Hindernisse in der kardiologischen Versorgung abbauen

Sie sind seit Ende Mai der neue Präsident der ÖKG. Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?

Peter Siostrzonek: Da gibt es mehrere Themen und Projekte, die mir am Herzen liegen und die unserer Aufmerksamkeit bedürfen. In erster Linie glaube ich, dass wir wieder eine stärkere Bewusstmachung der Herzmedizin in der österreichischen Bevölkerung brauchen. Dies beginnt bei der Vermeidung von Risikofaktoren, die zum Herzinfarkt, aber auch zur Herzinsuffizienz führen, wobei gerade die Herzinsuffizienz als Krankheitsbild mit schlechter Prognose viel zu wenig Beachtung findet. Auch über die Bedeutung der Behandlung verschiedener Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern sollte verstärkt informiert werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Verankerung der kardiologischen Ausbildung auf all ihren Ebenen: vom Studium bis hin zur Spezialisierung.

Was ist bei der Ausbildung konkret zu tun?

Seit vergangenem Jahr wird nach Absolvierung der Ausbildung zum Sonderfach Kardiologie erstmals auch eine Abschlussprüfung vom Gesetzgeber verlangt. Hier ist es unsere Aufgabe, Fragen vorzubereiten, Prüfer zu rekrutieren und für einen guten Ablauf zu sorgen.
Neu sind auch die geplanten Curricula zur weiteren kardiologischen Spezialisierung in den Bereichen Herzinsuffizienz, interventionelle Kardiologie, Rhythmologie, Elektrophysiologe und Bildgebung.
Die ÖKG wird deren Etablierung in den nächsten Jahren vorantreiben, um die Qualität der kardiologischen Versorgung zu fördern. Das Curriculum Herzinsuffizienz wurde von der ÖKG bereits approbiert – nun geht es in die Umsetzung. Ärzte, die ein Curriculum zur Spezialisierung machen, werden nicht nur im eigenen Krankenhaus ausgebildet, sondern werden auch in Rehabilitations- oder Interventionszentren einen Teil ihrer Ausbildung absolvieren. Entsprechende Rotationen im Rahmen der zweijährigen Spezialisierung müssen noch organisiert und umgesetzt werden.

Die ÖKG vertritt als Fachgesellschaft eine große Gruppe von Ärzten mit verschiedenen Bedürfnissen. Wie gut gelingt das?

Etwa zwei Drittel der Kardiologen sind aktive Mitglieder, das letzte Drittel würden wir gerne noch abholen, indem wir aufzeigen, dass die Zusammenarbeit in der ÖKG Sinn ergibt und man gemeinsam viel erreichen kann. Vor allem die Motivation der jungen Kollegen möchten wir steigern – für Wissenschaft, für Weiterbildung und für aktives Engagement. Als ÖKG unterstützen wir sie dabei mit Stipendien, Beratung, regelmäßigem Austausch und Fortbildungsaktivitäten auch in Zusammenarbeit mit der europäischen Gesellschaft, der ESC.
Die Vertretung gegenüber Behörden und Gesetzgeber als große Fachgesellschaft und Standesvertretung ist ebenfalls eine wichtige Rolle, nicht nur für die klinischen, sondern auch für die niedergelassenen Kardiologen. Letztere sind in der ÖKG sowohl über eine Arbeitsgruppe als auch durch eine niedergelassene Kollegin im Vorstand vertreten.

Wie zufrieden sind Sie mit der kardiologischen Versorgung im niedergelassenen Bereich?

Der europäische Trend geht dahin, dass weniger stationär und mehr ambulant beziehungsweise im niedergelassenen Bereich behandelt wird. Die Rolle der niedergelassenen Kardiologen wird also an Bedeutung gewinnen. Im Burgenland gibt es aktuell keinen einzigen niedergelassenen Kassen-Kardiologen, und auch in anderen Regionen fehlen sie. Zudem gibt es im Bereich der Refundierung noch einige Hürden zu überwinden: Schrittmacherkontrollen, die von niedergelassenen Kollegen sehr gut gemacht werden könnten, aber im niedergelassenen Bereich nicht vergütet werden, bleiben vorerst weiterhin Aufgabe der Spitalsambulanzen – und das ist nur eines von mehreren Beispielen. Vonseiten der ÖKG gibt es hier einiges zu tun, um die Arbeit der niedergelassenen Fachärzte zu fördern und zu unterstützen und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit den kardiologischen Zentren zu verbessern.

