„Bekenne mich zum Hausarzt“

Ärzte Krone: Ihre Vorgängerin ist zurückgetreten, weil sie die Sozialversicherung für unreformierbar hält. Sie haben den Job jetzt übernommen, sehen Sie also Reformchancen?

Alexander Biach: Ich möchte mich zuerst einmal für die Arbeit bedanken, die Ulrike Rabmer-Koller geleistet hat. Es wurden gute Grundlagen geleistet. Darauf kann ich aufbauen – in den vergangenen 15 Monaten wurde viel umgesetzt. An mir wird es nun liegen, diese Reformen aufzugreifen. Ich werde versuchen, hier ein starker Teamplayer zu sein, um alle Sozialversicherungsträger, alle Länder und die Ministerien, die für uns zuständig sind, sowie die Systempartner wie Ärzteschaft, Apotheker und Pharmawirtschaft einzubinden. Mein Ziel ist es, diese große Familie zu einen.

 

 

Wie soll das funktionieren? Zuletzt gab es den Vorwurf, dass die Kassen und das Ministerium mit Gesetzen drohen, wenn man sich nicht einigt – Stichwort: Erstattungskodex oder PHC-Gesetz.

Drohen ist immer schlecht. Ich denke, man muss den Dialog intensivieren und für alle Seiten Verständnis haben. Ich habe etwa eine massive Bewunderung und großes Verständnis dafür, welche Innovationen und Wirtschaftsimpulse die Pharmaindustrie für Österreich leistet. Das ist auch ein Beschäftigungsturbo und bringt damit auch Beitragseinnahmen für die Sozialversicherung. Umgekehrt anerkennt die Pharmaindustrie die schwierige Situation der Sozialversicherung, dass wir nicht mehr ausgeben können, als wir einnehmen.

Das Gesetz zur Prmärversorgung ist in Begutachtung. Was passiert, sollte es angesichts der Neuwahlten nicht mehr beschlossen werden?

Das wäre kein großes Drama, da auch andere Regelungen die Errichtung von Primärversorgungseinheiten ermöglichen. Es wurde ja schon eine 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern dafür geschlossen. In dem erst kürzlich unterzeichneten neuen Bundes-Zielsteuerungsvertrag sind 75 Einheiten festgelegt. Generell sind die neuen Primärversorgungseinheiten aber wichtig, damit den Patienten wohnortnah und schnell eine medizinische Versorgung zur Verfügung stehen kann.

Wo sehen Sie konkret Reformbedarf in der Sozialversicherung?

Es gibt Reformchancen, die ich in drei Bereichen sehe: der Leistungsharmonisierung, wo es große Unterschiede bei den einzelnen Krankenkassen gibt. Das verstehen die Menschen auch nicht. Des weiteren sehe ich Möglichkeiten im Ausbau der Online-Services der Sozialversicherung. Hier gibt es eine ganze Palette an Chancen für die Versicherten, etwa beim Einreichen von Wahlarzt-Rechnungen, aber auch für die Sicherheit der Patienten durch die E-Medikation oder die telefonische Gesundheitsberatung 1450. Auch ELGA ist eine Riesenchance. Natürlich gibt es immer Skepsis, das sind aber Prozesse, die ihre Zeit brauchen. Wenn diese Services gut laufen, werden auch alle froh darüber sein. Der dritte Bereich ist der Bundeszielsteuerungsvertrag mit dem es uns allen gelungen ist, konkrete und gemeinsame Maßnahmen zu definieren. All diese Bereiche gehören umgesetzt.

Wo werden Sie Schwerpunkte als Hauptverbandsvorsitzender setzen?

Unter anderem auch im Pensionsbereich, der ja stark den Gesundheitsbereich tangiert. Hier setze ich unter anderem darauf, die Kur zu reformieren. Wir müssen Prävention früher angehen, um Menschen lange im Arbeitsprozess zu halten. Damit erspart man sich auch Zuschüsse aus dem Pensionsbereich. Ein wesentliches Anliegen ist mir die Unfallversicherung, hier sollten wir die Unfallkrankenhäuser zu Schwerpunktzentren weiterentwickeln, wie das die AUVA plant.

Prävention ist aber nicht gesetzliche Kernaufgabe der Kassen …?

Ja, aber es ist eine Möglichkeit für uns, langfristig Geld zu sparen. Es ist auch gesundheitlich wichtig für die Menschen. Man darf nicht übersehen, dass wir in manchen Bereichen europaweit Spitze sind, wo wir es nicht sein sollten. Etwa im Bereich Nikotin- und Alkoholkonsum. Hier gilt es schon auch Akzente zu setzen. Und ich denke, dass das nur über Anreize geht. Wie auch immer das geht, es muss uns gelingen, dass wir die Menschen dazu bringen, dass sie mitgehen. Wenn die Menschen gesünder sind oder zumindest länger gesünder bleiben, dann lösen wir damit auch viele andere Probleme.

Bundeskanzler Kern möchte die Rücklagen der Kassen auflösen.

