50 % weniger Migränetage durch gezielte Prophylaxe

Einleitung

Migräne ist mit einer Einjahresprävalenz von 10–15 % eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen.1 Darüber hinaus liegt sie unter allen neurologischen Erkrankungen weltweit an erster bis vierter Stelle, was die Belastung im Alltag betrifft.2 Daher spielt die adäquate Therapie eine wichtige Rolle. Es müssen einerseits die akuten Attacken rasch beendet werden, andererseits bedarf es bei häufigen und belastenden Attacken, und vor allem bei einer chronischen Migräne, einer Prophylaxe.
Die Migräne ist durch meist einseitige, mittelstarke bis starke Kopfschmerzen von klopfend-pulsierender Qualität charakterisiert, die mindestens vier Stunden dauern und durch körperliche Routineaktivität verstärkt werden. Darüber hinaus bestehen vegetative Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, und es kann zu Auren kommen.3

Therapie der Migräneattacken

Jede Migräneattacke soll behandelt werden, damit möglichst rasch Schmerzfreiheit oder zumindest eine wesentliche Linderung der Schmerzen und Begleitsymptome erreicht wird. Ziel ist es, dass innerhalb von zwei Stunden nach Einnahme des Akutmedikaments diese Schmerzfreiheit oder wesentliche Linderung erreicht wird, sodass die Pati­ent*innen wieder zu ihren Alltagsfunktionen zurückkehren können. Um dies bestmöglich zu gewährleisten, sollte die Einnahme der Akutmedikamente möglichst früh in der Attacke erfolgen, da dann eine bessere Wirksamkeit erreicht wird. Da manche Patient*innen zu Beginn der Kopfschmerzen nicht sicher unterscheiden können, ob es ein Spannungskopfschmerz oder doch eine Migräne ist, sollte die Akuttherapie dann eingenommen werden, sobald für die Patient*innen klar ist, dass es sich um eine Migräne handelt. Bei häufigen Attacken muss erhoben werden, wie häufig Akutmedikamente eingenommen werden, am besten mittels eines Kopfschmerztagebuches, um einen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz zu erkennen. Eine Therapie speziell gegen Auren steht nicht zur Verfügung, die Akuttherapie wird mit Einsetzen der Schmerzen eingenommen. Es ist nicht sinnvoll, die Akuttherapie bereits während einer allfälligen Prodromalphase mit unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Appetitveränderung oder Nackenverspannungen zu nehmen, da sie das Auftreten der eigentlichen Attacke nicht verhindert.Nichtmedikamentöse Allgemeinmaßnahmen wie Rückzug, Ruhe oder Verdunkelung ergreifen die meisten Patient*innen bereits von selbst, sofern es im Alltag möglich ist.

Behandlung der Übelkeit, des Erbrechens

Wenn während der Migräneattacke starke Übelkeit oder sogar Erbrechen vorhanden ist, hat es Sinn, frühzeitig ein Antiemetikum einzunehmen. Am besten etwa 15 Minuten, bevor die eigentliche Schmerztherapie genommen wird, um eine bessere Resorption zu gewährleisten. Mittel der ersten Wahl ist Metoclopramid 10 mg per os, alternativ kann Domperidon 10 mg per os verwendet werden oder, wenn beide nicht ausreichen, nach Antrag bei der Krankenkasse Ondansetron 4 mg oder 8 mg per os.4

Nichtsteroidale Antirheumatika und andere Analgetika

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und andere Analgetika sind nach wie vor Mittel der ersten Wahl bei leichten bis mittelschweren Attacken, können aber auch bei schweren Attacken helfen. Mittel der ersten Wahl sind Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Metamizol, Diclofenac oder eine fixe Kombination aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Koffein. Wenn eine Kontraindikation gegen NSAR besteht, so kommen Paracetamol oder Metamizol zum Einsatz. Alternativ könnte, bei geringerer Evidenz, Naproxen oder Ketoprofen verwendet werden. Die Dosierungen sind der Tabelle 1 zu entnehmen. Zu beachten ist das erhöhte Risiko für gastrointestinale Blutungen und vaskuläre Ereignisse unter NSAR.

