Gender Medizin: Rauchverhalten von Frauen und Männern

Angesichts der aktuellen Debatte zum Rauchverbot ist in Erinnerung zu rufen, dass es in Österreich die meisten jungen Raucherinnen gibt und ebensolche Maßnahmen eine wichtige Grundlage für eine bessere Gesundheit darstellen. Die Rate an Lungenkrebserkrankungen steigt bei den Frauen in Österreich aufgrund des zunehmenden Rauchverhaltens stark an. Auch Darmkrebs und Harnblasenkrebs sind gerade bei Frauen besonders mit Rauchen assoziiert. Bei Männern zählt Rauchen neben Alkohol und Bluthochdruck konstant zu den drei stärksten Risikofaktoren für DALY. Die Inzidenz an Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist in Ländern mit Rauchverboten zurückgegangen. Das Herzinfarktrisiko steigt durch Rauchen bei Frauen noch deutlicher an als bei Männern, auch Passivrauchen gefährdet beide Geschlechter, aber Frauen besonders stark. Weniger bekannt ist, dass Rauchen auch das Diabetesrisiko und das Risiko für Osteoporose bei Männern und Frauen erhöht.
Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer

 

Insgesamt gesehen ist die Lebenszeitprävalenz für nahezu alle Suchterkrankungen bei Männern mindestens doppelt so hoch wie bei Frauen – mit Ausnahme der Nikotinabhängigkeit, wo Frauen Männer nahezu eingeholt haben.
„Rauchen kann tödlich sein!“ – seit 2003 sind solche Warnhinweise in allen EU-Staaten und in der Schweiz auf jeder Zigarettenpackung vorgeschrieben. Ziel dieser europaweiten Initiative ist, der Bevölkerung die Gefahren und gesundheitlichen Folgen des Rauchens bewusst zu machen. Außerdem sollen die Möglichkeiten der Tabakindustrie, die Zigarettenschachtel als Kommunikationsmittel zu nutzen und für das Rauchen Werbung zu machen, beschränkt werden. Durch diese und weitere Strategien wie beispielsweise Erhöhung der Zigarettenpreise konnte in den vergangenen Jahren erfreulicherweise insgesamt ein Abfall des Anteils der rauchenden Bevölkerung innerhalb der EU beobachtet werden. Zumindest bei einer Bevölkerungsgruppe – den Männern!
Vor einigen Jahrzehnten wurde der Prototyp eines Rauchers in der Zigarettenwerbung geschaffen, der für die damalige Zeit typisch war: ein männlicher Cowboy mittleren Alters, der unabhängig und erfolgreich auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang reitet. Malt man hingegen ein realistisches Bild des heutigen Rauchers, gehört er eher einer bildungsfernen Schicht an, ist jung und finanziell benachteiligt – und sehr oft weiblich! Die Gründe für diese Entwicklung liegen in genderbedingten und geschlechtsbezogenen Unterschieden von Männern und Frauen.