Man sollte das in drei Teilen diskutieren: Ich bin klar gegen eine Beitragserhöhung, weil das der Wirtschaft schaden würde und Arbeitsplätze gefährdet. Die Bildung von Rücklagen bei den Krankenkassen haben neben der gesetzlichen Verpflichtung auch bestimmte Gründe, wie etwa die Vorsorge vor unerwarteten Krisen, die zu finanziellen Sonderbelastungen führen können. Der dritte Bereich ist die Verwendung für effizienz- und leistungssteigernde Maßnahmen. Wenn man Rücklagen also sinnvoll investiert, kann es Sinn machen diese Mittel zu verwenden. Allerdings dürfen wir die Relation nicht übersehen: Wir haben etwas über einer Milliarde an verfügbaren Rücklagen im System, das sind umgerechnet gerade einmal 120 Euro pro Versichertem. Das will ich nicht auflösen und damit riskieren, dass dann für Krisenzeiten keine Rücklagen da sind.

Diskutiert wird eine Zusammenlegung von Kassen. Ist das ein Weg?

Wir sind in in der glücklichen Lade, dass sich die Studien derzeit häufen. Viele enthalten sehr viele wertvolle Einzelaspekte. Wir warten nun auf die Effizienz-Studie des Sozialministeriums und werden uns das dann alles gemeinsam ansehen und versuchen, die besten Ideen umzusetzen. Da gibt es ganz viele Themen und für mich keine Scheuklappen. Wenn am Ende herauskommt, dass eine Zusammenlegung für die Menschen sinnvoll ist, bin ich der letzte, der dagegen ist. Es muss am Ende wirklich etwas bringen. Nur Größe allein, ist nicht zwingend hilfreich. Wir haben derzeit etwa ausgewiesene Verwaltungskosten von 500 Millionen Euro. Im Vergleich mit der Schweiz und Deutschland stehen wir hier sehr gut da. Selbst wenn wir uns da zehn Prozent einsparen, ist der Effizienzgewinn bei einem Krankenversicherungs-Gesamtbudget in Höhe von mehr als 17 Milliarden Euro überschaubar. Deshalb sollten wir vielmehr versuchen, zuerst die Leistungen zu harmonisieren.

Stichwort: Ärzte. Welchen Stellenwert hat die niedergelassene Versorgung für Sie?

Ich bekenne mich zur wichtigen Funktion der Ordinationen und natürlich dem Hausarzt. Gerade die Hausärzte haben eine hohe Akzeptanz bei den Menschen und wir brauchen sie als Partner in der medizinischen Versorgung der Menschen. Das bestätigen ja auch alle unsere Umfragen in der Bevölkerung. Die jetzt diskutierten neuen Modelle der Primärversorgung werden aber nicht nur für die Menschen sondern auch für die dort arbeitenden Ärzte und andere Gesundheitsberufe spürbare Verbesserungen bringen. Es gibt viele Ärzte, die in einem Team arbeiten möchten und man sollte sich solchen Versorgungsformen nicht verschließen. Die sogenannten neuen Primärversorgungseinheiten sind daher eine Chance. Wenn das Gesetz vorliegt, bitte ich alle, dass wir es auch gemeinsam umsetzen.

 

 

Wie groß sehen Sie die Gefahr des Ärztemangels?

Wir haben generell eine sehr hohe Dichte an Ärzten. 1960 hatten wir etwa 160 Ärzte pro 100.000 Einwohner, heute haben wir 500. Ich gebe Ihnen aber Recht, dass wir nach vorne schauen müssen, um auch das hohe Niveau der medizinischen Versorgung zu erhalten. Wir brauchen deshalb gut ausgebildete Ärzte, die auch in Österreich gehalten werden müssen. Wir müssen uns sicherlich auch die Kluft Stadt-Land ansehen. Selbst wenn immer mehr Menschen in Ballungsräumen leben, muss die Versorgungsdichte am Land gegeben sein und erhalten bleiben. Deshalb setzen wir auch auf elektronische Services. Eine weitere mögliche Antwort sind die neuen Modelle der Primärversorgung entweder als Zentren im städtischen Bereich oder als Netzwerk am Land, wo bis 2021 insgesamt 75 solcher Einheiten geplant sind.

Sie wollen Leistungen harmonisieren – wie soll das genau funktionieren?

Wir reden von 23 verschiedenen Leistungsgruppen, die von Impfungen bis zu Rollstühlen reichen und sind pro Bundesland ganz unterschiedlich. Ich bin dafür, binnen Jahresfrist zu versuchen, die Hälfte zu harmonisieren. Es gibt auch Leistungen, wo wir mit den Vertragspartnern reden müssen und hier gibt es sicherlich auch Gesprächsbedarf mit den Ärzten. Für die Menschen ist egal, wie wir das tun. Sie wollen, dass es gelöst und gerecht ist. Aber natürlich gibt es Strukturunterschiede. Die Wiener Gebietskrankenkasse ist etwa sicherlich bei der Behandlung von Hepatitis C-Patienten stärker belastet, als andere Kassen. Es geht aber auch um gesetzliche Anpassungen. All das müssen wir uns ansehen. Es kann aber sein, dass es in manchen Fällen unterschiedlich bleibt. Das muss dann begründbar sein.

Gilt das auch für Honorare im ärztlichen Bereich?

Derartige Verhandlungen sind schwierig, und die Ärztekammer ist sicherlich ein gewiefter Verhandlungspartner. Ich steige aber nicht herunter, dass ich den Menschen im Wort bin und dass wir das auch bezahlen können müssen. Ich bin hier aber zuversichtlich, dass wir gute Lösungen finden, die für alle Seiten passen.

 

Zur Person: Dr. Alexander Biach (43) ist Vizedirektor der Wirtschaftskammer Wien, er war fünf Jahre Wiener Landesvorsitzender der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und zuletzt Obfrau-Stellvertreter der WGKK.