INITIATIVE: Genderaspekte bei Kindern und Jugendlichen beachten!

ÄRZTE KRONE: Frau Professor Strametz-Juranek, die 6. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin (ÖGGSM) war dem Thema Genderaspekte bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Störungen gewidmet. Warum ist das ein so wichtiger Punkt?

JEANETTE STRAMETZ-JURANEK: Es war uns ein Anliegen, diesen Aspekt hereinzunehmen, weil es gerade über diese Altersgruppen im Allgemeinen eher wenige Daten gibt, vor allem hinsichtlich Genderaspekten. Diese Sitzung, die die Hauptsitzung der Tagung darstellte, wurde von unserer Vorstandsstellvertreterin Frau Dr. Andjela Bäwert organisiert. Der erste Punkt waren genderspezifische Aspekte der Depression bei Kindern und Jugendlichen, der von Frau Univ.-Prof. Dr. Christine Vesely, Medizinische Universität Wien, präsentiert wurde. Hier sind die Daten vergleichbar mit denen der Erwachsenen. Die Depression ist im Kindes- und Jugendalter zum Glück selten, aber nach der Pubertät tritt sie vor allem bei Mädchen verstärkt auf. Was aus dieser Präsentation sehr stark hervorgegangen ist, ist, das vor allem die Depression mit den klassischen weiblichen Symptomen korreliert. Darunter fallen Rückzug, Apathie und schulische Probleme. Bis dato gibt es kaum Daten über depressive Burschen, die ein ähnliches Problem wie depressive Männer haben dürften: Sie haben andere Symptome, die aber dadurch, dass sie nicht mit der Depression assoziiert sind, möglicherweise unterdiagnostiziert sind. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt, der nicht bekannt genug ist!

Gibt es diese geschlechtsspezifischen Unterschiede auch in der Krisenintervention bei Kindern und Jugendlichen?

Hierzu präsentierte die psychotherapeutische Leiterin von „Die Boje“, Frau Dr. Gertrude Bogyi, ihre Erfahrungen. Sie informierte darüber, wie sich Burschen und Mädchen, die eine akute Krise wie den Tod eines Elternteils oder Erfahrung von Leid hinter sich haben, verhalten. Auch hier gibt es sehr wenige (geschlechtsspezifischen) Daten. Was aber gesagt werden kann, ist, dass sich z.B. im Hinblick auf die Krisenintervention Mädchen viel leichter öffnen, sie mit der Zeit die Hilfe auch leichter annehmen. Die Burschen hingegen sind zurückhaltend, wobei Dr. Bogyi dieses Verhalten darauf zurückführt, dass das möglicherweise auch mit der sozialen Rolle einhergeht – es gilt als „unmännlich“, zu weinen und Hilfe anzunehmen. Sie präsentierte dann auch das Beispiel eines Burschen, der einen Tötungsversuch der Mutter miterlebt hat. Während der Behandlung mit Dr. Bogyi fing dieser Bursche an, mit einem Puppenhaus zu spielen. Die Behandlung wurde dann von einem Psychologen übernommen – ab dieser Zeit spielte der Bub wieder mit „klassischen“ männlichen Dingen. Später traf Dr. Bogyi ihn wieder, und er begann erneut, mit dem Puppenhaus zu spielen, um sein Trauma zu verarbeiten. Aus derartigen Beispielen folgert Dr. Bogyi, dass es sicher eine Rolle spielt, wer die behandelnde Person und wer der Patient ist.
Sie hat auch Zeichnungen mitgebracht, die zeigen, wie Kinder und Jugendliche die Traumen verarbeiten. Es war grafisch interessant zu sehen, wie Mädchen den Tod eines Elternteils zeichnen, oder mit wie viel mehr Aggression und Aktivität Burschen diese Bilder malen. Sie sagte auch, dass sich vor allem Burschen sehr oft in ihre eigene Welt zurückziehen, viel am Computer spielen oder fernsehen, und dann mit dem Vorwurf konfrontiert werden, desinteressiert zu sein. Dabei ist es ein klassisches Verhaltensmuster, dass sich die Burschen von ihrer Umwelt zurückziehen, um Abstand zu diesem Trauma zu gewinnen. Leider wird es in der Erwachsenenwelt sehr oft als mangelndes Interesse missinterpretiert.