Triptane

Für die Behandlung mittelschwerer bis schwerer Migräneattacken – oder wenn mit obigen Präparaten kein Erfolg zu erzielen ist – werden Triptane eingesetzt. Triptane sind Serotonin-1B/1D-Rezeptor-Agonisten, deren Hauptwirkung über eine Beeinflussung migränerelevanter Neurotransmitter erfolgt. Die vasokonstriktive Wirkung der Triptane ist nicht notwendig, um die Migräne zu behandeln, schränkt aber deren Anwendung ein. Prinzipiell sollte allen Patient*innen, die auf NSAR oder andere Analgetika nicht ansprechen, ein Triptan verschrieben werden, sofern keine Kontraindikation vorliegt, wobei es nicht sinnvoll ist, vor der Triptanverschreibung sämtliche anderen verfügbaren Analgetika auszuprobieren.

In Österreich stehen folgende Triptane zur Verfügung: Zolmitriptan als Tabletten, Schmelztabletten und Nasenspray, Sumatriptan als Tabletten und Spritzampullen, Eletriptan-Tabletten sowie Frovatriptan-Tabletten. Sie sind mit IND-Lösung verschreibbar, wenn die Erstverschreibung durch eine*n Facharzt*Fachärztin für Neurologie erfolgte. Rizatriptan (Tabletten und Schmelztabletten) kann nur nach Einzelantrag bei der Krankenkasse verschrieben werden. Almotriptan und Naratriptan sind in Österreich nicht erhältlich. Die Dosierungen sind der Tabelle 2 zu entnehmen. Bei 60 % der Patient*innen, bei denen NSAR oder Analgetika nicht wirken, wirken Triptane.5 Wenn ein Triptan bei 2–3 konsekutiven Attacken nicht hilft, so kann ein anderes Triptan wirksam sein, ein Wechsel sollte unbedingt versucht werden. Die häufigsten Nebenwirkungen umfassen Müdigkeit, Benommenheit, Parästhesien der Extremitäten und Engegefühl in Brust und Hals.

Einen schnellen Wirkeintritt haben Sumatriptan subkutan, Eletriptan per os, nasales Zolmitriptan sowie Rizatriptan per os. Einen mittelschnellen Wirkeintritt mit langanhaltender Wirkung haben Sumatriptan 50/100 mg per os und Zolmitriptan per os. Einen langsameren Wirkeintritt mit langanhaltender Wirkung hat Frovatriptan per os.4 Wenn die erste Gabe eines Triptans nicht wirkt, so ist auch eine zweite Dosis meist ohne Wirkung, außer es wurde die erste Dosis erbrochen.4
Sollte es nach einer schmerzfreien Episode zu einem Wiederkehrkopfschmerz kommen, so kann nach frühestens zwei Stunden neuerlich ein Triptan eingenommen werden. Wiederkehrkopfschmerzen sind definiert als eine Verschlechterung der Kopfschmerzintensität auf mittelstarke oder starke Kopfschmerzen in einem Zeitraum von 2–24 Stunden nach der ersten wirksamen Medikamenteneinnahme, wenn mit dieser Kopfschmerzfreiheit oder leichte Kopfschmerzen erreicht wurden.6 Wenn Wiederkehrkopfschmerzen häufig auftreten, so kann initial ein Triptan mit einem langwirksamen NSAR (z. B. Naproxen) kombiniert werden. Nach der Einnahme von Triptanen kommt es bei 15–40 % der Patient*innen zu einem Wiederkehrkopfschmerz.7 Bei besonders langen Attacken könnte auch mit zeitlicher Verzögerung nach dem Triptan ein lang wirksames NSAR genommen werden. Wirkt ein Triptan allein nicht ausreichend, kann es auch initial mit einem kurzwirksamen NSAR kombiniert werden.4 Wie die anderen Analgetika wirken auch Triptane am besten, wenn sie früh in der Attacke eingenommen werden. Studien zeigten jedoch, dass sie auch bei späterer Einnahme noch wirksam sind.4, 8–10

Bei Patient*innen mit starker Übelkeit oder Erbrechen ist eine parenterale Gabe zu bevorzugen, z. B. Zolmitriptan-Nasenspray oder Sumatriptan subkutan, auch Schmelztabletten können bei Übelkeit von Vorteil sein (obwohl sie nicht über die Mundschleimhaut resorbiert werden).Triptane sind bei kardiovaskulären und zerebrovaskulären Erkrankungen, bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit und bei nichtkontrollierter Hypertonie auf Grund ihres vasokonstriktiven Effektes kontraindiziert. Allerdings zeigten populationsbasierte Studien, dass das Risiko für vaskuläre Ereignisse unter Triptanen nicht höher ist als unter anderen Analgetika.4 Trotzdem sollten Triptane aus Sicherheitsgründen nicht während der Aura genommen werden. Das Risiko eines Serotoninsyndroms ist vernachlässigbar.4, 11 Darüber hinaus weisen NSAR ein nicht zu vernachlässigendes vaskuläres Risiko auf.

