Editorial 13/22

Liebe Leserinnen und liebe Leser!

Hippokrates erkannte schon vor 2.600 Jahren, dass die fehlende Übereinstimmung zwischen wünschenswertem und tatsächlichem Verhalten der Patient:innen bei der Behandlung von Krankheiten die Effizienz von Therapien stark beeinträchtigt. Ein lösbares, aber sehr persistentes Problem auch der modernen Medizin. Jedoch erst in den ’60er-Jahren wurde „Compliance“ zum Gegenstand sowohl medizinischer als auch sozialwissenschaftlicher Forschung. Für die Therapietreue von Patient:innen werden verschiedene Begriffe zum Teil überlappend eingesetzt, wie die Persistenz, beschrieben als Beibehalten einer Therapie beziehungsweise Regelmäßigkeit des Einnahmeverhaltens, weiters die Compliance, welche die Übereinstimmung des Patient:innenverhaltens mit ärztlicher Empfehlung darstellt, und zuletzt die Adhärenz (oder auch „Konkordanz“); diese definiert die Therapietreue aufgrund gemeinsam vereinbarter Behandlungsziele.

Tatsache ist, dass viele Patient:innen die verschriebene Medikation entweder gar nicht oder nur unregelmäßig einnehmen; laut Schätzungen der WHO liegt die Nichtadhärenz bei der Langzeittherapie chronischer Krankheiten bei 50 %. Die jährlichen Folgekosten von nichtadhärenter Medikamenteneinnahme belaufen sich in Europa auf 1,25 Milliarden Euro.

Studien zeigen, dass adhärenzfördernde Maßnahmen, wie eine Vereinfachung des Therapieschemas, geringere Tablettenanzahl, gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt/Ärztin und Patient:in („Shared decision making“), kürzere Abstände bei den Kontrollbesuchen, Miteinbeziehung der Angehörigen, die Therapietreue um bis zu 60 % steigern können. „Profiskills zur Adhärenzförderung kann man lernen, und sie entlasten den Arbeitsalltag“, so Mag.a Dr.in Marlene Sator und OÄ Dr.in Evelyn Kunschitz in ihrem Beitrag „Von der Medikamentenadhärenz zur Patient:innenadhärenz“ (Seite 20).

Denn nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form der Informationsübermittlung spielt eine wichtige Rolle, denn laut dem französischem Geistlichen François de La Rochefoucauld gibt das Vertrauen dem Gespräch mehr Stoff als der Geist.

Vielleicht beruht auch das gerade von der Regierung ausgesprochene Nein zum Impfpflichtgesetz, auf der Grundlage, dass eine kompetente, vertrauenswürdige Kommunikation zwischen Ärztin bzw. Arzt und der/dem Behandelten die Grundlage für jede erfolgreiche medizinische Therapie ist. Denn ohne die Zustimmung, das Vertrauen und die Mitarbeit jedes Einzelnen ist es um das Einhalten von Empfehlungen und Verordnung schlecht bestellt.