Die Zukunft der Lehrpraxis im Test

„Das Modell hat ‚Charme‘. Die Qualitätskriterien sind sehr hoch. Es könnte ein Modell für die Zukunft werden“, erklärte Dr. Silvia Türk, im Gesundheitsministerium für Qualitätssicherung und Gesundheitssystemforschung zuständig, im Gespräch mit der Ärzte Krone. Seit Jahren wurde in Österreich über die Lehrpraxis für zukünftige Allgemeinmediziner diskutiert, gestritten, der bisherige Status beklagt. Der Versuch in Vorarlberg könnte – endlich – in die Zukunft weisen.
„Der Pilotversuch dauert zwei Jahre. Die Lehrpraxisinhaber sind bereits ausgesucht, die Teilnehmer auch. Das Projekt kann ab Oktober starten“, schilderte Manfred Brunner, Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK), unmittelbar nach Abschluss der Vereinbarung den Status.
Darum geht es: Die Vertragspartner sind übereingekommen, im Laufe der Dauer des Pilotprojekts die Möglichkeiten für Turnusärzte am Ende ihrer Spitalsausbildung für die Arbeit in einer Lehrpraxis organisatorisch und finanziell sicherzustellen. In Vorarlberg soll es demnach fünf Lehrpraxen geben. Sie sind jeweils einem der Landeskrankenhäuser – Bregenz, Dornbirn, Bludenz, Feldkirch und Hohen-ems – zugeordnet. Die Auswahl erfolgte durch eine von den Vertragspartnern konstituierte „Lehrpraxenkommission“.
Türk: „Die Vorarbeiten haben schon vergangenen im Jahr begonnen. Wir hatten den Vorteil, dass wir schon die geplanten Eckpunkte für die künftige Ärzteausbildung im Auge hatten, ebenso die Reform des Medizinstudiums mit dem Klinisch-Praktischen Jahr.“
In Vorarlberg will man wirklich „Nägel mit Köpfen“ machen. Die Anforderungen an die Lehrpraxisinhaber sind hoch: Mindestens 800 „Scheine“ pro Praxis, der Inhaber muss das DFP aufweisen. Er muss die Lehrpraxis zum allergrößten Teil selbst führen. Der Praktikant braucht einen eigenen Arbeitsplatz, ihm muss Literatur etc. zur Verfügung gestellt werden. Die EDV der Praxis muss ebenfalls dem Stand der Technik entsprechen.
Die andere Seite stellt eine besondere arbeitsrechtliche Stellung der zukünftigen Lehrpraktikanten dar. Türk: „Sie bekommen das Gehalt weiter vom Krankenhausbetreiber. Weil sie mit der Lehrpraxis auf keine 40 Wochenstunden Arbeitszeit kommen, leisten sie weiterhin drei bis vier Nachtdienste pro Monat im Spital ab.“
Damit ergibt sich in dem Modell auch eine potenziell sehr wertvolle Ergänzung: An vier Tagen in der Woche sind die Praktikanten in der niedergelassenen Praxis. Mit ihren Nachtdiensten im Spital haben sie praktisch den direkten Vergleich beider Erfahrungshorizonte.
Dr. Burkhard Walla, Internist aus Dornbirn, der für die Vorarlberger Ärztekammer das Projekt ausgehandelt hat, betonte die erhebliche Innovation, die in der Initiative des neuen Lehrpraxenmodells im „Ländle“ steckt: „Es ist natürlich auch um die Finanzierung gegangen. Da tragen jetzt der Bund 30%, 37% das Land sowie 33% je zur Hälfte die Lehrpraxisinhaber und die Gebieteskrankenkasse sowie die Ärztekammer bei.“
Für zwölf Monate werden jeweils 270.000 Euro kalkuliert: 100.000 Euro vom Bundesland Vorarlberg, 80.000 Euro vom Bund, 45.000 Euro von der VGKK und der Ärztekammer aus dem Reformpooltopf und 45.000 Euro von allen Lehrpraxisinhabern.

