© Tanzer Das dritte Jahr mit schrumpfender Wirtschaft neigt sich dem Ende zu. Für 2026 wird ein moderates Wachstum von knapp über 1 % erwartet. Die öffentliche Hand reagiert kopflos und zukunftsvergessen.
Die Mischung ist giftig: das dritte Rezessionsjahr in Folge neigt sich dem Ende zu, gleichzeitig übersteigt die Inflation das Wirtschaftswachstum deutlich. Ausgaben steigen, während die Einnahmen bestenfalls noch stagnieren. Zusätzlich erleben wir die Folgen jener industriellen Transformation vor der Fachleute seit einigen Jahren warnen: tiefgreifende Veränderungen durch Digitalisierung, automatisierte Produktionsprozesse, demografische Entwicklung, Dekarbonisierung. Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten müssen fundamental umgestaltet werden. Platz für neue Ideen geschaffen werden. Doch die Politik bremst unter dem Druck jener, die sich nicht verändern wollen und an alten Mustern festhalten. Und versucht umgekehrt zu sparen – unter anderem im Gesundheitsbereich – um die Defizitschere zu schliessen.
Das wird sich auf vielen Ebenen rächen. Zum einen, weil es letztlich die Gesundheit der Menschen und damit der Beschäftigten schwächen wird. Das ist gerade in einer alternden Gesellschaft fatal. Wir sollten alles tun, möglichst viele gesunde Lebensjahre zu erreichen. Nicht nur für die individuelle Gesundheit der Menschen, sondern auch für Gesellschaft und Wirtschaft. Dafür werden Präventionsappelle nicht reichen, wir brauchen auch die moderne Medizin und die Gesundheitsberufe. Christian Helmenstein Chefökonom der Industriellenvereinigung, hat das kürzlich bei einer Buchpräsentation so formuliert: „Investitionen in Gesundheit determinieren die Tragfähigkeit unserer Wirtschaft, Gesellschaft und Sozialsysteme.“
Das Österreichische Patentamt beschreibt das in einer neuen Analyse so: fast die Hälfte aller Patentanmeldungen in Österreich entfällt auch die Bereiche Biotechnologie, Pharmazeutika, Medizintechnologie und Messtechnik. Im Industriebarometer des internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungskonzern EY vom Oktober zeigt sich, dass die österreichische Chemie- und Pharmabranche ihren Umsatz im ersten Halbjahr um mehr als zehn Prozent steigern konnte, während der Rest der Industrie sich rückläufig entwickelt hat. Das AMS wiederum rechnet vor, dass der Gesundheitssektor ein Beschäftigungsmotor ist. Der Wert der Gesundheitswirtschaft in der EU lag 2022 bei 1,54 Billionen Euro und wuchs in den fünf Jahren davor um rund 20 Prozent. In der gesamten EU wurde 2022 mehr als jeder siebte Arbeitsplatz direkt von der Gesundheitswirtschaft unterstützt und fast sieben Prozent der Gesamtexporte stammen aus diesem Sektor. Kurz: Ausgaben für Gesundheit stärken die Wirtschaft, sie schwächen sie nicht.
Das Erfolgskonzept liegt also auf der Hand. Doch diese ausgestreckte Hand wird nicht ergriffen. Es wird im Gesundheitsbereich gespart. Ein Beispiel für das Agieren der Politik wurde dieser Tage bekannt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG), in der die fünf gemeinnützigen Träger Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe zusammenarbeiten, zeigt sich über die unerwartete und kurzfristige Absage des für 2026 angekündigten Innovationsfonds durch das Sozialministerium massiv irritiert. Mit den Mitteln des Fonds in der Höhe von 50 Millionen Euro sollte die dringend notwendige Digitalisierung der Pflege in Österreich und deren mit 2028 gesetzlich vorgesehene Anbindung an ELGA angeschoben werden, insbesondere in der ambulanten Versorgung.
„Wir sind in Schockstarre“, sagt Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich und aktuell Vorsitzende der BAG. „Kurz vor dem Jahreswechsel hat uns die für uns völlig unerwartete Nachricht des Sozialministeriums erreicht, dass die im Regierungsprogramm dezidiertangekündigten und im Finanzausgleich explizit bedeckten Mittel des Innovationsfonds 2026 nun doch nicht zur Verfügung stehen. Wir bräuchten diese in Aussicht gestellten Mittel aber wirklich dringend, um die Digitalisierung in der Pflege ernsthaft voranzutreiben. Es geht hier nicht nur um mehr Effizienz und eine wirksame Entlastung des ohnehin knappen und mit Bürokratie belasteten Pflegepersonals, sondern auch um unsere bevorstehende Anbindung an ELGA.“ Aktuell dokumentiert der chronisch unterfinanzierte Sektor zumeist noch auf Papier.
Zur Relation: Wir reden hier von weniger als 0,1 % Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Das bremst Innovation, die wichtige Vernetzung im Gesundheitswesen – um letztlich Kosten zu dämpfen –, es verhindert die für Unternehmen und Einrichtungen wichtige Planbarkeit und es frustriert Gesundheits- und Pflegebeschäftigte. Dabei sollten wir alles tun, um gerade diese Menschen im Beruf zu halten. Wie zukunftsvergessen kann man eigentlich sein? (rüm)