Halten die Parteien Wort?

„Keine Stellungnahme möglich“

„10 Punkte für ein gesünderes Österreich“ hieß unsere Befragungsaktion (siehe Kasten) im Wahlkampf. Die Vertreter der sechs größten Parteien nahmen zu den wichtigen Problemen im heimischen Gesundheitssystem Stellung. Die Antworten der Parteien waren vollmundig – vieles werde man für die Gesundheit der Bevölkerung tun. Doch was ist jetzt, nach den Nationalratswahlen, davon übrig geblieben? Wir haben bei den möglichen Koalitionspartnern SPÖ/ÖVP nachgefragt, was aus den Versprechungen geworden ist. Beide Parteien lehnten eine Stellungnahme kategorisch ab. Lapidare Antwort: Während der Koalitionsverhandlungen sei keine Stellungnahme möglich.
Werden die Vertreter der Ärzteschaft mit dem Schweigen der Politiker konfrontiert, sehen sie ihre Befürchtungen als berechtigt an. Sie betonen einmal mehr die Wichtigkeit ihrer Forderungen. Für Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer, ist die Entlastung der Spitäler durch einen Ausbau des niedergelassenen Bereichs vorrangig: „Zur Sicherung der wohnortnahen Versorgung braucht Wien 300 zusätzliche Arztpraxen mit Kassenvertrag, in ganz Österreich sind es 1.300. In Wien wurden in den vergangenen zehn Jahren 66 Ordinationen ersatzlos gestrichen. Man muss die Gesundheitspolitiker offensichtlich immer wieder daran erinnern, dass sie die Entlastung der Spitäler und der Ausbau des extramuralen Bereichs als erklärtes Ziel genannt haben. Stattdessen geben aber die Krankenkassen viele Kassenstellen nicht frei, weil sie das Geld dafür nicht haben oder nicht ausgeben wollen.“
Besonders in Wien seien die Kassen in einer finanziell misslichen Lage, die zum Teil demografische Ursachen habe: „Es gibt eine steigende Lebenserwartung, immer mehr Pensionisten, immer mehr Arbeitslose, immer weniger Selbstversicherte und dafür immer mehr Mitversicherte, und die Kassen können sich deshalb finanziell nicht erholen. Weil die Kassen keinen Spielraum haben und sich zu einem Sparkurs verpflichtet sehen, sind die Verhandlungen oft so schwierig. Aus Patientensicht bedeutet das, dass in manchen Bereichen Versorgungsengpässe entstehen. Aus Ärztesicht bedeutet es zum Beispiel, dass wir im November mit der Wiener Gebietskrankenkasse noch immer keine Erhöhungen für das laufende Jahr ausverhandeln konnten. Würden die Gewerkschaften das mit den Dienstnehmern auch so machen, hätten wir längst einen Aufstand. Aber die Verhandlungen zwischen Ärztekammer und Kassen laufen, und ich hoffe auf einen baldigen und vernünftigen Abschluss.“

Ignoranz in Versorgungsfragen

Auch Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, meint dazu: „Es werden immer weniger Kassenärztestellen besetzt, weil die Kassen sich viel zu stark an finanziellen Vorgaben orientieren und viel zu wenig am Bedarf der Bürgerinnen und Bürger. Es ist geradezu ein Skandal, dass es eine Reihe medizinische Fächer gibt, nach deren Leistungen zwar eine starke Patientennachfrage besteht, es jedoch keine oder so gut wie keine Ordinationen mit Kassenvertrag gibt. Ganz einfach deshalb, weil die Kassen das so beschlossen haben, und die Patienten haben das Nachsehen. Die Ignoranz in Versorgungsfragen, der wir bei den Kassenverhandlungen immer häufiger begegnen, ist oft verblüffend.“
Für Steinhart ist vor allem die an das Wirtschaftswachstum gebundene und gedeckelte Ausgabensteuerung, die ein Kernstück der so genannten „Gesundheitsreform“ ist, ein rotes Tuch: „Sie gehört ersatzlos gestrichen. Die Realität sieht nämlich so aus: Die Bevölkerung wächst, die Menschen werden älter und brauchen deshalb mehr medizinische Betreuung, moderne medizinisch Diagnose- und Behandlungsmethoden werden immer besser und deshalb auch teurer, und in Zeiten der Wirtschaftskrise nimmt der Druck zu und bestimmte Krankheiten kommen häufiger vor. Dass unser Gesundheitssystem für diesen steigenden Bedarf an Gesundheitsleistungen selbstverständlich mehr Geld braucht, wird wohl jedem einleuchten. Stattdessen bindet die „Gesundheitsreform“ die Ausgaben jedoch an ein derzeit sehr schwaches Wirtschaftswachstum. Damit steht einem steigenden Bedarf an Gesundheitsleistungen also ein tendenziell schwindendes Angebot gegenüber, und der Weg in eine drohende Mangelverwaltung ist vorgezeichnet. Gespart werden sollte jedoch in der Gesundheitspolitik nicht auf dem Rücken, sondern ausschließlich zu Gunsten der Patienten. Es gibt ausreichend Sparpotenziale, die nicht auf Kosten Kranker gehen.“
Und was passiert, wenn es wirklich zu einem „Hausarztsterben“ kommt? Szekeres: „Das würde sich fatal auf die Versorgungsqualität auswirken. Dann blieben als Ausweg nur die Spitalsambulanzen, und die sind jetzt schon hoffnungslos überfordert!“ Auch Steinhart sieht ohne niedergelassene Allgemeinmediziner eine drastische Minderversorgung von Patienten: „Fällt der Hausarzt als medizinische Bezugsperson weg, bedeutet das einen empfindlichen Verlust an Behandlungsqualität. Außerdem wäre der niedrigschwellige und unkomplizierte Zugang zu medizinischen Leistungen im wohnortnahen Bereich nicht mehr gegeben. Das gilt für die Städte, aber noch viel mehr für ländliche Regionen.“

