Gesundheitsreform: Rechnung ohne den Wirt

Am 21. November 2012 hat es vielen Ärzten gereicht – über 800 Kollegen aus allen Bundesländern fanden sich bei der von der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) organisierten öffentlichen Vollversammlung und dem anschließenden Protestkonvent ein, um ihren Unmut gegen die geplante Gesundheitsreform kundzutun. Die Stimmung im Wiener Museumsquartier war emotionsgeladen wie selten bei einem ärztlichen Zusammentreffen. Es wurde einstimmig eine Resolution gegen die Gesundheitsreform beschlossen – wesentliche Eckdaten sind ein Bekenntnis zum solidarischen Gesundheitssystem sowie Widerstand gegen Zentralisierung, Verstaatlichung und weitere Bürokratisierung im Gesundheitswesen.
Die Resolution beinhaltet insgesamt zehn Forderungen an die Politik:

  • Konjunkturunabhängige Finanzierung des Gesundheitssystems
  • Vorrang der ambulanten Versorgung
  • Entlastung der Spitalsärzte durch Leistungsverlagerung aus den Ambulanzen in den niedergelassenen Bereich
  • Verzicht auf zentralistische Steuerungs- und Organisationsgremien
  • Konsequenter Abbau der überbordenden Bürokratie
  • Attraktive, familienfreundliche und vor allem für Jungmediziner interessante Arbeitsbedingungen in Spital und Niederlassung
  • Garantie für die Selbstverwaltung der Ärzteschaft insbesondere bei Qualitätssicherung, Ausbildung, Stellenplanung und Honorargestaltung
  • Zeitgemäße, flexible freiberufliche Zusammenarbeitsformen
  • Umsetzung des Haus- und Vertrauensarztmodells der ÖÄK
  • Gesundheitsreform nur mit den Ärzten

ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger brachte die Kritik auf den Punkt: „Die österreichische Bevölkerung soll erfahren, dass hinter der Gesundheitsreform eine Finanzreform steckt. Die Politik drückt sich vor klaren Aussagen und führt Geheimverhandlungen. Es ist offenbar der Stil des Gesundheitsministeriums, wichtige Verhandlungen unter Ausschluss der Systempartner zu führen. Eine Gesundheitsreform kann aber nur mit den Ärzten funktionieren. Wenn die Ärzte die Gesundheitsreform nicht mittragen, dann ist sie von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Herbe Kritik gab es neuerlich für die ausschließlich wirtschaftliche Ausrichtung der Reform. „Wenn die Kostendynamik des Systems willkürlich begrenzt wird, kommt es zu einem Abschmelzen der Leistungen – und das führt in eine echte Zwei-Klassen-Medizin“, analysierte der erste Vizepräsident der ÖÄK, Dr. Karl Forstner. Ein solches System sei für Ärzte ökonomisch kein Problem, widerspreche aber den ethischen Grundsätzen der österreichischen Ärzteschaft. Forstner: „Das Gesundheitssystem sollte fair, sozial und gerecht sein.“ Jeder solle – unabhängig von Einkommen und sozialem Status – Zugang zu allen Leistungen haben.

„Trotz aller Beteuerungen, den niedergelassenen Bereich etwa durch Umsetzung des Hausarztmodells auszubauen, gibt es nach wie vor zu wenige Ordinationen“, schloss sich Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte, an. Wenn die Ordinationen Aufgaben der Ambulanzen übernehmen sollten, dürfe man dort nicht sparen, sondern müsse vielmehr neue Stellen schaffen.

Schließlich müsse auch berücksichtigt werden, dass die Menschen in Krisen eher krank sind und daher mehr ärztliche Hilfe brauchten, erklärte Finanzreferent Dr. Herwig Lindner, Präsident der Ärztekammer Steiermark. „Die Länder, der Bund und die Sozialversicherung sehen sich gerne als Zahler im Gesundheitssystem. Das ist aber falsch. Zahler sind die Bürger. Politik und Sozialversicherung haben die Pflicht, die Beiträge und Steuern sinnvoll einzusetzen und Überschüsse den Bürgern zugutekommen zu lassen“, betonte Lindner.­