Welche Aspekte sind aus Sicht der Forensik besonders interessant?

Der Vortrag von Frau Professor Sabine Völkl-Kernstock von der Forensikambulanz an der Medizinischen Universität Wien ist, hat darüber informiert, wie Kinder mit Traumen und Gewalt, insbesondere mit sexuellem Missbrauch, umgehen.

Essstörungen werden oft als klassisch weibliches Problem eingestuft. Wie sieht es in der Realität aus?

Professor Michael Doron, ein israelischer Psychiater von der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv, der als unser Ehrengast eingeladen wurde, sprach über geschlechtsspezifische Aspekte bei Essstörungen und sagte hierzu, dass es gerade bei Burschen so ist, dass sie – vor allem wenn sie Bulimie haben – überhaupt nicht auffallen. Sie sind sportlich, ja fast schon sportsüchtig, sehr durchtrainiert und verbringen sehr viele Stunden im Fitnesscenter. Darüber, dass sie aber zu Hause den Eiskasten plündern, um dann wieder alles zu erbrechen, wird nicht gesprochen und man denkt nicht daran, dass auch Männer von dieser Störung betroffen sein können. Professor Doron berichtete, dass er in dem Zentrum, das er leitet, auch herausgefunden hat, dass es für Männer, die unter Essstörungen leiden, wichtig ist, welche Form der Behandlung sie bekommen und dass hier auch wieder das Geschlecht des Behandlers eine Rolle spielen könnte. Er meine, dass sich ein männlicher Therapeut bei männlichen Patienten positiv auf die Behandlung auswirkt. Die Betroffenen müssen wieder lernen, ihre eigenen Körper und auch die Rolle des Mannes zu akzeptieren, und sie müssen auch hinsichtlich ihrer Nahrungsaufnahme monitiert werden.

Welche Themen wurden denn abseits von der Hauptsitzung behandelt?

Am Nachmittag wurden die geschlechtsspezifischen Aspekte in der Urologie besprochen. Diese Sitzung wurde von Dr. Eisenmenger geleitet, der auch die neu gegründete Österreichische Gesellschaft für Mann und Gesundheit vorgestellt hat, die sich der männlichen Gesundheit annimmt, um den Mann präventionsbewusster zu machen, ihm Körperbewusstsein beizubringen und ihn zu informieren.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es hinsichtlich genderspezifischer Aspekte auf dem Gebiet der Pulmologie?

