Demenz in der allgemeinmedizinischen Praxis – ist ein Screening sinnvoll?

Mit zunehmendem Alter werden die Denkprozesse langsamer – dies trifft im Allgemeinen auf eine hohe gesellschaftliche Toleranz. Jedoch sind die Grenzen zwischen „normalem“ und „altersentsprechendem“ geistigen Abbau (Verlangsamung und Schwierigkeiten werden selbst bemerkt, sämtliche kognitive Funktionen sind jedoch intakt, das tägliche Leben nicht dadurch beeinträchtigt) und dem Syndrom des Mild Cognitive Impairments (Erinnerung mit deutlicher Verzögerung, subjektive Wahrnehmung der eigenen kognitiven Defizite nur zum Teil gegeben, erste Defizite in den instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens) sowie letzten Endes einer demenziellen Entwicklung (Einschränkung kognitiver Funktionen auf mehreren Ebenen) oft fließend.

Auch das „wunderlich sein“, „ein bisschen vergesslich sein“ oder aber typisch „stures“ Verhalten bei eigentlich bereits bestehender (nicht diagnostizierter) demenzieller Entwicklung gepaart mit Überforderung des Betroffenen, von Gewohnheiten abzuweichen, wird oft lange toleriert; bis es letzten Endes zu einer Eskalation oder akuten Verschlechterung kommt. „Auf einmal“ ist die betroffene Person „dement“ und das nahe Umfeld mit dieser Situation überfordert. Durch die Langzeitbetreuung in der Allgemeinmedizin sowie die Kenntnis über die beobachteten Veränderungen unserer Patienten haben wir die prädestinierte Position, demenzielle Entwicklungen zu erkennen und dementsprechend das Umfeld der Patienten, aber auch die Betroffenen selbst darauf vorzubereiten. Umso herausfordernder ist es, durch das „Mitwachsen“ mit unseren Patienten die „Wunderlichkeiten“ nicht auch zu übersehen beziehungsweise als altersnormale Entwicklung zu interpretieren und auch unsere Patienten darauf anzusprechen.

Doch ist es unsere „Pflicht“, alternde Menschen auf eine demenzielle Entwicklung zu screenen? Wie sehen wir die Konsequenzen der Diagnose? Wie gehen wir selbst mit dem Verdacht einer demenziellen Entwicklung um, beziehungsweise wie sehr achten wir dann auf die Konsequenzen und Komorbiditäten?

Diese Fragen begleiten uns im Alltag, und oftmals ist die Entscheidung, den diagnostischen Weg hin zur Demenz zu verfolgen oder nicht zu verfolgen eine individuelle und abhängig von unserer subjektiven Wahrnehmung der Patienten und ihrem Umfeld. So unsere Patienten auffällig werden, es ihnen aber nicht selbst auffällt oder sie die Problematik nicht von sich aus ansprechen, oder gar Angehörige mit der Klage eines kognitiven Problems zu uns kommen, bedarf es einer Menge an Feingefühl und Vertrauen, die Betroffenen zu einer Testung hinzuführen und sie auch auf die eventuelle Diagnose vorzubereiten. Das generelle Screening zu einer frühzeitigen Diagnose demenzieller Entwicklungen hingegen ist aktuell umstritten, bis jetzt gibt es noch keine klare Evidenz über einen Benefit. Vermutet wird jedoch, dass durch das Screening den Betroffenen vermehrte Aufmerksamkeit bezüglich Verhaltensauffälligkeiten, Betreuungsproblematiken und Sicherheit zu Hause geschenkt wird und ein sekundärer Benefit entsteht. Daher wird die allgemeine Empfehlung ausgesprochen, dass bei selbst ausgedrückten kognitiven Problemen oder aber Klagen der betreuenden Angehörigen ein Demenz-Screening stattfinden sollte.

