Gesundheitsreform: Die Arbeit fängt erst an!

Mitte Dezember 2012 einigten sich Bund, Bundesländer und Hauptverband der Sozialversicherungsträger – politisch – auf den Start der „Gesundheitsreform“. Die Zeit drängt. Medizinische Leistungen sollen am „Best Point of Service“ erbracht werden, die Finanzierung soll der Leistungserbringung folgen. In Vorarlberg lässt sich an drei Projekten ablesen, wie erfolgreich, erfolglos oder auch schwierig die „Mühen der Ebene“ sein werden: Bei der „Gesundheitsinitiative Dermatologie“, bei der „Ambulanten Erstversorgungseinheit“ am Krankenhaus Bregenz und bei einem Projekt der augenärztlichen Versorgung im „Ländle“.
Ab Anfang 2014 wird’s ernst: Die Gesundheitsreform soll wirksam werden. Sie soll zur Effizienzsteigerung führen, Leistungen von den Spitälern in den niedergelassenen Bereich und umgekehrt verlagern. Hinzu kommt eine geplante Kostendämpfung bei den öffentlichen Gesundheitsausgaben von 3,430 Milliarden Euro für die Jahre 2012-2016 (projektierte Gesamt-Mehrausgaben: 14,019 Milliarden Euro).
Abseits der reinen Finanzdebatte: Das alles hängt an Bundes- und Landesgesetzen sowie vor allem am Zustandekommen von Beschlüssen der zukünftigen Bundes- und Länder-Zielsteuerungskommissionen. Und da drängt die Zeit. Mag. Peter McDonald, der Stellvertretende SVA-Obmann: „Die Rahmengesetzgebung steht. Die ist im Parlament. Formell können sich Bund und Länder mit der offiziellen Nominierung der Mitglieder der Bundes-Zielsteuerungskommission theoretisch noch bis Ende April Zeit lassen. Die Konstituierung ist erst im Mai geplant.“
Aber dann kommt’s: Die Landesgesetze müssen geändert, die Bundesländer-Zielsteuerungsverträge abgeschlossen werden. Der SVA-Mann: „In den Landes-Zielsteuerungskommissionen sollen die Bundesvorgaben ja auf Landesebene heruntergebrochen und die ersten Landeszielsteuerungsverträge bis 30. September vorgelegt werden.“ Dafür sei aber sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene viel Detailarbeit notwendig, was eben schnelles Handeln notwendig mache.

Musterbeispiele aus Vorarlberg

„Geld folgt Leistung“, „Leistung am dafür bestgeeigneten Ort“ (für Patienten und das Gesundheitswesen) – die Schlagworte sind buchstäblich sonder Zahl. Einen Vorgeschmack auf die – möglicherweise erfolgreichen, möglicherweise mühsamen und möglicherweise – erfolglosen Anstrengungen bieten drei Vorarlberger Projekte:

  1. Gesundheitsinitiative Dermatologie mit versuchter Wiederherstellung einer normalen Versorgungspyramide.
  2. Ambulante Erstversorgungseinheit (AEE) am LKH Bregenz
  3. Spezialisierte, ambulante Ophthalmologie-Zentren