Aktuelle Zahlen

Aktuell liegt die Prävalenz von Rauchern und Raucherinnen im europäischen Durchschnitt bei rund 26 % der Allgemeinbevölkerung, wobei deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu erkennen sind. Die höchsten Zahlen finden sich in Griechenland mit 37 %, Bulgarien und Frankreich mit 36 % und Kroatien mit 35 %. Die geringste Prävalenz findet man in Großbritannien mit 17 % sowie in Schweden mit 7 %. Zwischen 2006 und 2017 ist die Zahl in der EU zurückgegangen, wobei seit einigen Jahren das Niveau konstant bleibt.
Betrachtet man nun die Unterschiede im Rauchverhalten bei den Geschlechtern, so zeigt sich, dass in allen Mitgliedstaaten der EU die Prävalenz des Nikotinabusus bei Männern höher ist. Europaweit greifen etwa 29 % der Männer und 20 % der Frauen täglich zur Zigarette. Befragt man Frauen zu den Gründen ihres Nikotinabusus, so antworten viele, dass sie sich eine Zigarette anzünden, um Nervosität, Anspannung oder Frustration abzubauen. Männer hingegen geben an, dass ihnen das Rauchen eher zur Entspannung und als Anregung dient. Zudem greifen sie hauptsächlich in Gesellschaft und beim gleichzeitigen Alkoholkonsum vermehrt zur Zigarette. Bei beiden Geschlechtern findet man die meisten rauchenden Personen in Bevölkerungsschichten mit niedrigem Bildungsniveau, niedrigerem Einkommen und niedrigem sozialen Status. Eindrücklich erscheint, dass der höchste Anteil von weiblichen Nikotinsüchtigen in der Gruppe der Geschiedenen, Unverheirateten und Alleinerzieherinnen zu finden ist.
In Österreich raucht derzeit rund ein Viertel der Bevölkerung täglich, ungefähr 26 %der Männer und etwa 22 % der Frauen. Auffallend ist, dass Österreich im EU-weiten Vergleich einen der Spitzenplätze bei rauchenden Frauen einnimmt, während der Männeranteil im europäischen Mittelfeld liegt. In diesem Zusammenhang erscheint es nicht verwunderlich, dass Österreich innerhalb der EU den letzten Platz bei der Tobacco Control Scale einnimmt – einem Indikator, der die Umsetzung der gesetzlichen Tabakkontrolle misst. Hierzu zählen Rauchverbote im öffentlichen Raum, die Anhebung der Tabaksteuer, Werbeverbote, ein breites Angebot an Entwöhnungstherapien für aktive Rauchende, die Präventivarbeit an Schulen sowie die Anhebung des Alters für den Kauf von Tabakprodukten. Viele Expertinnen und Experten sehen diese Versäumnisse als Hauptursache für den hohen Anteil an Rauchenden in Österreich.
Betrachtet man im Speziellen die Bevölkerungsgruppe der 12–18-jährigen österreichischen Frauen, so zeigt sich, dass in keinem anderen Land der EU mehr jugendliche Mädchen rauchen. Der Anteil der 12–18-jährigen Raucherinnen ist mit 29 %erschreckend hoch. Im Vergleich dazu rauchen „nur“ 25 % der österreichischen Burschen. Dieser Trend ist in anderen EU-Staaten ebenfalls sichtbar, allerdings nicht in solch hohem Ausmaß.
Ein Erklärungsmodell für das junge Einstiegsalter beim Zigarettenkonsum von Frauen könnte die unterschiedliche Entwicklung von Mädchen und Buben sein. So weiß man, dass die Pubertät bei Mädchen durchschnittlich zwei Jahre früher einsetzt, sodass sich Verhaltensänderungen dementsprechend früher manifestieren. Speziell in einer Lebensphase, in der sich junge Menschen emanzipieren, eine Abnabelung von den Eltern und anderen Autoritätspersonen stattfindet und Regeln angezweifelt werden, stellt das Rauchen bei vielen Jugendlichen eine Möglichkeit dar, ein Zeichen zur Selbstbestimmung zu setzen. Sowohl bei jungen Frauen als auch bei männlichen Jugendlichen hat das soziale Umfeld einen immensen Einfluss auf das Rauchverhalten. Jugendliche, in deren Freundeskreis und/oder Familie viele Raucher und Raucherinnen zu finden sind, rauchen häufiger als Jugendliche mit rauchfreiem Umfeld.

