„Ausbildung muss besser werden“

Uns droht ein akuter Turnusärztemangel, wenn wir nicht rasch handeln, um den Standort Österreich attraktiver zu machen und die Ärzteflucht einzudämmen“, sagt Karlheinz Kornhäusl, Stellvertretender Bundeskurienobmann angestellte Ärzte und Obmann der Bundessektion Turnusärzte der Österreichischen Ärztekammer. Aktuell betrage die Gesamt-Drop-out-Quote dramatische 38,8 Prozent. Von 1.218 Absolventen der heimischen Medizinuniversitäten im Studienjahr 2015/2016 waren im Oktober 2017 lediglich 745 ärztlich tätig. Viele würden nach wie vor ins Ausland gehen, sagt Kornhäusl.

Zu wenige Ausbildungskapazitäten

Die Gründe liegen für ihn allerdings weniger in der Höhe der Gehälter, wo Österreich aufgeholt habe, sondern in den Rahmenbedingungen. Die Arbeitsplätze im stationären und niedergelassenen Bereich müssten attraktiver werden, Bürokratie abgebaut und die Ausbildung selbst verbessert werden. „In den Spitälern ist niemand da, der Zeit für die Ausbildung der Jungmediziner hat. Die alten Ausbildungsärzte machen dies nur nebenbei – und nebenbei funktioniert nicht“, erklärt Dr. Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer.
Um den Bedarf langfristig zu decken, brauche man mehr Studienplätze sowie attraktivere Rahmenbedingungen, damit wir „gut ausgebildete junge Menschen nicht verlieren“, sagt Mayer anlässlich einer Konferenz von Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung. Generalthema der dritten Auflage der Konferenz wirsinddiezukunft, einer von der Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer organisierten Konferenz, war nicht zuletzt deshalb Leadership in der Medizin. Einig waren sich alle Teilnehmer, dass das Gesundheitswesen und die Medizin immer komplexer werden und Führung unter solchen Voraussetzungen immer anspruchsvoller ist. Zentrale Themen waren aktuelle Herausforderungen des österreichischen Gesundheitssystems wie eben die demografische Veränderung, der Ärztemangel durch bevorstehende Pensionierungswellen oder Anforderungen an die Work-Life-Balance einer neuen Generation von Ärzten.
Den ersten Ansatz für gutes Leadership sieht Gesundheitsministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner deshalb ebenfalls in der Ausbildung: „Wir müssen attraktive Rahmenbedingungen in der Ausbildung schaffen. Wir brauchen mehr Praxisnähe in der Ausbildung, wie zum Beispiel in der Lehrpraxis. Die Ausbildungsreform ist hier ein erster wichtiger Schritt gewesen, wir müssen den Weg aber weiterhin gemeinsam gehen.“ Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, warnte davor, Österreichs Gesundheitssystem schlechtzureden und forderte stattdessen eine realistische Auseinandersetzung mit vorhandenen Schwierigkeiten. An die jungen Ärzte richtete er sich mit den Worten: „Sie sind die junge Generation. Sie sind diejenigen, die uns irgendwann behandeln werden, und deshalb sind Sie besonders wichtig.“
Die drei wichtigsten Faktoren rund um professionelles Leadership sieht Kornhäusl in Teamwork, Motivation und Kommunikation: „Bereits als junge Ärztinnen und Ärzte sind wir im weitesten Sinne ,Clinical Leader‘ und lernen von Anfang an, Entscheidungen zu treffen“, sagte Kornhäusl. Der Turnusärzte-Vertreter betonte die Wichtigkeit einer neuen Kultur des Fragens und Zuhörens in der Ausbildung: „Ausbildung muss den Stellenwert bekommen, den sie verdient. Starkes Leadership bedeutet Training, Training, Training und ermutigt sowohl die Mitarbeiter als auch die Patienten, Fragen zu stellen.“
Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender Medicine der Medizinischen Universität Wien, brachte wissenschaftliche Aspekte in die Diskussion rund um Leadership ein. Der Anteil an kinderlosen Professorinnen sei mit mehr als 40 % hoch – und vor allem deutlich höher als in anderen EU-Staaten. Kautzky-Willer sieht die Notwendigkeit von familienfreundlicheren Bedingungen in der Wissenschaft, um die Herausforderungen der Work-Life-Balance für Ärztinnen und Mütter in Führungspositionen besser zu meistern. Derzeit sind beinahe 70 % der Medizinstudierenden Frauen.

Wenig Hoffnung bei Schwarz-Blau

Ein Problem sieht Mayer allerdings auch auf der Patientenseite, weil diese unter dem Motto der freien Arztwahl mit einem Schnupfen mitten in der Nacht in einer internistischen Notfallambulanz auftauchen könnten. „Wir lassen die Patienten im Sozialversicherungswesen tun und lassen, was sie wollen, und das geht nicht.“ Die Basis müsse der Hausarzt bilden, doch dazu lasse sich eben kaum jemand mehr ausbilden. An die kommende, voraussichtlich schwarz-blaue Koalition hat Mayer diesbezüglich keine hohen Erwartungen: „Ich fürchte, es wird kein Hauptthema der neuen Bundesregierung sein, sich um das Thema Gesundheitsreform zu kümmern.“ Er erinnerte daran, dass auf ÖVP-Seite kein einziger Arzt mitverhandle.
Druck kommt dafür aktuell von den Gesundheitsreferenten der Bundesländer, die ebenfalls vor einem eklatanten Ärztemangel warnen und sich für Änderungen beim Aufnahmetest für angehende Medizinstudenten aussprechen. Ebenso müsse dem berechtigten Wunsch nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance der Allgemeinmediziner Rechnung getragen werden, hieß es nach der Sitzung der Gesundheitsreferenten in Vorarlberg.
Kärntens Gesundheitslandesrätin Dr. Beate Prettner (SPÖ) nannte den Prozess rund um den Aufnahmetest für Mediziner „antiquiert“. Man brauche sehr viel mehr Medizinstudenten, wies sie auf den langen Zeitraum der Ausbildung und den dringenden Bedarf, vor allem im niedergelassenen Bereich, hin. Dabei müsse aber auch die Sozialkompetenz der Bewerber berücksichtigt werden – derzeit sei der Aufnahmetest sehr naturwissenschaftslastig, bemängelten Prettner und ihr Tiroler Kollege Dr. Bernhard Tilg (ÖVP). Diesbezüglich sei eine Überarbeitung des Tests vonnöten. „Wir steuern sehenden Auges auf einen eklatanten Ärztemangel zu“, stellte auch Salzburgs Gesundheitslandesrat Christian Stöckl (ÖVP) fest.
Zu einer besseren Work-Life-Balance der Ärzte sollen unter anderem die Primärversorgungszentren beitragen, von denen österreichweit in den kommenden vier Jahren 75 entstehen sollen. Noch fehle es aber an der Bereitschaft der Ärzte, in diesen Gesundheitszentren tätig zu sein, sagte Prettner. Diesbezüglich sei man aber in engem Kontakt mit der Ärztekammer. Stöckl wies seinerseits auf die Finanzierung der Lehrpraxen hin, für die man eine österreichweit einheitliche Lösung anstrebe (siehe Kasten). Für angehende Allgemeinmediziner sei es wichtig, zu wissen, dass die Finanzierung gewährleistet sei und die Lehrpraxis ohne Wartezeit absolviert werden könne.