In der S1-Leitlinie der DEGAM von März 2017 „Geriatrisches Assessment in der Hausarztpraxis“ und auch im Folder des geriatrischen Assessments der ÖGGG wird der Uhrentest (Zeichnen einer Uhr mit Uhrzeit 11:10 – eventuell plus 3-Worte-Merkfähigkeit = „schneller Uhren–Dreier“ oder „Mini-Cog“) als Screening-Instrument angeführt, um eine mäßige bis schwere Demenz auszuschließen. Bei Auffälligkeiten in diesem Test muss eine weitere Diagnostik angeschlossen werden. Hier zunehmend anerkannt (anstelle des MMSE) sind alternative Testungen wie zum Beispiel das MOCA (Montreal Cognitive Assessment) und der SLUMS-Test (Saint Louis University Mental Status Examination), ausführlichere Testbatterien sind jedoch meist der klinischen Psychologie und deren Initiierung Fachärzten vorbehalten.
Zusätzlich gibt es zur Einschätzung der kognitiven Problematik Tests, welche mit nahestehenden Personen („Informant Interview“) und Betroffenen gleichermaßen durchgeführt werden und Hinweis auf eine demenzielle Entwicklung geben können. Hier sind zum Beispiel der Short IQCODE (Deutsch) oder auch das AD8 Dementia Screening Interview (Englisch) zu nennen. In solchen Tests werden vor allem Urteilsvermögen, Kurzzeitgedächtnis (zeitliche Orientierung, Erinnerung an Gespräche vom Vortag et cetera), reduzierte Merkfähigkeit (Familienmitglieder, eigene Telefonnummer et cetera), korrekter Umgang mit Geldgeschäften, wiederholte Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis allgemein sowie Interessenverlust/Hobby-Reduktion und reduzierte Lernfähigkeit, wie zum Beispiel Haushaltsgeräte, mittels einfacher Fragen und in einem zeitlichen Vergleich, beispielsweise verglichen mit dem Ergebnis vor 2 Jahren, abgefragt. Selbst ohne diese Tests können Fragen nach Schwierigkeiten im Alltag, Auffälligkeiten in der Merkfähigkeit et cetera zusätzlich zum Uhrentest hinweisgebend sein.
Ein auffälliger Uhrentest bedarf einer erhöhten Aufmerksamkeit für den Patienten – dies ist Kernaufgabe der Allgemeinmedizin: Neben der Frage nach tatsächlicher Verschlechterung im zeitlichen Verlauf und Berücksichtigung des sozialen Hintergrundes (unter anderem Bildung und früherer Beruf) ist es auch die Aufgabe, betroffene Personen bezüglich weiterer Differenzialdiagnosen und Problematiken sowohl anamnestisch als auch klinisch „abzuklopfen“.
Gibt es Hinweise auf eine Depression/Stimmungsprobleme, Persönlichkeitsveränderungen, Antrieb? Sind die kognitiven Probleme (partiell und potenziell) reversibel? Könnte ein Delir vorliegen, oder gibt es Hinweise auf eine Schilddrüsendysfunktion, Elektrolytentgleisungen, Vitamin-B12-Mangel oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen (zum Beispiel Anticholinergika, Änderungen der Therapie in letzter Zeit, Einnahme von nichtrezeptpflichtigen Medikamenten oder Medikamenten ohne ärztliche Empfehlung, fehlende Befundübermittlung von Fachärzten)? Gibt es Hinweise auf andere relevante Grunderkrankungen beziehungsweise Verschlechterung derselben (Diabetes – Änderung des Therapiebedarfs, relevanter Gewichtsverlust, Herz- oder Niereninsuffizienz)?
Gibt es Hinweise auf einen Substanzmissbrauch (zum Beispiel Alkohol)? Geriatrische Patienten sind mit ihrer deutlich erhöhten Vulnerabilität bei Verdacht auf eine demenzielle Entwicklung im hausärztlichen Setting sicherlich „multidimensional“ zu betrachten, andere Grunderkrankungen, Sturzrisiko, Frakturrisiko sowie Osteoporose und Ähnliches sind ebenfalls mit ins Kalkül zuziehen.
Auch der Zugang zu den Angehörigen und eine entsprechende Aufklärung derselben bezüglich Prognose und Verlauf nach Diagnose einer Demenz sowie eventuell Vermittlung der Angehörigen zu Selbsthilfegruppen oder einer psychologischen Begleitung liegt oft in unserer Hand und sollte nicht vergessen werden.

 

Die Arbeit in der ÖGAM ist in den letzten Jahren vielfältig und umfangreich geworden.
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