Bessere Therapieentscheidungen durch Messung der Lebensqualität

Wie hat sich meine Lebensqualität in den letzten Monaten verändert? Wie gut bin ich im Alltag trotz meiner Krankheit zurechtgekommen? Wann habe ich Nebenwirkungen von Medikamenten bemerkt? Und wie haben sich meine Symptome in letzter Zeit entwickelt? Solche Fragen stellen sich viele PatientInnen mit chronischen Erkrankungen. Diese Fragen zu beantworten steht im Zentrum der Outcome-Forschung. Als „Outcomes“ werden Behandlungsergebnisse im Gesundheitsbereich bezeichnet. Dazu gehören klinische Befunderhebungen im Krankheitsverlauf, aber auch Resultate der Lebensqualität und Funktionsfähigkeit, die den PatientInnen oft am meisten bedeuten.1 Solche Messgrößen werden oft vorwiegend oder manchmal auch ausschließlich aus Sicht der PatientInnen selbst erhoben.

Einschränkungen im Alltag messbar machen

Nach akuten Krankheitsgeschehnissen oder bei chronischen Erkrankungen (etwa des Herz- und Gefäßsystems, anderer innerer Organe oder des Bewegungsapparates), bei Kindern, bei älteren Menschen und in der Rehabilitation ist es wichtig, zu wissen, wie die PatientInnen aus ihrer Sicht im Alltag zurechtkommen, wie diese ihre Lebensqualität einschätzen und ob sie zum Beispiel durch eine bestimmte Intervention weniger Schmerzen, weniger belastungsabhängige Atemnot oder weniger Müdigkeit empfinden. Mit den richtigen Methoden lassen sich genau diese Perspektiven in optimaler Weise erheben, analysieren und vergleichen. Die ForscherInnen am Institut für Outcomes Research an der Medizinischen Universität Wien entwickeln solche Messinstrumente mittels spezieller statistischer Verfahren, die eine präzise Erhebung der von PatientInnen berichteten Outcomes, auch „patient-reported outcomes“ genannt, ermöglichen. Hierfür kommen auch Sensoren zum Einsatz, um beispielsweise Bewegungs- und Aktivitätsdaten im Alltag bestmöglich zu erfassen.

Es braucht mehr Standardisierung

Obwohl von PatientInnen berichtete Outcomes in vielen Bereichen immer häufiger zur Anwendung kommen und eine Verbesserung des Gesundheitszustandes aus Sicht der PatientInnen ein wichtiges Behandlungsziel ist, werden die dafür notwendigen Messungen derzeit noch selten durchgeführt. Outcomes, die gemessen werden sollen, und die dafür notwendigen Messinstrumente sind häufig nicht standardisiert oder werden nicht ausreichend in den klinischen Alltag integriert. Dafür gibt es mehrere Gründe: So mangelt es zum Beispiel an der technischen Infrastruktur, aber auch an einem geeigneten Verwaltungsmodell für die effiziente Erfassung und Nutzung der von Patientinnen berichteten Gesundheitsergebnisdaten in einer ethischen und nachhaltigen Weise. Solche Messungen aus PatientInnensicht könnten aber nicht nur Fachärztinnen und -ärzte, sondern auch AllgemeinmedizinerInnen hinsichtlich klinischer Entscheidungen unterstützen. Sie können unter anderem aufzeigen, wie PatientInnen im Alltag zurechtkommen, ob und in welchem Ausmaß sie Schmerzen oder Müdigkeit empfinden, oder wie sich die Lebensqualität in der Zeit seit der letzten klinischen Visite entwickelte.

Ein Hauptproblem, warum sogenannte „Beobachtungs-/Real-Life-Gesundheitsergebnisdaten“ trotz vieler Bemühungen in bereits abgeschlossenen, aber auch laufenden Projekten und Initiativen immer noch unzureichend genutzt werden, sind die fehlende Standardisierung und Interoperabilität sowie die mangelnde Transparenz im Zuge der Datenerhebung. Darüber hinaus sind die erhobenen Daten für Forschung und Qualitätssicherung oft nur teilweise zugänglich. So können Gesundheitsergebnisdaten zum Beispiel kaum zwischen einzelnen Gesundheitsanbietern oder Ländern verglichen werden. Werden Ergebnisdaten nur selektiv und in kleinem Umfang erhoben, so erhält man am Ende nur wenige Daten, die schwer zu verallgemeinern sind und aus denen man kaum Schlüsse ziehen kann. Somit bleibt der Einfluss auf die klinische Entscheidungsfindung oder den Wissenszuwachs minimal.

