Fertilitätserhalt bei Tumorerkrankungen

Die Betreuung junger Erwachsener (18–39 Jahre) mit Tumorerkrankungen stellt die behandelnden Ärzte vor spezielle Probleme. Dabei wird die Population je nach Land unterschiedlich definiert: USA: 15–39 Jahre; Kanada: 15–29 Jahre; Großbritannien: 15–24 Jahre. Kurz zusammengefasst, handelt es sich weder um pädiatrische noch um geriatrische Patienten. Die Gruppe ist somit sehr heterogen und stellt den behandelnden Arzt vor Herausforderungen aufgrund der frühen Diagnosestellung, der hohen Heilungschancen (80 %) und der daraus resultierenden Langzeitfolgen und des Risikos, an Zweitmalignomen zu erkranken. Zu den häufigsten Malignomen in diesem Alter zählen neben Lymphomen vor allem Keimzelltumoren, GI-Tumoren, Gebärmutterhalskrebs, Melanome, ZNS-Tumoren, Schilddrüsenkrebs und Sarkome (Weichteilsarkome sowie Knochensarkome).

Die Behandlungskonzepte basieren auf denselben Modalitäten (Operation, Bestrahlung, Chemotherapie, zielgerichtete Substanzen und etwaige Stammzelltransplantation) wie bei älteren Patienten, sie unterscheiden sich jedoch in Dosierung und Therapiedauer. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zusammenarbeit mit Psychologen, Sozialarbeitern und anderen supportiven Strukturen, da bei diesen Patienten neben den bekannten Problemen von älteren Patienten mit Krebs auch noch die Identitätsfindung, Unabhängigkeit, berufliche Existenz sowie Probleme durch Weiterbildungsunterbrechung und Familiengründung im Vordergrund stehen. Diesbezüglich erfolgte schon die Etablierung einer SOP für Fertilität – sowohl international als auch bei uns an der Medizinischen Universität Wien.

Fertilität

Der Erhalt der Fertilität ist ein zentrales Thema und Problem in dieser speziellen Patientengruppe. Den Patienten steht eine Vielfalt an fertilitätserhaltenden Optionen zur Verfügung.

Techniken zum Fertilitätserhalt: Die Ovaripexie ist ein minimalinvasives Verfahren, um die Ovarien zu schützen, und bei geplanten Beckenbestrahlungen indiziert. Bei 88,6 % der Patientinnen blieb die ovarielle Funktion erhalten.1 Eine andere Option ist die Kryokonservierung von Oozyten: Nach vorangegangener hormoneller Stimulation werden die Eizellen mittels Follikelpunktion gewonnen, und es werden entweder befruchtete oder unbefruchtete Eizellen kryokonserviert. Ein Problem stellt dabei die Tatsache dar, dass ein gewisser Zeitbedarf von etwa 14 Tagen besteht. Die Überlebensrate von Oozyten liegt bei 100 %.2 Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe stellt eine weitere Möglichkeit dar: Der zeitliche Aufwand beträgt etwa 1–2 Tage, die Geburtenrate bei diesem Verfahren beträgt etwa 25–30 %. All diese genannten Verfahren sind etabliert. Im Gegensatz dazu ist der medikamentöse Gonadenschutz mittels GnRH-Analoga zwar nicht etabliert, ist aber die schnellste Möglichkeit, um einen Gonadenschutz herzustellen. Indiziert erscheint diese Methode, wenn Gefahr im Fall einer Verzögerung der Antitumortherapie besteht.
Als Nebenwirkung ist eine Reduktion der Knochenmasse bei längerer Gabe beschrieben worden. Bei Männern kommen zwei Verfahren zur Fertilitätserhaltung zur Anwendung: die Kryokonservierung von Spermien (etabliertes Verfahren; kein zeitlicher Aufwand) und die Kryokonservierung von Hodengewebe (experimentell; Zeitaufwand 1–2 Tage).

Wichtig vor dem Fertilitätserhalt ist die Testung auf HIV, Hepatitis B (HBs-AG und Anti-HBc), Hepatitis C (Anti-HCV-Ab), Syphilis und Chlamydien (aus dem Urin). Da diese Untersuchungen längere Zeit in Anspruch nehmen, sollten diese schon beim Erstkontakt bestimmt werden, da man die Ergebnisse bei der Vorstellung im Fertilitätszentrum benötigt.

Interdisziplinarität als Basis: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen, um die beste Therapieoption für Heranwachsende und junge Erwachsene (AYA, Adolescents and Young Adults) zu gewährleisten. Als Ziele kann man die Optimierung des Ernährungszustandes (Kooperation mit Ernährungstherapeuten) und die Optimierung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Kooperation mit Physiotherapeuten, onkologische Rehabilitation) von AYA definieren, daneben scheint die frühzeitige Einbindung von Psychologen und Sozialarbeitern von großer Bedeutung zu sein. In Deutschland ist die Behandlung von AYA an vielen Universitätskliniken bereits etabliert.

Resümee

Bei Patienten mit onkologischen Erkrankungen ist eine frühzeitige Anbindung an gynäkologische Zentren – am besten schon bei Diagnosestellung – anzustreben, um eine etwaige Therapieverzögerung zu verhindern. Als einzige etablierte Therapieoption hat sich die Kryokonservierung von Ovarialgewebe beziehungsweise Hodengewebe/Spermien gezeigt. Der Einsatz medikamentösen Gonadenschutzes ist zwar die schnellste Methode, jedoch nicht etabliert.

 


KOMMENTAR Krebsdiagnose und erfolgreiche Reproduktion

 

Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer
Leiterin der Gender Medicine Unit der Medizinischen Universität Wien und des Gender Instituts Gars am Kamp

2012 waren weltweit eine Million Menschen zwischen dem 20. und dem 39. Lebensjahr von einer neuen Krebsdiagnose betroffen. Bei jungen Männern überwiegen Hoden- und Leberkrebs, bei Frauen Brust- und Gebärmutterhalskrebs. Die Betroffenen müssen über eine potenzielle behandlungsinduzierte Gonadentoxizität aufgeklärt und in Bezug auf mögliche Strategien zur Erhaltung der Fertilität beraten werden. Nach einer Krebstherapie sind die Reproduktionschancen niedriger als in der Allgemeinbevölkerung, wobei in der Literatur Männer etwas größere Erfolgschancen als Frauen aufweisen. Besonders nach Behandlung von Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Brustkrebs sind die Chancen für eine Schwangerschaft deutlich schlechter. Insgesamt sind nach einer Krebstherapie etwas höhere Raten an Schwangerschaftskomplikationen bei den betroffenen Frauen beschrieben, wobei Metaanalysen auf ein höchstens gering erhöhtes Risiko für kongenitale Anomalien nach Kryokonservierung hindeuten. Ein engmaschiges Monitoring in der Schwangerschaft wird empfohlen. In jedem Fall ist eine individuelle Beratung durch ExpertInnen, ein gutes Timing sowie ein gutes inter- und multidisziplinäres Management für eine erfolgreiche Reproduktion notwendig.

 


Literatur:

  1. Bisharah M, Tulandi T, Am J Obstet Gynecol 2003; 188(2):367–70
  2. Nagy ZP et al., Semin Reprod Med 2009; 27(6):450–5