Erprobung der Lehrpraxisdauer

Bestimmt werden soll auch die optimale Dauer der Lehrpraxis. Hier gehen die Meinungen noch auseinander. VGKK-Obmann Brunner: „Erprobt werden zwölf und sechs Monate Dauer der Lehrpraxis. Nach den zwei Jahren soll dann bestimmt werden, was die beste Lösung ist.“ Alle fünf Lehrpraxen bilden einmal ein Jahr aus und einmal jeweils zweimal sechs Monate.
Nicht ohne Grund steht im Gesundheitsministerium Türk mit Vehemenz hinter dem Modell: „Ich war Ordinationsassistentin und habe dann Medizin im zweiten Bildungsweg studiert. Und ich war selbst in einer Lehrpraxsis tätig.“
Möglicherweise ist ein halbes Jahr Lehrpraxis genug, aber hier scheiden sich noch die sprichwörtlichen Geister. „Wir fordern die Lehrpraxis seit Jahren vehement. Unsere Forderung lautet auf zwölf Monate. Das ist ein alter Wunsch der Turnusärzte. Ich war selbst neun Monate in einer Lehrpraxis tätig. Mir hat das sehr gut getan. Ich wäre auch gerne noch länger geblieben. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse aus Vorarlberg“, meinte Dr. Karlheinz Kornhäusl, Obmann der Sektion Turnusärzte in der Österreichischen Ärztekammer.
Freilich, eine Frage bezüglich der Dauer der zukünftigen Lehrpraxis werden natürlich auch die Wünsche der jungen Ärzte sein. Wollen sie dafür wirklich eventuell auch eine noch längere Ausbildungszeit in Kauf nehmen?
Entscheidend jedenfalls sei, so Kornhäusl, dass Ärzte, speziell Allgemeinmediziner, die in die niedergelassene Praxis gehen wollen, die Medizin nicht nur im Spital kennenlernen. „Man muss auch wissen, wie es draußen läuft.“

Vorteil für beide Seiten

Unter den niedergelassenen Allgemeinmedizinern, die in den nächsten beiden Jahren in Vorarlberg das Modell tragen werden, befindet sich auch Dr. Robert Spiegel aus Dornbirn. Im Grunde ist er auf diesem Gebiet bereits ein Veteran. „Ich habe Lehrpraktikanten schon seit rund 20 Jahren. Die Erfahrungen waren eigentlich durchwegs gut. Es ergeben sich Vorteile für beide Seiten“, sagte er gegenüber der Ärzte Krone.
Geht man die Seite der Lehrpraktikanten an, so sind es die Erfahrungen mit einer zum Spitalsalltag im Vergleich gänzlich anderen Herangehensweise, welche diesen Teil der Ausbildung so wertvoll machen. „In meiner Praxis muss ich halt zunächst einmal ‚Grüß Gott‘ zu dem Patienten sagen. Er liegt nicht im Spitalsbett ‚bereit‘ für den Arzt, der da kommt. Es geht um die ökonomische Verschreibungsweise, allfällige Zuweisungen, um das familiäre Umfeld etc.“, so Spiegel. Auch der Umgang mit geriatrischen Patienten sei ein Spezifikum der Routine, die man in der Lehrpraxis erwerben könne.
Und besonders wichtig: „Ich muss als Hausarzt relativ schnell und eigenverantwortlich und ohne den gesamten apparativen Hintergrund des Spitals die Beschwerden des Patienten abklären und das Notwendige tun.“

Lehrpraxis als Reflexion der eigenen Tätigkeit

Auf der anderen Seite sieht Spiegel auch erhebliche Vorteile für den Lehrpraxisinhaber: „Ein Lehrpraktikant bedeutet natürlich auch, dass man sich dabei selbst ständig überprüfen muss. Entspricht das, was ich tue der Evidence Based Medicine? Warum tue ich etwas in dieser Art und Weise? Man hat in dem Lehrpraktikanten einen zweiten Arzt, der einem über die Schulter schaut. Man muss damit automatisch seinen Alltag reevaluieren.“
Natürlich bedeute ein Lehrpraktikant auch eine gewisse Arbeitsentlastung. Aber das dürfe nicht das Wichtigste sein. Gut an dem nun etablierten Modell in Vorarlberg, so der Dornbirner Hausarzt, sei, dass das Lehrpraktikum jeweils am Ende der Turnusausbildung erfolge. Damit könnten die Praktikanten auch schon ziemlich eigenständig arbeiten.
Hilfreich wird auf jeden Fall die bessere finanzielle Absicherung des Vorarlberger Modells als die bisherigen Defizite sein. „Ich schätze, dass ich für einen Lehrpraktikanten pro Monat rund 600 Euro drauflegen werde müssen. Im alten System waren es 1.000–1.200 Euro“, meinte Spiegel. Er hat jedenfalls bisher mit den einzelnen Praktikanten – auch solche, die noch als Medizinstudenten, nicht erst nach der Promotion, zu ihm gekommen sind – zumeist positive Erfahrungen gemacht. „Es hat auch unbrauchbare gegeben. Aber das zeigt sich in zwei Wochen.“