Internationales Pilotprojekt

Ein neues Projekt auf europäischer Ebene, bei dem die Medizinische Universität Wien gemeinsam mit Takeda eine führende Rolle innehat, wirkt dieser Fragmentierung entgegen. Das Innovative Medicines Initiative (IMI) Health Outcomes Observatories H2O Project wird Gesundheitsergebnisdaten umfassend auf Länderebene erfassen und auch von PatientInnen berichtete Outcomes miteinbeziehen. Durch die Nutzung dieser Daten wird der Einfluss der PatientInnen auf medizinische Entscheidungen gestärkt – und das nicht nur bei medizinischen Entscheidungen, welche die PatientInnen selbst betreffen, sondern auch bei der Frage, wie die Gesundheitssysteme allen PatientInnen die beste und effizienteste Versorgung bieten können. Im Rahmen dieses Projektes werden wir PatientInnen eine App zur Verfügung stellen, um ihre Outcome-Daten, wie den eigenen Gesundheitszustand, die Lebensqualität, Schmerzen oder mögliche Nebenwirkungen, auf standardisierte Weise erheben zu können. So können PatientInnen mit ihren Ärztinnen, Ärzten und anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen in einer evidenzbasierten, strukturierten Weise kommunizieren. Von PatientInnen berichteten Outcomes werden damit zu einem integralen Bestandteil eines Gesamtschemas zur Erhebung von Gesundheitsergebnissen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werden wir mit der Datenerhebung in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und Spanien starten. Das Projekt wird sich anfänglich auf Diabetes, entzündliche Darmerkrankungen und den Bereich der Onkologie konzentrieren. In Zukunft soll die Datenerhebung auf andere Krankheitsbereiche und ganz Europa ausgeweitet werden. Geschlechtsspezifische Outcomes klinisch anwenden.

Die erhobenen Daten sollen in erster Linie zur Personalisierung der Behandlung dienen, um damit die Therapiemöglichkeiten für PatientInnen zu verbessern. Dazu gehört auch, Behandlungsmaßnahmen an geschlechtsspezifische Unterschiede, sowie persönliche oder kontextuelle Faktoren aus der Lebenswelt der PatientInnen anzupassen. Grundsätzlich ist die Erfassung von Outcome-Daten aus PatientInnensicht für alle Geschlechter gleichermaßen relevant. Geschlechtsspezifische Unterschiede können jedoch nicht nur zur Personalisierung der Behandlung beitragen, sondern auch die individuelle Kommunikation im klinischen Setting verbessern.

 


 

Kommentar | PatientInnen-relevante Parameter
Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer
Leiterin der Gender Medicine Unit der
Medizinischen Universität Wien und
des Gender Instituts Gars am Kamp
Im Rahmen eines patientInnen-zentrierten Managements ist die Erhebung und Berücksichtigung von patientInnenrelevanten Outcomes für eine adäquate Therapieinitiierung und ein entsprechendes Therapie-Monitoring wesentlich. Wichtige Parameter sind dabei die Lebensqualität, das Wohlbefinden, die Schlafqualität, die Sexualität, Ängste, Sorgen um Nebenwirkungen und die Resilienz. Bei den meisten dieser Parameter bestehen altersabhängig deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, unabhängig von den Grundkrankheiten. Diese Unterschiede sind sowohl biologisch (Sex), aber vor allem auch psychosozial (Gender) bedingt und treten ab der Pubertät auf. Frauen geben allgemein ein schlechteres Wohlbefinden an. Woran das liegt, ist immer noch unklar, da ja Frauen an und für sich eine längere Lebenserwartung haben und bei vielen akuten Erkrankungen, insbesondere das Immunsystem betreffend, robuster sind. Allerdings leiden sie öfter und früher unter verschiedenen chronischen Krankheiten, die – wenn auch nicht lebensbedrohend – physisch und psychisch belastend sind. Möglicherweise beobachten Frauen ihren Gesundheitszustand auch aufmerksamer als Männer, nehmen Symptome besser wahr und berichten zudem eher darüber: Dies führt jedoch leider oft zu voreiligen Verschreibungen von Psychopharmaka, Schlaf- und Beruhigungsmitteln anstelle einer differenzialdiagnostischen Abklärung.