Ein Probiotikum zu jedem Antibiotikum?

Antibiotika haben die Aufgabe Bakterien abzutöten, gleichzeitig führt ihr Einsatz aber regelmäßig zu einer Störung des Darmmikrobioms. Je nach verwendetem Antibiotikum und individuellem Risiko der Patientinnen und Patienten entsteht bei 5–25 % der Antibiotikabehandlungen als Nebenwirkung eine Durchfallerkrankung. Das Darmmikrobiom ist aufgrund seiner hohen Anzahl an unterschiedlichen Bakterienspezies (die Schätzungen reichen von mehreren hundert bis zu 1.000 Spezies), von denen die allermeisten sogenannte Kommensalen sind, die durch ihre Anwesenheit Stoffwechselprozesse des menschlichen Körpers unterstützen bzw. positiv beeinflussen, sehr stabil. Diese Diversität macht unser Darmmikrobiom resilient gegenüber Schäden von außen und wird als „Kolonisationsresistenz“ bezeichnet. Eine Antibiotikatherapie vermindert durch das Abtöten von empfindlichen Spezies eine Diversität des Darmmikrobioms. Dadurch haben pathogene Keime einen Selektionsvorteil und können das Darmmikrobiom überwuchern. Man spricht in diesem Fall von einem Verlust der Kolonisationsresistenz. Eine besonders gefürchtete Bakterienart ist zum Beispiel Clostridioides-difficile, von der manche Vertreter Toxine produzieren können, die bei Menschen zu lebensbedrohlichen Durchfällen führen können.

Probiotika reduzieren Durchfall­erkrankungen

Zur Vorbeugung des Antibiotika-assoziierten Durchfalls und der Clostridioides-difficile-Infektion können Probiotika verwendet werden. Probiotika sind laut WHO-Definition „lebende Mikroorga­nismen, die – in ausreichender Menge ­konsumiert – einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben“. Die Empfehlung ­Probiotika präventiv einzusetzen, beruht auf mehreren Metaanalysen, wobei es das Ziel einer Metaanalyse ist, Forschungsarbeiten quantitativ bzw. statistisch zusammenzufassen und zu präsentieren. Eine Metaanalyse der Cochrane Gruppe aus dem Jahr 2017, die 31 Studien mit 8.672 Teilnehmerinnen und Teilnehmern umfasst, zeigt, dass Probiotika das Risiko einer Clostridiodes-difficile-assoziierten Durchfallerkrankung (CDAD) um 60 % reduzieren können. Die Inzidenz von CDAD betrug 15 % in der probiotischen Gruppe im Vergleich zu 4 % in der Kontrollgruppe mit Placebo oder ohne Behandlung. In Studien, in denen Teilnehmer:innen mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von CDAD (> 5 %) ­eingeschlossen waren, ist der potenzielle Nutzen noch ausgeprägter, mit einer durchschnittlichen Risikoreduktion um 70 %. Die berichteten Nebenwirkungen waren gering (Bauchkrämpfe, Übelkeit, Blähungen, Fieber und Geschmacksstörungen) und traten bei Patient:innen in der Kontrollgruppe häufiger auf. Die Cochrane-Metaanalyse schließt daher mit der Empfehlung, dass bei ­Menschen mit hohem Risiko für eine ­Clostridiodes-difficile-Infektion – das sind insbesondere ­ältere Menschen in Regionen mit ­hohem ­Infektionsrisiko – die Prophylaxe mit Probiotika erwogen werden soll, wobei der Zeitpunkt des Beginns der Therapie besonders wichtig ist. Wird mit der ­Verwendung von Probiotika innerhalb der ersten 48 Stunden nach Beginn einer Antibiotikagabe gestartet, kann eine Durch­fallerkrankung am effektivsten vermieden werden.

Probiotika auch bei Kindern effizient

Bei Kindern zeigte eine andere Cochrane- Metaanalyse von 33 Studien aus dem Jahr 2019 mit insgesamt 6.352 Teilnehmer:innen im Alter von drei Tagen bis 17 Jahren, dass Probiotika das Auftreten eines Antibiotika-assoziierten Durchfalls verhindern können. Die Inzidenz von AAD in der Probiotika-Gruppe lag bei 8 % im Vergleich zu 19 % in der Kontrollgruppe. Bei hochdosierten ­Probiotika betrug die Inzidenz von AAD in der Probiotika-Gruppe 8 % im Vergleich zu 23 % in der Kontrollgruppe. Basierend auf hochdosierten ­Probiotika ergibt sich eine NNT („number needed to treat“) von sechs zur Verhinderung eines Durchfalls. Diese niedrige NNT bei gleichzeitigen im Vergleich zu anderen ­Therapien ­relativ günstigen Kosten von ­Probiotika machen diesen vorbeugenden Ansatz sehr attraktiv für Gesundheitssysteme. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Probiotika die Dauer von Durchfall moderat verkürzen können, und zwar um fast einen Tag. Der Nutzen hochdosierter Probiotika (z. B. Lactobacillus rhamnosus oder Saccharomyces boulardii) muss aber weiter durch weitere gut konzipierte, multizentrische ­Studien bestätigt werden. Den Pro­biotika wurden weiters keine schwerwiegenden ­Nebenwirkungen zugeschrieben. Kleinere häufige Nebenwirkungen waren Hautausschlag, Übelkeit, Blähungen und Verstopfung. Eine Ausnahme stellen schwer ­immungeschwächte Kinder dar. Wie die Produkte zugelassen sind (Arzneimittel, diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, Nahrungsergänzungsmittel, „novel food“), macht aus aktueller Sicht keinen Unterschied in der Wirksamkeit. Vergleichende Studien stehen dazu noch aus.