Welche Rolle übernimmt Ihrer Meinung nach der Allgemeinmediziner in der Versorgung kardiologischer Patienten?

Patienten mit kardiologischen Problemen werden häufig zunächst beim Hausarzt vorstellig. Daher ist es besonders wichtig, dass die Basiskardiologie in die Ausbildung zum Allgemeinmediziner integriert ist. Es ist uns ein großes Anliegen, dass die praktischen Ärzte fachkompetent sind und bleiben, einerseits bei der Indikationsstellung und Zuweisung, aber auch bei der weiteren Begleitung der Patienten – darum unterstützen wir auch die „Initiative Kardiologie“ so aktiv. Darüber hinaus bieten wir im Rahmen unseres ÖKG-Kongresses jedes Jahr den sogenannten „GP-Track“ an, für den wir mehrere Sitzungen für die Allgemeinmediziner aufbereitet haben. In diesem Jahr wurden darin die Themen Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen und EKG behandelt. Der Zuspruch war wie immer sehr gut. Viele Allgemeinmediziner, aber auch Internisten schließen sich an und nehmen aktiv an den Diskussionen teil.

Die Zielwerte für Blutdruck, Lipide und Glukose sinken stetig – für wie sinnvoll halten Sie die Anpassungen?

Guidelinekonforme Zielwerte haben einen fundierten wissenschaftlichen Hintergrund und dienen als Orientierung für Arzt und Patient bei der individuellen Therapieentscheidung, denn ein gewisser therapeutischer Spielraum muss bleiben. Wir kämpfen allerdings mit dem Problem, dass Guidelines und Realität nicht selten weit auseinanderklaffen. Das ist einerseits der therapeutischen Trägheit von Arzt und Patienten und andererseits der mangelnden Erstattungsfähigkeit mancher Medikamente – etwa von gewissen Lipidsenkern – zuzuschreiben. Die häufige Kritik, dass die Zielwertanpassungen durch die Pharmaindustrie getriggert sind, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Gerade Blutdruckmedikamente sind preislich in der untersten Kategorie angesiedelt. Es ist bewiesen, dass ein niedriger Blutdruck und niedrige Lipidwerte mit einem besseren Outcome verbunden sind. Alle gegenteiligen Berichte sind schädlich, da sie Patienten, die ohnehin schon schwer zu motivieren sind, noch zusätzlich verunsichern.

Welchen Stellenwert hat die Primärprävention in der Kardiologie, und wie realistisch ist es, sie auch umzusetzen?

Der Wert der Primärprävention wird weiterhin unterschätzt. Die Risikofaktoren sind mittlerweile alle sehr gut bekannt und haben auch sehr gute medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Wir wissen also, was wir tun sollten. Trotzdem werden diese Maßnahmen nicht oder zu wenig genutzt, einerseits weil die Wirksamkeit von Lebensstilveränderungen meist unterschätzt wird, und andererseits, weil eine langfristige Verfolgung dieser Ziele mühsam ist. Bei bis zu 50 Prozent der Betroffenen stößt man auf taube Ohren. Die große Frage, wie man die Therapietreue zu präventiven Maßnahmen fördern kann, bleibt nach wie vor bestehen. Digitale Medien können unterstützend hilfreich sein, beispielsweise Apps, die den kalorischen Wert einer Speise abschätzen können, oder auch Fitness-Applikationen. Es wird aber nicht ausreichen, das den Kardiologen und dem Gesundheitspersonal zu überlassen, sondern es braucht legislative Bestimmungen, auch mehr Bewusstseinsschaffung und Erziehungsmaßnahmen in der Schule – denn Erwachsene zu erziehen ist schwierig.

Wenn Sie etwas an der kardiologischen Versorgung in Österreich ändern könnten, was wäre das?

Insgesamt gesehen entspricht die kardiologische Versorgung hierzulande dem europäischen Standard. Ich würde mir wünschen, dass die Kardiologie wieder vermehrt ins Bewusstsein der Bevölkerung rückt, dass sie auch bei den Geldgebern mehr im Vordergrund steht und man bestehende Hindernisse in der Patientenversorgung abbaut und die Verfügbarkeit von niedergelassenen Kardiologen zunimmt. Immerhin sind Herzerkrankungen immer noch die häufigste Todesursache.