Ärzte zwischen den Fronten im politischen Richtungsstreit

Der Ärzteschaft fehlt, scheint es, derzeit auf allen politischen Ebenen ein Ansprechpartner. Die Bundesregierung legt sich gleich in mehreren Themen mit den Ärzten an, und die Sozialversicherung ist nach der Kassenreform vor allem mit sich selbst beschäftigt. „Das System erscheint derzeit nicht gerade stabil und konstruktiv. Es gibt viele gegenläufige Strömungen“, beobachtet auch MR Dr. Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Statt das Medizinische als Maxime der Handlung voranzustellen, laufe dies dem System zuwider, das vielmehr die ökonomische Handlung in den Vordergrund stellt. Der Grund dafür liegt allerdings nicht in der Corona-Krise und in der wirtschaftlichen Belastung, sondern geht tiefer.

 

Streit zwischen SPÖ und ÖVP

So tobt innerhalb der Krankenkassen derzeit ein politischer Richtungsstreit. Während die SPÖ-dominierte Arbeitnehmerseite Änderungen beim Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds (PRIKRAF) und staatliche Hilfen für die Sozialversicherungen verlangt, ortet der ÖVP-Wirtschaftsbund darin Parteipolitik und verweist darauf, dass die Äußerungen der Arbeitnehmer nicht abgesprochen seien. Hintergründe sind die Machtverschiebung in den Kassen durch die Reform der ÖVP-FPÖ-Regierung von Rot zu Türkis und die Rotation an der Spitze von ÖGK und Dachverband, die nun zu den Arbeitnehmervertretern Andreas Huss (ÖGK) und Ingrid Reischl (Dachverband) gewechselt ist. Reischl beurteilt das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in den Sozialversicherungen unterschiedlich. In der PVA und der AUVA sei es gut, „in der ÖGK etwas schwieriger und in der Dachorganisation am schwierigsten“. Das liege auch an den handelnden Personen. Dazu komme eine unterschiedliche Auffassung von der Rolle der Selbstverwaltung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sagt sie. Letztere sehen die Selbstverwaltung als Teil der Geschäftsführung, die Arbeitgeber sehen sie als Aufsichtsrat.

Mehrheit gegen die Obleute

Als Huss und Reischl in den vergangenen Tagen inhaltliche Vorschläge präsentierten, ernteten sie prompt deshalb Kritik. DV-Vize und SVS-Obmann Peter Lehner (Wirtschaftsbund) lässt den Arbeitnehmern via Presseaussendung ausrichten, dass diese zwar die Obfrau stellen, er aber „die Mehrheit in diesem Gremium hinter sich hat“. Sowohl im Dachverband der Sozialversicherungsträger als auch in der ÖGK funktioniere das Zusammenspiel nicht, weil sich rote Gewerkschaftsvertreter stets gegen jegliche Reformprozesse stellen, kritisiert Lehner. „Dieses destruktive Verhalten und die parteipolitischen Alleingänge seitens der Opposition begleiten uns seit der Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger – zum Leidwesen der Versicherten“, teilt auch Kurt Egger, Generalsekretär des Wirtschaftsbundes Österreich, mit.

Kommt ein „Konsolidierungskurs“?

Was prompt zum Konter der Gewerkschaft führt: „Sowohl im Dachverband der Sozialversicherungsträger als auch in der ÖGK funktioniert das sozialpartnerschaftliche Zusammenspiel nicht“, bestätigt auch FSG-Bundesgeschäftsführer Willi Mernyi die Arbeitgeberposition. Er sieht die Schuld aber genau dort, „weil Arbeitgebervertreter nicht im Sinne der Versicherten handeln. Dieses destruktive Verhalten und die parteipolitischen Machtspiele der türkisen Wirtschaftsvertreter begleiten uns seit der Zwangsfusion der Sozialversicherungsträger – zum Leidwesen der Versicherten“, sagt er. Die Stärkung der Arbeitgeberseite führe zu massiven Nachteilen für die Arbeitnehmer, betont wiederum der Vorsitzende der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), Rainer Wimmer. Der FSG-Vorsitzende erinnert an die Fusionskosten, die bis 2024 die Sozialversicherung mit 1,7 Milliarden Euro belasten werden. „Dass jetzt – unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie – ein Konsolidierungskurs angekündigt werden kann, kommt den Verantwortlichen für dieses Desaster wohl entgegen“, sagt Wimmer.

ÖGK-Obmann will Lehrpraxen aufwerten

Der Konflikt dürfte in jedem Fall prolongiert werden, denn viele Fragen sind noch offen. So geht es nicht nur um die Frage, welchen Finanzbedarf die Kassen durch die Corona-Krise haben, sondern auch wie man damit umgeht und wo gegebenenfalls gespart wird. Die Arbeitnehmer wollen Kürzungen bei den Versicherten vermeiden, Lehner hat deshalb den von Wimmer kritisierten „Konsolidierungsbedarf“ angekündigt. Das wiederum könnte den Plänen von Huss zuwiderlaufen, der die hausärztliche Versorgung stärken und unter anderem auch Lehrpraxen ausweiten sowie neue Teilzeitmodelle für niedergelassene Allgemeinmediziner entwickeln will. Huss sucht deshalb Unterstützung auf Landesebene und führt derzeit Gespräche mit allen Gesundheitsreferenten der Länder. Er bekommt aber auch Rückendeckung der Ärzteschaft. „Die Lehrpraxen sind im Bereich Allgemeinmedizin längst nachhaltig etabliert. Entsprechend wichtig ist uns daher die Stärkung dieses Erfolgsmodells“, sagt Steinhart.

Ärzte kritisieren „Drüberfahren“

Wie der Bund dazu steht, ist offen – auch wenn ÖVP und Grüne wie berichtet propagieren, dass auch ihnen die hausärztliche Versorgung wichtig ist. Denn insgesamt arbeitet der Gesundheitsminister derzeit an den Ärzten vorbei. Jüngste Beispiele sind die Debatte über eine mögliche Einführung einer Wirkstoffverschreibung bei Medikamenten, die dann von den Apotheken ausgegeben werden; die denkbare Schaffung einer Impfmöglichkeit in Apotheken oder die Änderung des Ärztegesetzes mit der künftigen Steuerung des Gesundheitsministers. „Einmal mehr wurden unsere Argumente nicht berücksichtigt – wieder wurde einfach drübergefahren“, kritisiert Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, den Nationalratsbeschluss zur Ärztegesetznovelle vor der Sommerpause. „Die ärztliche Selbstverwaltung wurde beschnitten, uns wurden Kompetenzen weggenommen, gleichzeitig bleiben aber die Kosten auch in Zukunft bei der Ärztekammer.“ Man fühle sich derzeit umzingelt, ergänzt Steinhart. „Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass Patienten in der Krise zuhause betreut werden. Jetzt drischt man auf uns hin, gibt uns keine Anerkennung und lässt uns im Regen stehen“, spielt er darauf an, dass die wirtschaftliche Unterstützung für niedergelassene Ärzte aufgrund der Corona-Verluste offen ist. Hier spielen derzeit Krankenversicherung und Bund den Ball hin und her.