Notfallbehandlung der Migräne

Zur Behandlung von Migräneattacken im Notfallsetting stehen Acetylsalicylsäure 1.000 mg intravenös mit oder ohne Metoclopramid 10 mg intravenös zur Verfügung und Sumatriptan 6 mg subkutan. Alternativ kann Metamizol intravenös (1–2,5 g) gegeben werden.4 Zur Behandlung eines Status migraenosus können auch einmalig 50–100 mg Prednison oder 4–8 mg Dexamethason gegeben werden.12

Nichtempfohlene Medikamente

Ergotamine sind in der Akuttherapie der Migräne empirisch zwar wirksam, ihre Wirksamkeit ist allerdings in prospektiven Studien schlecht belegt.4 Da ihre Nebenwirkungsrate im Vergleich zu Triptanen und anderen Analgetika erhöht ist und Triptane in ihrer Wirkung den Mutterkornalkaloiden überlegen sind, sollten sie nicht mehr als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. In Österreich ist Dihydroergotamin als Nasenspray noch verfügbar.Opioide sind anderen Akuttherapeutika unterlegen, haben ein höheres Nebenwirkungspotenzial, führen häufig zu Wiederkehrkopfschmerzen und werden deshalb nicht empfohlen.4

Therapie der menstruellen Migräne

Die Behandlung der menstruellen Migräne unterscheidet sich prinzipiell nicht von der Behandlung anderer Migräneattacken. Allerdings sind menstruelle Migräneattacken oftmals länger anhaltend, und es kommt nach initialem Ansprechen auf die Akuttherapie häufiger zu einem Wiederkehrkopfschmerz.13

Behandlung von Migräneattacken in der Schwangerschaft

Im ersten und zweiten Trimenon sind ASS und Ibuprofen Mittel der ersten Wahl, allerdings dürfen sie im dritten Trimenon nicht eingesetzt werden. Paracetamol soll nur mehr dann eingesetzt werden, wenn Kontraindikationen gegen ASS und Ibuprofen bestehen. Triptane sind in der Schwangerschaft nicht zugelassen, allerdings weisen Schwangerschaftsregister darauf hin, dass Sumatriptan sowie auch Naratriptan (in Österreich nicht erhältlich) und Rizatriptan nicht teratogen sind, nicht zu vermehrten Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen führen und nicht die kindliche Entwicklung stören.4 Nach Abwägen von Nutzen und Risiko können sie auch in der Schwangerschaft gegeben werden. Ergotamine sind in der Schwangerschaft kontraindiziert.

Behandlung von Migräneattacken bei Kindern

Mittel der ersten Wahl sind Ibuprofen per os, 10 mg/kg KG, und ASS 500 mg per os. Mittel der zweiten Wahl ist Paracetamol per os, 15 mg/kg KG. Wenn ein Antiemetikum notwendig ist, sollte Domperidon wegen des geringeren Risikos für extrapyramidale Nebenwirkungen bevorzugt werden. Zolmitriptan 5 mg als Nasenspray ist ab dem 12. Lebensjahr zugelassen. Das ebenfalls zugelassene Sumatriptan 10 mg per os ist in dieser Dosierung in Österreich nicht erhältlich. Es liegen allerdings Daten vor, die trotz fehlender Zulassung die Anwendung der anderen verfügbaren Triptane bei entsprechender Aufklärung rechtfertigen, sofern die Akuttherapie mit anderen Analgetika nicht wirkt.4

Andere Akuttherapien

Derzeit gibt es keine Evidenz, dass „alternative“ oder „komplementäre“ Verfahren eine Migräneattacke wirksam behandeln können. Eine externe supraorbitale Nervenstimulation führte zwar zu einer Schmerzreduktion, der für Studien zur Akuttherapie obligate Endpunkt Schmerzfreiheit nach zwei Stunden wurde allerdings nicht untersucht.14 Die nichtinvasive Vagusnervstimulation zeigte teils widersprüchliche Ergebnisse und ist möglicherweise nützlich.15, 16 Die Kosten für beide Therapien sind privat zu tragen.

Ausblick

Es gibt positive Studienergebnisse zur Behandlung von Migräneattacken mit Ditanen (Serotonin-1F-Agonisten), die nicht vasokonstriktiv wirken, und Gepanten (CGRP-Antagonisten). Wann diese in Österreich zur Verfügung stehen werden, steht noch nicht fest.