Hormone als Auslöser

Ein weiterer Aspekt, der in Zusammenhang mit dem höheren Anteil jugendlicher Raucherinnen in Österreich erwähnt werden muss, ist der vermeintlich gewichtsregulierende Effekt des Rauchens. Viele Frauen setzen das Rauchen gezielt ein, um weniger zu essen beziehungsweise Hungergefühle zu unterdrücken. Diese Strategien werden durch medial vermittelte Bilder von schlanken und erfolgreichen Menschen gestützt, die, vor allem von jungen Mädchen, als Vorbilder für das eigene Erscheinungsbild wahrgenommen werden.
Allerdings spielen nicht nur genderspezifische Faktoren eine gewichtige Rolle bei der unterschiedlichen Entwicklung der Nikotinsucht von Männern und Frauen, sondern auch physiognomische Zusammenhänge. Hierzu beschäftigte sich eine Forschergruppe aus Yale mit der bildlichen Darstellung von Neurotransmittern, also Botenstoffen des Gehirns, die bei der Inhalation von Zigarettenrauch ausgeschüttet werden. Beim Rauchen gelangt das Nikotin in wenigen Sekunden zu den Rezeptoren im Gehirn, wobei als Folge dieser Verbindung vor allem Dopamin ausgeschüttet wird. Dieses und einige andere Botenstoffe wie beispielsweise Serotonin und Adrenalin lösen Glücksgefühle, milde Euphorie und Wohlbefinden aus. Sucht und Nikotinverlangen kommen dadurch zustande, dass der Körper nach Verebben der Nikotinwirkungen neuerlich nach der Substanz verlangt. Die Forscher und Forscherinnen betrachteten in ihrer Untersuchung diese Hirnvorgänge, die während der Konsumation einer Zigarette auftraten und fanden bei den Geschlechtern eine unterschiedliche Aktivierung von Hirnarealen. Mit Hilfe spezieller bildgebender Verfahren wurden kurze Filmsequenzen erstellt, die eine Dopaminausschüttung im Gehirn während der Inhalation beim Zigarettenrauchen zeigten. So wurde sichtbar, dass bei Männern nach Nikotinzufuhr die Dopaminausschüttung in bestimmten Hirnarealen schnell und in gleichem Ausmaß auftrat, während bei Frauen die gleichen Hirnareale geringere Aktivität aufwiesen und der Grad der Ausschüttung stärker variierte. Diese Erkenntnisse erscheinen einerseits bedeutsam für das Verständnis von geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Entstehung der Nikotinabhängigkeit, aber vor allem liefern sie wichtige Hinweise für die Therapie der Nikotinsucht.
Dementsprechend gibt es bei der Behandlung der Nikotinabhängigkeit ebenfalls Unterschiede bei Männern und Frauen. Geht man von den oben beschriebenen Forschungsergebnissen aus, so wird verständlich, wieso die meisten Nikotinersatztherapien bei Männern viel wirkungsvoller sind als bei Frauen, da der Plasmaspiegel von Nikotinersatzpräparaten (zum Beispiel Nikotinpflaster) im weiblichen Organismus deutlich schneller abfällt als im männlichen. Auch sei darauf hingewiesen, dass motivierte Männer in der Nikotinentwöhnung allein mit Non-Stop-Methoden erfolgreich sind, während Frauen öfters mit verhaltenstherapeutischer und/oder medikamentöser Unterstützung vergleichbare Therapieerfolge verzeichnen können. Bedingt durch den Umstand, dass es im Rahmen einer Nikotinentwöhnung zu einer Gewichtszunahme kommen kann, sollte auch dieser Aspekt in einer Entwöhnungstherapie berücksichtigt werden. Zusätzlich ist bekannt, dass es bei Frauen im Rahmen des Nikotinentzugs häufiger zu depressiven Verstimmungen kommt, die ebenfalls im Bedarfsfall therapeutisch behandelt werden müssen.
Abschließend soll noch die E-Zigarette erwähnt werden, die viele Nikotinabhängige als Möglichkeit betrachten, leichter vom Tabakrauchen loszukommen. Bisher gibt es noch nicht genügend evidenzbasierte Daten zu den langfristigen Auswirkungen der unterschiedlichen Stoffe, die in E-Zigaretten enthalten sind. Allerdings häufen sich die Hinweise, dass vor allem die diversen Aromastoffe möglicherweise krebserregende Auswirkungen haben könnten. Zusätzlich findet weiterhin eine Nikotinzufuhr durch Inhalation statt, sodass die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestehen bleibt. Auch bei den sogenannten „Dampfern“, die nikotinfrei sind, sehen Expertinnen und Experten die Gefahr, dass die „Einübung“ des Rauchverhaltens die Wahrscheinlichkeit einer späteren Nikotinabhängigkeit erhöhen könnte. Und die Tatsache, dass der Gebrauch von „Dampfern“ vor allem unter Jugendlichen sehr verbreitet ist, macht eine genaue wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema in den kommenden Jahren unumgänglich.