„Gemeinsam können wir alles schaffen, alleine nichts“

Mit Mag. Ulrike Rabmer-Koller ist erstmals eine Frau Chefin der österreichischen Sozialversicherung. Die oberösterreichische Unternehmerin – sie ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Bau- und Umwelttechnikfirma Rabmer aus Altenberg bei Linz und hat Betriebswirtschaftslehre studiert – engagiert sich darüber hinaus seit Jahren für die Interessen der Wirtschaft im Bundesland und seit Ende Mai 2015 auch bundesweit in ihrer Funktion als Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Österreich. Auf europäischer Ebene ist Rabmer-Koller Vizepräsidentin der UEAPME (Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe).

Ärzte Krone: Frau Mag. Rabmer-Koller, welches sind Ihre inhaltlichen Schwerpunkte als Hauptverbandsvorsitzende?

Ulrike Rabmer-Koller: Vorrangig geht es mir um eine weitsichtige Weiterentwicklung des österreichischen Gesundheitssystems, welches von 90% der Bevölkerung als positiv beurteilt wird. Der internationale Vergleich zeigt, dass es zwar sehr gut ausgebaut, aber auch relativ teuer ist. Der Hauptverband bündelt die Interessen aller Versicherten und muss ein aktiver Player sein, wenn es um Reformen und damit die langfristige Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung geht. Inhaltliche Schwerpunkte werden die stärkere Orientierung auf die Versicherten bzw. Patienten und nicht auf Institutionen sein. Das Gesundheitssystem braucht auch mehr Transparenz, mehr Qualitätswettbewerb und Innovationen im Interesse der Patienten. Als Unternehmerin weiß ich, dass man aufs Geld schauen, sich laufend weiterentwickeln und den Kunden in den Mittelpunkt stellen muss. Diese Grundregeln gelten auch in der Sozialversicherung, wo die Beitragsgelder bestmöglich und zukunftsorientiert eingesetzt werden müssen und die Versicherten zu Recht Top-Versorgung erwarten können. Das ist nur zu schaffen, wenn man das System effizient gestaltet, Doppelgleisigkeiten abbaut, Innovationen zulässt und bereit ist, über Grenzen hinauszudenken. Gemeinsam können wir vieles schaffen, alleine aber nichts. Wenn wir das solidarische System der österreichischen Sozialversicherung für kommende Generationen erhalten wollen, dann muss jeder Player bereit sein, über die reinen Einzelinteressen hinaus zu denken und Kompromisse einzugehen. Unsere Aufgabe wird es sein, Wege und Lösungen zu finden, die Gesundheitsversorgung langfristig abzusichern.

Eines Ihrer erklärten Ziele ist die Förderung von Präventionsmaßnahmen – wie könnte das konkret aussehen?

Rabmer-Koller: Derzeit ist es so, dass viele Player unterschiedliche Maßnahmen – auch im Rahmen der Präventionsstrategie – setzen. Diese Ressourcen müssen wir bündeln und gezielt verwenden. Und wir müssen mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen vermehrt auf die Bedeutung von Prävention hinweisen. Das sollte mithilfe der Gesundheitserziehung schon in der Schule passieren, weil im Kinder- und im Jugendalter die Verhaltensweise im Erwachsenenalter geprägt wird und auch das Elternhaus positiv beeinflusst werden kann. Wenn uns das gelingt, werden wir auch erreichen, dass die Menschen länger gesund leben.

Ärzte haben in diesem Zusammenhang natürlich einen ganz wichtigen und hohen Stellenwert, zum Beispiel im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung, wenn Arzt und Patienten gemeinsam bestimmte Gesundheitsziele vereinbaren und im Lauf der Zeit evaluiert wird, ob diese Ziele auch erreicht wurden. Das könnte man dann auch mit Anreizsystemen koppeln. Ich glaube auch, dass das Thema „Eigenverantwortung des Versicherten“ betont werden sollte. Wir sollten hier alle Möglichkeiten durchdenken, um das Bestmögliche für das Gesamtsystem zu erreichen- vor dem Prinzip, dass der Patient im Mittelpunkt steht. Darauf sollten sämtliche Maßnahmen abgestimmt werden.