 

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Prävention gefragt

Szekeres betont auch die Wichtigkeit des Themas „Prävention“: „Medizinisch und gesundheitspolitisch prioritär sind außerdem deutlich mehr Maßnahmen zur Prävention, als es in Österreich derzeit gibt. Prävention muss bereits im Kindergarten und in der Volksschule beginnen, mit dem Ziel des Erhöhens der gesunden Lebenserwartung. Das verbessert nicht nur die Lebensqualität, sondern senkt auch die Ausgaben für medizinische Leistungen. Geld in sinnvolle Präventionsmaßnahmen zu investieren, bedeutet intelligentes Sparen. Allerdings gibt Österreich für Prävention derzeit ein Drittel weniger aus als der EU-Schnitt.“
Nun gilt abzuwarten, was die Parteien im Regierungsprogramm ausverhandeln. Ärzte Krone, Kronen Zeitung und Ärzteschaft werden genau beobachten, was aus den Versprechungen der Parteien zum Thema Gesundheit wird.

Wir bleiben am Ball!

 

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10 Punkte für ein gesünderes Österreich

  1. Ausbau der Präventionsprogramme, deutlich aufgewertete Vorsorgeuntersuchungen.
  2. Behandlung von Alkohol-, Nikotin- und Drogensucht durch Zweckwidmung von Alkohol- und Tabaksteuern für die Gesundheit.
  3. Nichtmedikamentöse Therapien wie Physikalische Medizin, Psychotherapie, Logo- und Ergotherapie auf Kassenkosten forcieren.
  4. Österreichweit 1.300 zusätzliche Arztpraxen mit Kassenvertrag, davon 300 in Wien, zur Sicherung und zum Ausbau der wohnortnahen medizinischen Versorgung. Schluss mit dem Haus- und Fachärztemangel!
  5. Ärztinnen und Ärzte müssen mehr Zeit für Beratungsgespräche, also Zuwendungsmedizin haben – weniger Bürokratie!
  6. Sparen nur zu Gunsten der Patienten. Mehr Transparenz in der Gesundheitsverwaltung.
    Orientierung der Gesundheitsausgaben am Bedarf der Menschen und der Bevölkerungsentwicklung, nicht am Wirtschaftswachstum.
  7. Bessere Ausbildungsbedingungen für junge Ärztinnen und Ärzte im Interesse der Patienten. Förderung von Lehrpraxen für Jungmediziner.
  8. Einhaltung gesetzeskonformer Arbeitszeiten in Spitälern für mehr Patientensicherheit.
  9. Schaffung bzw. Ausbau von Hausarzt- und Pflegemodellen zur Betreuung chronisch Kranker,z.B. ausreichende Finanzierung der 24-Stunden-Betreuung.
  10. Praxisgerechte elektronische Datenvernetzung zur Optimierung der Patientenversorgung ohne Bürokratie-Lawine. Selbstbestimmung der Patienten über ihre Gesundheitsdaten. Mitspracherecht der Ärztinnen und Ärzte bei der Umsetzung.