Eckpunkte der Therapie der Migräneattacken

  • Akutmedikamente früh in der Attacke verwenden.
  • Ausreichende Dosierung zu Attacken­beginn einsetzen.
  • Übelkeit/Erbrechen behandeln.
  • Bei ausgeprägter Übelkeit/Erbrechen parenterale Triptane bevorzugen.
  • Achtung: häufige Attacken → Medikamentenübergebrauch?

Migräneprophylaxe

Auf empirischer Basis ist eine Prophylaxe indiziert, wenn mindestens drei Migräneattacken pro Monat auftreten, welche die Lebensqualität beeinträchtigen, die Migräneattacken regelmäßig länger als 72 Stunden andauern, auf eine Akuttherapie entsprechend der Therapieempfehlungen nicht ansprechen, Akutmedikamente an mehr als zehn Tagen im Monat eingenommen werden, die Akuttherapie unverträglich ist oder komplizierte Migräneattacken mit beeinträchtigenden und/oder langanhaltenden Auren auftreten oder nach einem migränösen Hirninfarkt bei Ausschluss anderer Ursachen.4 Das bedeutet aber auch, dass z. B. bei vier Migräneattacken, bei denen innerhalb von zwei Stunden nach Einnahme eines Akutmedikaments eine Schmerzfreiheit ohne Wiederkehrkopfschmerz erreicht wird, eine Prophylaxe nicht notwendig ist. Bei der Indikationsstellung ist das Augenmerk auf individuelle Verläufe und Lebensumstände sowie Komorbiditäten zu legen.

Eine Prophylaxe ist dann wirksam, wenn eine Reduktion der Migränetage im Monat um mindestens 50 % erreicht wird. Es hat sich als relevanter erwiesen, die Migränetage zu zählen statt der Attacken, da Attacken länger als 24 Stunden dauern können und durch die Prophylaxe oftmals zwar die Attackenzahl nicht um 50 % zurückgeht, aber die Dauer und Intensität der Attacken gemindert werden. Als Teilerfolg gilt, wenn die Migränetage keinen Rückgang um mehr als 50 % aufweisen, aber die Attacken leichter sind und besser auf die Akutmedikation ansprechen.
Vor Beginn der Prophylaxe müssen die Patient*innen ausführlich über die verwendeten Substanzen, deren Nebenwirkungen, die Therapieziele und die Therapiedauer aufgeklärt werden. Ein Kopfschmerztagebuch vor Beginn der Prophylaxe als Ausgangsbasis und während der Therapie (zumindest zu Beginn) hilft, die tatsächlichen Veränderungen zu erfassen. Nach wie vor stehen als Standardtherapien nichtmigränespezifische Substanzen zur Verfügung. Auf Grund der Nebenwirkungen, die meist vor der Wirkung auftreten, gilt: mit niedriger Dosis beginnen, langsam steigern. Die Wirkung kann erst 4–6 Wochen nach Beginn mit der vollen Zieldosis beurteilt werden. Die Therapiedauer liegt bei 6–12 Monaten, wobei die Therapiedauer eher durch die Verträglichkeit limitiert wird und außer bei Flunarizin auch länger sein kann. Bei den seit kurzem verfügbaren migränespezifischen monoklonalen Antikörpern gegen Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP) wird sofort mit der vollen Dosis begonnen, die Therapiedauer steht noch unter Diskussion. Bei Onabotulinumtoxin wird die Therapie im klinischen Alltag oftmals länger weitergeführt, allerdings können bei einzelnen Patient*innen die Injektionsintervalle gestreckt werden. Bei Therapieversagen soll umgestellt werden. Nichtmedikamentöse Maßnahmen müssen frühzeitig in das Therapiekonzept aufgenommen werden.

Medikamentöse Prophylaxe

Mittel der ersten Wahl sind Betablocker, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin sowie bei chronischer Migräne Onabotulinumtoxin A. Die Dosierungen sind der Tabelle 3 zu entnehmen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Kontraindikationen und Nebenwirkungen zu legen, aber auch auf das Nützen von Synergien, falls Komorbiditäten vorhanden sind. Für Valproinsäure besteht zwar eine ebenfalls gute Evidenzlage, aber auf Grund des teratogenen Potenzials ist sie nur noch ein Ausweichpräparat. Bei Frauen darf sie nur mehr nach schriftlicher Einverständniserklärung verschrieben werden. Für die älteren Substanzen gibt es, außer für Botulinumtoxin und in Subgruppenanalysen für Topiramat, keine Studien, die zwischen der Behandlung von episodischer und chronischer Migräne unterschieden. Empirisch ist eine Wirkung bei beiden Formen gegeben.4Mittel mit schwacher Evidenz sind Venlafaxin, Candesartan, Lisinopril, Magnesium (600 mg/Tag), Magnesium kombiniert mit Vitamin B2 und Coenzym Q10, ASS 100–300 mg/Tag (Cave: Ulzera, Blutungsneigung), Riboflavin, Mutterkraut und Pestwurz.4