Das erste Beispiel: Dermatologie. „Wir haben innerhalb von zwei Jahren eine fast 50%ige Steigerung auf mehr als 21.000 Patientenkontakte an unserer Abteilung am Landeskrankenhaus Feldkirch gehabt. Wir haben limitierte Ressourcen. Wir sollten eigentlich unser Exzellenzzentrum ausbauen“, erklärte der Leiter der Dermatologischen Abteilung, an dem LKH, Prim. Univ.-Doz. Dr. Robert Strohal, im Gespräch mit der Ärzte Krone.
Die „schwersten Fälle“ sollen ins Spital, eines der Schwerpunktthemen der Abteilung sollen auch die arzneimittelbedingte Allergien sein. Mit Anfang 2012 startete man in Vorarlberg deshalb von Seiten der Landeskliniken, der VGKK, der Ärztekammer und des Landes selbst die „Gesundheitsinitiative Dermatologie“. An der Ambulanz wurden „Selbstzuweiser“ mit entsprechender Information an die Allgemeinmediziner zurückverwiesen. Die sollten dann entweder selbst behandeln oder an den niedergelassenen Facharzt weiterverweisen. Oberstes Gebot: Re-Installierung der „Versorgungspyramide“. Zuweisung vom Hausarzt an den niedergelassenen Facharzt, Zuweisung vom Facharzt an die Ambulanz (so erforderlich).
Das zahlte sich offenbar aus. Manfred Brunner, Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK): „Von im Jahr 2012 im Durchschnitt pro Tag 12,5 ‚Selbstzuweisungen‘ ging die Zahl bis Jänner 2013 auf 0,4 ‚Selbstzuweisungen‘ zurück. Wir bringen die Patienten wieder zurück in die Versorgungspyramide. Wenn dann am richtigen Ort die Kosten entstehen, haben wir nichts dagegen. Dafür sind wir ja da. Natürlich werden wir nach diesem erfolgreichen Versuch bei Folgeprojekten auf eine faire Synergie- und Kostenaufteilung achten.“ Fazit, so Strohal: „Wir haben drei Fachärzte und zwei Ausbildungsstellen. Wir wollen die Schwerstkranken im Spital behandeln. Und wir sind darin gut.“

Gut, aber …

Das hat Auswirkungen. Sind die niedergelassenen Dermatologen „beleidigt“, die Hausärzte „überfordert“? Dr. Udo Längle, Fachgruppenobmann der Vorarlberger Dermatologen: „Wir haben zunächst einmal Solidarität mit den Kollegen im LKH Feldkirch gezeigt. Die Sache hat Vor- und Nachteile. Wir können vom Patienten die Vorlage eines Überweisungsscheines verlangen, Bagatellfälle sehen wir kaum noch. Wir haben von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse eine zusätzliche Dermatologenstelle (Kassenvertrag, Anm.) bekommen. Bei bis dahin neun Kassenstellen ist das etwas. Aber leider ist das Kassensystem in Vorarlberg extrem leistungsfeindlich.“ – Die seit Jahrzehnten geltende strenge Deckelung mache einfach mehr „Scheine“, „Patienten“, „Leistungen“ uninteressant.
Wolfgang Bohner, Leiter der Abteilung für Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsges.m.b.H.: „Zwei Dinge waren für den Erfolg wichtig: Alle Ärzte haben das mitgetragen. Und zweitens war es die Informationskampagne in der Öffentlichkeit.“ – Man muss halt den Menschen auch erklären, warum sie in einer Spitalsambulanz plötzlich „abgewiesen“ werden – um dorthin zu kommen, wo sie mit den meisten Erkrankungsfällen auch hingehören: in der Dermatologie wohl am ehesten in die niedergelassene (Allgemein-)Medizin.

Fehlgeleitete Patienten

Die Sache hat eine Vorgeschichte: Zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2009 stieg in Vorarlberg die Zahl der Ambulanzfälle um 42% auf 222.000 pro Jahr. Hingegen erhöhte sich die die Zahl der Fälle im niedergelassenen Bereich zwischen 2000 und 2008 (kurativ) nur um 13% auf 1,6 Millionen.
Eine Studie von Bundesland, Landeskrankenhäusern, VGKK und Ärztekammer im Jahr 2010 kam zu folgendem Ergebnis: 45% der Spitalsambulanzpatienten wären eigentlich beim Hausarzt besser aufgehoben gewesen, 20% beim niedergelassenen Facharzt.
Das bedeutet mehr als nur „Reformbedarf“. Das zweite Projekt: die „Ambulante Erstversorgungseinheit“ (AEE) am LKH Bregenz. Univ.-Doz. Dr. Christian Huemer, Primararzt und Projektleiter: „Im Jahr gab es 160.000 ambulante Begutachtungen. 40% davon erfolgten ohne Zuweisung.“