Sind neue Modelle der Honorierung imallgemeinmedizinischen Bereich angedacht? Wie könnten sie aussehen?

Rabmer-Koller: Es gibt zwei Ansätze in der Diskussion, einerseits mehr in Richtung Pauschalierung oder andererseits eine Angleichung der Honorarordnung an die Versorgungsaufträge. Im Zuge der neuen PHC werden durchaus neue Honorierungssysteme angedacht, die man dann auch auf den ganzen Bereich der niedergelassenen Allgemeinmediziner ausrollen könnte: Auf der einen Seite eine Grundpauschale für Investitionen und Betriebskosten sowie eine Vorhaltung für die Öffnungszeiten. Und dann in Kombination damit eine Art „Fallpauschale“ für die Behandlung jedes Patienten. Daneben könnte man einzelne, aufwendige Leistungen zusätzlich separat vergüten. Eine zusätzliche Möglichkeit ist „Pay for Performance“, also wenn zusätzliche, vereinbarte Ziele erreicht wurden. All das würde natürlich auch bedeuten, dass man den Gesamtkatalog überarbeiten müsste.

Die Ärztekammer befürchtet,dass der Gesamtvertrag in Gefahr ist?

Rabmer-Koller: Die zukünftigen Verträge müssen wir gemeinsam mit der Ärztekammer entwickeln. Aber wir brauchen natürlich auch die Bereitschaft aller, Veränderungen anzunehmen. Das Gesamtsystem, so wie es jetzt ist, können wir nicht weiter-führen. Wir müssen uns aus der Starre herausbewegen und das System wirklich weiterentwickeln. Wir werden mit der Ärztekammer Gespräche führen und versuchen, gemeinsam innovative Modelle zu entwickeln und auch an den Rahmenbedingungen zu arbeiten. Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft auf beiden Seiten, aufeinander zuzugehen und neue Systeme zu diskutieren. Wenn allerdings so weitergemacht wird wie bisher, dass diese Dinge über die Medien ausgerichtet werden und vor allem das Negative betont wird, anstatt die Zukunftsperspektiven, dann wird die Bevölkerung verunsichert und unser Gesundheitssystem schlecht gemacht.

In welchem Zustand befinden sich die Krankenkassen?

Rabmer-Koller: „Die Gebarungsergebnisse aller Krankenkassen für das Gesamtjahr 2015 zeigen eine leichte Erholung der finanziellen Situation der Sozialversicherung. Die Maßnahmen zur Kostendämpfung wirkten sich besonders in der zweiten Jahreshälfte 2015 positiv aus und drückten das Defizit in der gesamten Krankenversicherung von ursprünglich prognostizierten 129 Mio. Euro Defizit (Februar 2015) auf letztlich 22 Mio. Euro – bei einem Gesamtbudget von 17,1 Mrd. Euro. Auch wenn ein leichter Aufwärtstrend erkennbar ist, bleibt die Lage mehr als angespannt. In Umsetzung der Gesundheitsreform sollen mehr Leistungen aus dem stationären in den niedergelassenen Bereich verlagert werden. Die Verringerung der stationären Spitalsaufenthalte ist ein zentrales gesundheitspolitisches Ziel. Das heißt aber auch, dass auf die soziale Krankenversicherung steigende Kosten für die medizinische Versorgung im Primärbereich zukommen. Die aktuellen Prognosen für das Jahr 2016 bilden diese Entwicklung bereits ab und zeigen einen erneuten Anstieg des Gebarungsabgangs aller Krankenversicherungen auf prognostizierte 94 Mio. Euro. Und in den Folgejahren sind es über 200 Millionen und über 400 Millionen. Deshalb ist für mich klar, dass Geld Leistung folgen muss. Das ist ein Committment, das es dringend umzusetzen gilt. Wir brauchen eine faire Verteilung der Mittel zwischen Bund, Ländern und der Sozialversicherung. Die laufenden Verhandlungen über den Finanzausgleich müssen diese Leistungsverlagerung entsprechend berücksichtigen.