Monoklonale Antikörper gegen Calcitonin Gene-related Peptide (mCGRP-AK)

Die mCGRP-AK stehen seit 2018 zur Therapie der Migräne zur Verfügung. Es konnten alle vier Substanzen (Erenumab, Galcanezumab, Fremanezumab, Eptinezumab) eine signifikante Reduktion der Migränetage und der Krankheitslast bei episodischer und chronischer Migräne nachweisen.17 Die Effektgrößen sind, soweit bei fehlenden direkten Vergleichsstudien beurteilbar, etwa gleich. Sie sind zugelassen bei Vorliegen von mindestens vier Migränetagen pro Monat. In Österreich sind Erenumab, Galcanezumab und Fremanezumab erhältlich. Sie werden von der Krankenkasse bei Erwachsenen erstattet, wenn „zuvor zumindest drei medikamentöse Migräneprophylaxeversuche von ausreichender Dauer zu keinem klinisch relevanten Ansprechen geführt haben oder wegen therapiebegrenzender Nebenwirkungen abgebrochen wurden oder wegen Kontraindikationen nicht verwendet werden können. Die Migräneprophylaxe ist nach drei Monaten und im weiteren Verlauf regelmäßig zu kontrollieren und nur bei ausreichendem Ansprechen (Reduktion der Migränetage um zumindest 50 % im Vergleich zu den drei Monaten vor Beginn der Prophylaxe) fortzuführen. Das Nichtansprechen auf die vorherigen Migräneprophylaxeversuche ist mit einem Kopfschmerztagebuch zu dokumentieren, ebenso wie die drei Monate vor Beginn und die ersten drei Monate der Migräneprophylaxe sowie die drei Monate vor jeder weiteren Kontrolle. Indikationsstellung, Erstverordnung und regelmäßige Kontrollen des Ansprechens und der Indikationsstellung durch einen Facharzt/eine Fachärztin für Neurologie oder Neurologie und Psychiatrie oder Psychiatrie und Neurologie“ (Regeltext laut MEDIS). Dosierung und Häufigkeit der Anwendung sind in Tabelle 4 zusammengefasst.

Als Nebenwirkungen fanden sich in erster Linie Symptome an den Einstichstellen und Obstipation. Da CGRP ein starker Vasodilatator ist, waren Patient*innen mit vaskulären Erkrankungen nicht in die Studien eingeschlossen, und der Einsatz der mCGRP-AK ist bei diesen Patient*innen kritisch zu sehen. Ebenso werden sie bei autoimmunologischen Darmerkrankungen nicht empfohlen, da es CGRP-Rezeptoren im enterischen System gibt. Prinzipiell sind sie jedoch nicht immunogen wirksam.

Ob bei der Anwendung der mCGRP-AK eine Therapiepause nach einem Jahr obligat gemacht werden sollte, steht unter Debatte. Seitens der Nebenwirkungen wäre es nicht notwendig. Für eine über die Therapiedauer hinausgehende anhaltende Wirkung gibt es derzeit keine Hinweise. Allerdings sollte doch geprüft werden, ob nicht aus dem natürlichen Krankheitsverlauf heraus, der oftmals zu Schwankungen der Frequenz führt, tatsächlich noch eine Notwendigkeit für die Prophylaxe mit einem mCGRP-AK besteht. Im Falle eines Wiederanstieges der Migränefrequenz nach Absetzen des mCGRP-AK kann die Therapie wieder begonnen werden. Bisherige Erfahrungen zeigten, dass erneut eine Wirkung zu erwarten ist.18

