und die Blut-Hirn-Schranke kaum passieren.

Sympathomimetika: Dekongestiva und Sympathomimetika sind wegen ihrer kardiovaskulären Wirkungen bei bestimmten Komorbiditäten nur mit Vorsicht einzusetzen oder ganz zu vermeiden. Wenn sie im höheren Alter überhaupt angewendet werden, sollte dies lokal und kurzzeitig geschehen.

Analgetika: Schließlich sind laut AGS bei bestimmten Patientengruppen auch NSAR wegen gastrointestinaler und renaler Risiken zu vermeiden. Hier ist Paracetamol in der Regel der sicherste Wirkstoff gegen Schmerzen und Fieber, sofern die Tageshöchstdosis nicht überschritten wird.

Kontinuierliche Medikationsanalyse

Die evidenzbasierte Beratung älterer Patient:innen umfasst nicht nur die Auswahl geeigneter Erkältungsmittel, sondern schließt auch die kontinuierliche Sicherstellung der pharmakotherapeutischen Sicherheit ein. Besonders bei Polypharmazie bietet jedes Beratungsgespräch die Möglichkeit einer Medikationsanalyse. Dabei kann geprüft werden, ob bestehende Dauermedikationen weiterhin notwendig sind oder ob ein Deprescribing in ärztlicher Abstimmung sinnvoll ist. Instrumente wie die AGS Beers Criteria® können sowohl zur Identifikation von PIM im Akutfall als auch zur Überprüfung bestehender Dauermedikation herangezogen werden.