Der niedergelassene Bereich muss gestärkt werden, und die Mittel dafür müssen aus dem Spitalsbereich in den niedergelassenen Bereich umgeschichtet werden. Zusätzlich sehen wir, dass die Ausgaben für Heilmittel wachsen. Es gibt jetzt mit dem Rahmenpharmavertrag zwar eine gute Regelung mit der Pharmawirtschaft, aber trotzdem steigen die Kosten im Gesamtbereich prozentuell höher als die Einnahmen, was mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation, der höheren Arbeitslosenrate und den damit geringeren Einnahmen zu tun hat. Und diesen Spagat müssen wir einfach schaffen.

Was halten Sie von einer Finanzierung aus einem Topf?

Rabmer-Koller: Ich glaube, dass das für die Zukunft die bestmögliche Lösung wäre, um nicht mehr in institutionellen Strukturen zu denken, sondern zu sagen: „Was ist das Beste für den Patienten, für den Versicherten? Wie kann ich die Mittel bestmöglich einsetzen?“ Aber natürlich, wenn man weiß, wie viele Finanzierungs- und Entscheidungsströme es im Gesundheitssystem gibt, wird klar, dass Veränderungen schwierig sind. Es gibt im Regierungsprogramm ein Übereinkommen zur einer Effizienzstudie. Meiner Meinung nach wäre es wichtig, diese Studie ergebnisoffen zu halten und international zu vergeben, um auch wirklich den Blickwinkel von außen zu haben. Die bestmögliche Lösung muss dann auch umgesetzt werden.

Was tut sich bei ELGA?

Rabmer-Koller: „Der Ausbau von ELGA wird für unser Gesundheitssystem eine wesentliche Effizienz-, Qualitäts- und Komfortsteigerung bringen. Besondere Bedeutung wird für die Patienten der Start der Anwendung e-Medikation im Mai 2016 haben. Die Vermeidung gefährlicher Wechselwirkungen und aufwendiger Doppelverordnungen stellt einen wesentlichen Beitrag für das gesamte Gesundheitswesen dar. Dass damit auch Kosten im Gesundheitswesen reduziert werden können, ist ein positiver Nebeneffekt. Wesentlich ist aber, dass die e-Medikation hilft, Gesundheitsschäden für die Patienten durch Wechselwirkungen von Medikamenten zu vermeiden. In diesem Zusammenhang würde ich mir von der Ärzteschaft mehr Unterstützung für dieses Thema wünschen.

Viele Ärzte zweifeln derzeit noch an der Praktikabilität von ELGA …

Rabmer-Koller: Das System soll ja auch laufend weiterentwickelt und Schritt für Schritt hinsichtlich Anwendbarkeit, Suchfunktion etc. verbessert werden. Aber je mehr blockiert wird, desto weniger kann man weiterentwickeln. Der nächste Schritt ist das elektronische Bewilligungssystem eBS, das auch zusätzliche Möglichkeiten schaffen würde, beispielsweise wenn auf der elektronischen Zuweisung des Hausarztes zu einem Radiologen vermerkt ist, wie dringend die CT bzw. MRT-Untersuchung aufgrund des Diagnoseverdachtes ist.

Können Sie sich prinzipiell vorstellen, dass Ärzte auch einmal Ärzte anstellen können?

Rabmer-Koller: „Es wäre denkbar, denn auch die Lebenswelten der Ärzte und Ärztinnen haben sich verändert. Aber hier braucht es eine Betrachtung des Gesamtsystems und gemeinsame Lösungen.“

Danke für das Gespräch!