Einsparung durch Optimierung der Patientenströme

Der Präsident der Oberösterreichischen Ärztekammer, Dr. Peter Niedermoser: „Sollte es bis Jänner nicht zu einer zufrieden stellenden Lösung kommen, planen wir, am 16. Jänner österreichweit die Ordinationen geschlossen zu halten und in den Krankenhäusern Spitalsärzteversammlungen abzuhalten.“ Die Vorwürfe, die Ärztekammer würde reflexartig jede Gesundheitsreform bekämpfen, kann Niedermoser nicht nachvollziehen. „Wir sind nicht gegen Verbesserungen – im Gegenteil. Wir haben der Politik mehrmals ein Konzept vorgelegt, wie man durch eine Strukturänderung die Patientenströme optimieren und auch beträchtlich Geld einsparen könnte. Die Verantwortlichen haben unsere Vorschläge, die auch von einem partnerschaftlichen Planungsansatz im Gesundheitswesen ausgehen, aber nicht aufgegriffen. Uns dann ‚reformunwillige Beharrungskräfte‘ vorzuwerfen halte ich für eine Verdrehung der Tatsachen.“ Die Ärztekammer werde jedenfalls alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die Umsetzung der aktuellen Pläne zu verhindern, denn „auch wenn es die Verantwortlichen gern anders darstellen und uns vorwerfen, wir würden die Patienten für unsere Interessen missbrauchen: Wir bekennen uns zu einem solidarischem Gesundheitssystem, in dem alle die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten!“

Kollaps der Spitalsambulanzen?

Dass die Urheber der Reformpläne gegen die Ärztekammer Stimmung machen und in der Bundesgesundheitskommission geschlossen für eine Beendigung der Info-Kampagne der Ärztekammer gestimmt haben, sei ein weiteres Indiz dafür, dass es rein um Stimmungsmache gehe – ein derartiger Beschluss sei nämlich weder rechtlich bindend noch habe er sonst irgend eine Konsequenz.

Dr. Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte: „Die Politik drückt sich vor der Verantwortung, sich zur Leistungsreduktion zu bekennen. Wenn man jetzt alle Patienten den Spitälern, die ja den Ländern gehören, zuschiebt, dann wird das zum Kollaps führen. Es kann auch nicht sein, dass in Zukunft jede Form der ambulanten Medizin in den Spitalsambulanzen stattfindet.“

Der Präsident der NÖ Ärztekammer, Dr. Reisner, forderte eine offene Diskussion mit allen Verantwortlichen – sein Hauptkritikpunkt an der Reform ist der fehlende Mut der verantwortlichen Politiker, alle Zahlen auf den Tisch zu legen: „3,4 Milliarden Euro sollen bis 2016 eingespart werden. Das ist eine gewaltige Summe. 3,4 Milliarden entsprechen den gesamten Ärztekosten im niedergelassenen Bereich in Niederösterreich für rund zehn Jahre.“ Er kritisiert die vielen Doppelgleisigkeiten bei Bürokratie und Verwaltung, etwa in den Hochburgen der Sozialversicherungen: „Die Doppelgleisigkeiten im Verwaltungsbereich könnten aus meiner Sicht einfach durch Bürokratieentschlackung reduziert oder beseitigt werden. Doch dafür scheint der Wille zu fehlen.“

Der Präsident der Wiener Ärztekammer, Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres: „Die bisher heftigen Reaktionen seitens der verantwortlichen Politiker und Kassenfunktionäre haben jedenfalls gezeigt, wie wichtig es ist, die Bevölkerung entsprechend zu informieren. Die Ärzteschaft hat die moralische Verpflichtung, die Patienten rechtzeitig zu warnen!“

Das Hickhack zwischen Ärztekammer und Steuerungsgruppe wird wohl noch länger andauern. Im Zuge der Aktion gegen die geplante Gesundheitsreform hatte die Österreichische Ärztekammer für den 5. Dezember 2012 einen österreichweiten Aktionstag ausgerufen, in dessen Rahmen die Bevölkerung intensiv über die drohende Verschlechterung im Gesundheitswesen informiert wurde. Es wurden großflächige Inserate in mehreren Tageszeitungen geschaltet sowie Flugblätter an die Bevölkerung verteilt und in den Ordinationen aufgelegt.

Unstimmigkeiten in der Ärzteschaft

Mittlerweile dürften sich die Bundesländer bezüglich des Vorgehens gegen die Gesundheitsreform nicht einig sein. Nicht am Aktionstag betei
ligt hat sich die NÖ Ärztekammer. Reisner: „Das bedeutet nicht, dass wir keine Bedenken gegen die geplante Reform haben, mit der Form des Protestes sind wir aber nicht einverstanden.“
Am 13. und 14 Dezember hält die Österreichische Ärztekammer ihren Kammertag und ihre ordentliche Vollversammlung ab. Dabei soll über weitere Protestmaßnahmen entschieden werden.