Diese Sitzung habe ich selbst organisiert und ich bin sehr stolz darauf, weil es so etwas bis dato noch nicht gegeben hat. Der erste Aspekt, der besprochen wurde, war die Schlafapnoe, die eigentlich klassisch dem Mann zugeordnet wird. Es gibt aber auch Frauen, die darunter leiden. Im Gegensatz zu den Depressionen sind es hier nun sie, die unterdiagnostiziert sind. Wenn die Schlafapnoe nicht erkannt und behandelt wird, hat das bei Frauen stärkere Auswirkungen auf die Gesundheit, als beim Mann, es kann z.B. zu kardiovaskuläre Erkrankungen als Folgeerkrankungn kommen.
Im Zuge dieser Session gab es dann einen Vortrag von Dr. Christopher Lambers, Medizinische Universität Wien, über die Unterschiede der männlichen und weiblichen Lungen an sich. Er sagte, dass z.B. Mädchen wesentlich mehr Surfactants produzieren als männliche Kinder, was ein Grund dafür sein kann, dass lungenunreife Burschen eher die Tendenz haben, Asthma oder Probleme mit der Lunge an sich zu bekommen. Prinzipiell wird das Thema Asthma bronchiale bei Burschen schon besprochen, ebenso wie die Tatsache, dass Prävalenz und Inzidenz geschlechtsspezifisch aufgelistet eher in Richtung Mann gehen. Dr. Lambers sagt, dass die größere Produktion von Surfactants bei Mädchen zu einer besseren Lungenreife führt, was ihnen einen großen Vorteil bringt.
Der letzte Teil der pulmologischen Vorträge betraf das Rauchen. Früher war das Bronchuskarzinom immer eher ein Problem des Mannes, aufgrund des Rauchverhaltens wird es heute auch immer öfter bei Frauen diagnostiziert. In einer neuen Studie, die vor Kurzem auch im New England Journal of Medicine publiziert wurde, konnte gezeigt werden, dass Frauen mittlerweile hinsichtlich der Inzidenz und Prävalenz des Bronchuskarzinoms gleichauf mit Männern liegen. Sehr erschütternd ist, dass Frauen weniger lang und weniger Zigaretten rauchen als Männer, aber im gleichen Ausmaß an Lungenkrebs sterben. Frauen sind also hinsichtlich des Bronchuskarzinoms wesentlich vulnerabler.

Abschließend noch zur Sitzung über Genderaspekte des Diabetes mellitus und dessen Behandlung – worauf muss geachtet werden?

Auch in der Stoffwechselsitzung gab es einen Kinderpunkt, der sich auf Typ-1-Diabetes bezog. Dieser wurde von Frau Dr. Gabriele Berger, Medizinische Universität Wien, präsentiert, die sich mit dem Aspekt der Insulinpflicht bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Etwa ein Drittel der jungen Patienten verhalten sich absolut compliant.
Ein Drittel hingegen überdosiert sich ganz bewusst mit Insulin, um Gewicht abzunehmen. Das sind vorrangig Mädchen, die besonders unter der Gewichtszunahme leiden und mit der Veränderung der Insulindosis akzeptieren, dass der Zucker nicht gut eingestellt ist, dafür aber abnehmen. Außerdem gibt es auch einen nicht zu vernachlässigenden Prozentsatz bei Jugendlichen, die sich bewusst falsch dosieren, um den Körper als Regulation dafür zu schädigen, dass sie frustriert sind, sich einschränken müssen, das aber eigentlich nicht wollen. Das ist auch im Hinblick auf die extramurale Versorgung ein sehr wichtiger Bereich, und ich halte die Kollegen dazu an, bei ihren Patienten auf diesen Aspekt zu achten!

Danke für das Gespräch!

 

ZONTA Golden Heart

Mehr Herz. Mehr Frau. Mehr Leben.

Die Initiative informiert in vielfältiger Weise über die Besonderheiten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen, deren Risikofaktoren und ihre gezielte Vermeidung – in Vorträgen, bei Veranstaltungen und mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit.
Zonta Golden Heart wurde speziell von Frauen für Frauen entwickelt und wird von einer Plattform mehrerer Partner getragen. Es sind Einzelpersonen, Ärzte, öffentliche Organisationen und Unternehmen, die dieses Anliegen aktiv unterstützen.
Informationsinitiativen, wie diese, haben in den USA bereits nachweisliche Erfolge erzielt. Das weibliche Bewusstsein über Herz-Kreislauf-Erkrankungen konnte von 36% (im Jahr 1997) auf 64% (im Jahr 2009) erhöht werden.
Ziel ist es, die derzeitige Rate an Herz-Kreislauf-Toten in Österreich (über 33.000 pro Jahr) zu senken. Eine gezielte Bewusstseinsschaffung kann eine wesentliche Verbesserung der Selbsteinschätzung bringen und damit viele Todesfälle verhindern.

Weitere Informationen unter: www.zontagoldenheart.com