INITIATIVE Bewegungsapparat: Rheumatische Erkrankungen in der Allgemeinmedizin

Eine durchschnittliche Allgemeinmedizinordination hat einen ungefähren Patientendurchsatz von zwischen 100 und 200 Patienten pro Tag. Abgesehen vom Vorteil, dass ein Hausarzt seine Patienten kennt und ohne viel Basisanamnese direkt auf aktuelle Beschwerden eingehen kann, stellt sich naturgemäß die Frage: Wie schafft das der Arzt? Und: Wie geht der Arzt mit Problemen um, die nicht alltäglich sind. Damit sind wir bereits an der Wurzel des Problems.
Patienten mit akuten rheumatologischen Erkrankungen bieten oftmals nicht unbedingt für diese Erkrankung typische – so wie in unserem Studium vorgetragen und gelehrt – Symptome, sondern oftmals mehrdeutige Beschwerden, die der größten Aufmerksamkeit bedürfen, um in die richtigen Diagnosewege geleitet zu werden. Sicherlich ist es eine Domäne der Allgemeinmedizin, Patienten mit ihren Beschwerden vorerst einmal observieren zu können: Was wird daraus, wie entwickelt sich das Krankheitsbild, trägt die zeitliche Observanz dazu bei, eine sichere Diagnose zu stellen?
Aber gerade der vorerst zumeist mehrdeutige Symptomenkomplex einer rheumatischen Erkrankung und die Vorgabe durch Prävalenz und Inzidenz derartiger Erkrankungen machen die Diagnosestellung im Praxisalltag schwierig. Es stehen uns zwar sehr hilfreiche Algorithmen zur Verfügung, aber man muss auch erst auf die Idee kommen und diese konsequent verfolgen! Allgemeinmediziner sind aufgrund ihrer Grundeinstellung prädestiniert, detektivisch Verdachtsdiagnosen zu verifizieren, diese durch angemessene apparative und labordiagnostische Untersuchungen zu bestätigen und auch eine zielführende Therapie vorzuschlagen. Auch dazu gibt es sehr hilfreiche Algorithmen!

Der Hausarzt ist erste Anlaufstelle!

Ca. 80% aller Erstkontakte finden beim Hausarzt statt, 17% beim niedergelassenen Facharzt, 3% in einer Fachabteilung eines Krankenhauses!
Die Patienten erwarten sich schnelle Hilfe, geringe persönliche Belastung (Zeitaufwand, Arbeitszeitverlust, Häufigkeit der Kontakte …), wohnortnahe Versorgung, bestmögliche Diagnose, bestmögliche Therapie unter Berücksichtigung von Nutzen, Risiko und Schaden einer Behandlung, Rücksichtnahme auf Begleiterkrankungen/Begleitmedikation und Kenntnis der somato-psycho-sozialen und arbeitsrelatierten Situation.
Die Ärzte werden mit teils komplexen Krankheitsbildern aus dem rheumatischen Formenkreis konfrontiert. Dazu zählen rheumatoide Arthritis, Polymyalgia rheumatica, Spondyloarthritiden, M. Bechterew, Psoriasisarthritis, reaktive Arthritis, enteropathische Arthritiden, Kollagenosen, Sjögren-Syndrom, Raynaud-Phänomen, Mischkollagenosen, Arthritis urica, Vaskulitiden, Lymeborelliose, Fibromyalgie, schwere Arthrosen etc.
Und das alles „nebenher“ im Praxisalltag? Es gilt, die Sinne ständig offen und wach zu halten.
Zur Erleichterung der Diagnostik und späteren Therapieentscheidung gibt es ein von der ÖGAM gemeinsam mit Univ.-Prof. DDr. Manfred Herold, Rheumatologie Innsbruck, erarbeitetes Grundsatzpapier als Leitfaden für Autoimmundiagnostik (kurze Zusammenfassung s. Tab. 1.).