Ambulante Erstversorgungseinheit

Mitte 2012 wurde deshalb die AEE eingerichtet. Huemer: „Das wird derzeit in etwa zwischen 8.00 Uhr und 16.00 Uhr an den Wochentagen betrieben. Jeder Patient kommt zunächst in diese Ambulanz. Eine diplomierte Krankenschwester führt eine Triage nach dem Manchester-Triage-System durch. Dann erst wird der Arzt tätig. Für eine Aufrechterhaltung des Service von Sonntag bis Montag zwischen 8.00 Uhr und 21.00 Uhr würden wir drei Allgemeinmediziner benötigen. Wir haben gesehen, dass 40% der Patienten wieder direkt nach Hause gehen oder an den Hausarzt verwiesen werden können. Wir haben keine Intention, eine allgemeinmedizinische Versorgung zu betreiben.“
Mittlerweile sei auch die Rettung positiv eingestellt: Die ist schneller wieder weg, die Patienten sind betreut.

Sinkende Ambulanzzahlen

Die Sache hat auch noch eine – für Österreich erstmalige – Komponente: In Vorarlberg sinken die Zahl der Ambulanzpatienten und auch die Frequenzen erstmals. Die aktuellen Daten, so Bohner:

  • Von 2002–2011 stiegen die Ambulanzfälle in den Vorarlberger Landeskrankenhäusern von 124.022 auf 160.872. 2012 waren es dann nur noch 155.702.
  • Die Ambulanzfrequenzen erhöhten sich von 288.784 im Jahr 2002 auf 380.308 im Jahr 2011 – um dann im Jahr 2012 auf 368.464 zu fallen.

 

 

Fehlschlag, einstweilen …

Allzu viel (Erfolg) ist sprichwörtlich ungesund: Beim dritten Projekt – der Neuordnung der Ophthalmologie im „Ländle“ kam man bisher nicht wirklich an ein Ende. VGKK-Obmann Brunner: „Da sieht man, dass nicht alles so leicht funktionieren muss. Da gibt es auch innerhalb der Ärzteschaft, innerhalb einer Fachgruppe, unterschiedliche Meinungen.“
Die Ausgangslage war klar: Am WGKK-Spital – dem Wiener Hanusch-Krankenhaus – werden beispielsweise 97% der Kataraktoperationen mittlerweile ambulant durchgeführt. In Vorarlberg war man da bisher weit davon entfernt. Der Plan: ein Zentrum für komplexe ophthalmologische Eingriffe (Augenhintergrund etc.) – stationär. Und dann für Vorarlberg ein weiteres OP-Zentrum, das von einigen niedergelassenen Augen-Fachärzten betrieben wird. Dazu dann noch vier konservative Augenzentren.
Brunner: „Das hätte das Spital entlastet. Auf der anderen Seite hätte es auch jungen Augenärzten die Möglichkeit geboten, mehr als Optometrie etc. zu machen.“
Genau daraus wurde vorerst einmal nichts. Dr. Andrea Guggenberger, Fachgruppenobfrau (Feldkirch): „Die Investitionen gehen massiv ins Geld. Für ein Gerät für die optische Kohärenz-Tomografie (OCT; Anm.) sind das 70.000 Euro. Für ein solches Zentrum sind das ein bis zwei Millionen Euro. Und dann sind die Honorare gedeckelt.“
Für den VGKK-Obmann stellt das ein Beispiel dafür dar, dass man nicht aufgeben sollte. Man benötige eben noch Zeit: „Wir brauchen für die niedergelassene Praxis und die Ambulanzen in den Spitälern abgestimmte Leistungen und Honorierungen, wo das möglich ist. Dann wird es egal, wo diese Leistungen erbracht werden. (…) Bei den Deckelungen sind wir gesprächsbereit.“ In Österreich würde aber sonst ein Augenarzt pro Jahr im Durchschnitt etwa 6.000 Patienten betreuen, in Vorarlberg ein Ophthalmologe hingegen im Durchschnitt 4.000.

 

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