Für die Kombination verschiedener medikamentöser Prophylaxen gibt es keine wissenschaftliche Evidenz, im Alltag ist sie jedoch manchmal notwendig.Bei häufiger Migräne mit Aura oder häufigen Auren ohne Kopfschmerzen kann Lamotrigin versucht werden, alternativ auch Flunarizin oder Topiramat.4 Für den Verschluss eine offenen Foramen ovales gibt es keine Evidenz. In der Schwangerschaft sind nichtmedikamentöse Maßnahmen (Biofeedback, Entspannungstraining, evtl. Akupunktur) zu bevorzugen, bei hoher Krankheitslast könnte Metoprolol, Propranolol oder Amitriptylin verwendet werden. Bei beeinträchtigender menstrueller Migräne kann eine Kurzzeitprophylaxe mit Naproxen oder einem Triptan mit langer Halbwertszeit zweimal täglich vom Tag –2 der erwarteten Menstruation über 6–7 Tage erfolgen.4
Bei Kindern sind nichtmedikamentöse Maßnahmen die erste Wahl: Lebensstiländerungen, Entspannungstraining, Verhaltenstherapie, Biofeedback. Als zweite Wahl steht Flunarizin 5 mg täglich oder jeden 2. Tag zur Verfügung.4 Es gibt keine Evidenz, dass Valproinsäure, Topiramat und Amitriptylin besser wirken als Placebo.19

Nichtmedikamentöse

Migräneprophylaxe

Obwohl aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Migräne eine Erkrankung mit gesicherter neurobiologischer Grundlage ist, gibt es darüber hinaus eine multidimensionale Ätiopathogenese, bei der genetische, physiologische und biochemische Prädispositionen mit psychosozialen Faktoren zusammenspielen. In diesem Zusammenspiel führen wiederum häufige Migräneattacken zu einer Beeinflussung der psychosozialen Faktoren. Dieses biopsychosoziale Schmerzmodell sollte mit den Patient*innen besprochen werden.Die medikamentöse Therapie sollte durch nichtmedikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie ergänzt werden (Entspannungstraining, kognitive Verhaltenstherapie, Biofeedback, Stressmanagement, Schmerzbewältigung).4 Die Wirksamkeit von psychologischer Therapie und der Kombination aus Verhaltenstherapie und Medikamenten ist belegt, obwohl die Studienlage sehr heterogen ist.4 Bei chronischer Migräne, mit oder ohne Medikamentenübergebrauch, und Einschränkung der Lebensqualität kann auch eine multimodale stationäre Rehabilitation oder multimodale ambulante Behandlung empfohlen werden. Um die Akzeptanz zu erhöhen, sollten diese Maßnahmen frühzeitig im Migränemanagement besprochen werden und nicht erst als letzte Möglichkeit angeboten werden.
Akupunktur kann bei Patient*innen, die eine medikamentöse Prophylaxe ablehnen oder nicht vertragen, eingesetzt werden. Die Überlegenheit der klassischen Akupunktur gegenüber der Scheinakupunktur ist minimal.4Für Ausdauersport gibt es aus einigen kleineren Studien Hinweise auf eine Wirksamkeit in der Migräneprophylaxe, sodass regelmäßiger Ausdauersport zur Migräneprophylaxe empfohlen werden kann.4 Er ist auch Bestandteil der multimodalen Schmerzprogramme.

Andere Prophylaxen

Für diverse „alternative Verfahren“ besteht kein Wirknachweis: Corrugator-Chirurgie, Homöopathie, Diäten, Magnetfeldbehandlung, Neuraltherapie, chiropraktische Therapie etc.
Die Rolle der okzipitalen Nervenblockade (N. occipitalis major) ist anhand der Studien unklar, kann aber im Einzelfall versucht werden. Allerdings ist nicht geklärt, ob die Blockade mit einem Lokalanästhetikum allein, einem Steroid allein oder die Kombination hilfreich ist. Die transkutane supraorbitale Nervenstimulation zeigte eine Reduktion der Migränetage, bei jedoch kleiner Effektgröße und methodischen Mängeln.14 Die nichtinvasive Vagusnervstimulation zeigte teilweise positive Effekte bei ebenfalls methodischen Mängeln.16 Bei beiden Stimulationsverfahren sind die Kosten von den Patient*innen zu tragen.

Eckpunkte bei der Migräneprophylaxe

  • Eine Prophylaxe ist bei häufigen/behindernden Migräneattacken indiziert.
  • Bei der Therapiewahl Nebenwirkungen und Komorbidität berücksichtigen.
  • frühzeitige Kombination medikamentöser und nichtmedikamentöser Maßnahmen
  • Aufklärung über Therapieziele!
  • bei Versagen auf/KI gegen Standard­therapie: mCGRP-AK
  • bei häufigen Attacken und hohem Bedarf an Akutmedikamenten → Medikamentenübergebrauchskopfschmerz?