 

 

Lange Wartezeiten

Rheumatologie als Additivfach zum Mutterfach Innere Medizin, Orthopädie und physikalische Medizin wird im Curriculum der Humanmedizin und in der postpromotionellen Ausbildung zur Allgemeinmedizin eher nur gering angeboten, obwohl sie später in der Niederlassung ungemein wichtig ist. Das Wissen darüber müssen wir uns meist durch Fortbildungen, Kongresse und Literaturstudium aneignen. Das bringt unzweifelhaft mit sich, dass wir Primärmediziner wohl ein breites Wissen, nicht unbedingt aber ein tiefes spezifisches Wissen in gewissen medizinischen Fachbereichen haben müssen. Daraus folgt die Notwendigkeit zur Kommunikation mit niedergelassenen Rheumatologen. In Tirol stellt sich die Situation allerdings wie folgt dar:

  • Sieben niedergelassene Internisten mit Additivfach „Rheumatologie“ = Rheumatologen (alle ohne § 2-Kassenvertrag!)
  • Fünf rheumatologische Ambulanzen an/ am LKI, KH Hochzirl, KH Hall, KH Kufstein, KH Zams
  • Zwei rheumaorthopädische Aktivitäten ohne ausgewiesene Ambulanz: KH St. Johann, KH Zams
  • 116 niedergelassene Internisten, nur 33 davon mit §2-Kassenvertrag
  • Die Anzahl der niedergelassenen Rheumatologen mit Kassenvertrag beträgt: 0!! Dies stellt nicht nur die Kostenfrage für die Patienten in den Raum, sondern auch die Frage der Wartezeit.

Eine Umfrage in 100 Arztpraxen im Einzugsgebiet der MUI (Februar 2013) hat ergeben, dass 30% der Patienten, die zum Rheumatologen überwiesen werden, ein bis drei Wochen warten müssen, 55% müssen drei bis fünf Wochen und 15% sogar mehr als fünf Wochen warten. Allerdings: in akuten Situationen ist in 85% – nach Telefonkontakt mit einem Rheumatologen/ einer Spezialambulanz – die Vorstellung eines Patienten innerhalb kürzester Zeit möglich.
Der Zeitraum zwischen Krankheitsbeginn, Diagnosestellung und dem Beginn einer adäquaten Therapie sollte auch und besonders bei einer rheumatischen Erkrankung kurz sein („window of opportunity“ – strukturelle Gewebsschäden), der begründete Einsatz von Basistherapeutika ehest möglich erfolgen, natürlich immer unter Bedacht auf die Risiken einer Therapie und geografischen Möglichkeiten einer optimalen Patientenbetreuung! Die Behandlung sollte immer in Abwägung des Wissensstandes und der Erfahrung des Arztes, am besten im Konsens mit Rheumatologen oder rheumatologisch versierten allgemeinen Internisten erfolgen (Tab. 2).

 

 

Die Erwartung der Patienten ist rasche Symptomfreiheit, das heißt: Schmerzstillung, Schwellungsminderung, Verbesserung der Beweglichkeit.
Besonders im Zweifelsfall oder bei komplizierten Verläufen ist es wichtig, Patienten einem Rheumatologen vorzustellen, um die Diagnose und eine begonnene Therapie zu reflektieren und gegebenenfalls zu optimieren.

Barrierefreie Kommunikation

Unter Bedachtnahme auf die Risiken einer Therapie wird es im Interesse der Erkrankten manches Mal notwendig sein, bereits in der Primärmedizin mit Medikamenten aus dem Bereich der Basistherapie zu beginnen. Damit wird dem Patienten geholfen, das „window of opportunity“ genutzt und eine bestmögliche Therapie sichergestellt.
Mit dieser Vorgangsweise kommt die Allgemeinmedizin ihrer Aufgabe als Primärversorger bestmöglich nach. Der Facharzt wird durch zielgerichtete Zuweisung optimal eingebunden und die AM kann die Weiterbehandlung einer oft chronisch verlaufenden Erkrankung im Sinne ihres Versorgungsauftrags wahrnehmen. Gestärkt würde dieses Vorgehen durch eine barrierefreie Kommunikation mit Rheumatologen. Um die rheumatologischfachärztliche Versorgung zu verbessern und wohnortnahe Versorgung anbieten zu können, wird es notwendig sein, ausreichend viele Rheumatologen mit Kassenverträgen auszustatten!
Die Allgemeinmedizin ist bestrebt, fachärztlich-rheumatologische Expertise in unsere Diagnostik und Therapie einzubauen, wir können und dürfen uns aber besonders in Anbetracht der Niederlassungssituation nicht davor scheuen, im Interesse unserer Patienten auch in unserem Fach beste Therapie anzubieten.
Gute Ausbildung, Erfahrung einerseits und gute Kommunikation zwischen Allgemeinmedizin und Facharzt andererseits ist wichtig und sollte im Interesse unserer Patienten intensiviert werden!