Hormonersatztherapie: Nutzen überwiegt Risiko

Vor etwas mehr als 15 Jahren hat die breite Veröffentlichung der WHI-Studie (Women’s Health Initiative)1 nicht nur die Anwenderinnen, sondern auch die Hormontherapie verschreibenden Ärzte verunsichert, sodass die Studie letztlich zu einer Trendwende geführt hat. Die Ergebnisse zeigten völlig unerwartet, dass die kombinierte HRT mit konjugierten Östrogenen und einem synthetischen Gestagen (MPA, Medroxprogesteronacetat) die Rate an kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall signifikant steigert. Darüber hinaus bestätigte sie eine bereits aus Metaanalysen bekannte Tatsache, nämlich dass die Kombinationstherapie mit MPA das Risiko für ein Mammakarzinom nach 4–5 Jahren leicht, aber statistisch signifikant erhöht.1

In der Zwischenzeit wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die diese Ergebnisse relativieren: Nach einer rezenten Publikation eines Autors der WHI-Studie wurde darüber hinaus evident, dass die Ergebnisse der WHI-Studie fehlinterpretiert wurden: 70 % der einbezogenen Frauen waren bei Beginn der HRT bereits über 60 Jahre alt und hätten aufgrund fehlender menopausaler Beschwerden (lediglich 10 %) sowie bestehender Vorerkrankungen und Risikofaktoren wie Übergewicht, Hypertonie oder Nikotinabusus keine HRT erhalten sollen.2 Die Ergebnisse bei diesem älteren Kollektiv wurden jedoch auf alle, auch jüngere postmenopausale Frauen umgelegt.

Rezentere Publikationen, Leitlinien und Expertenmeinungen kommen heute zu dem Schluss, dass bei frühem Therapiebeginn – idealerweise innerhalb der ersten Zeit nach der Menopause – bei differenzierter Indikationsstellung und Berücksichtigung der individuellen Beschwerden – und auch des Risikoprofils – eindeutig der Nutzen der HRT gegenüber potenziellen Risiken überwiegt. Bei HRT-Anwenderinnen ist darüber hinaus die Gesamtmortalität niedriger als ohne Hormontherapie.3

Auch das im Jahr 2016 veröffentlichte Konsensuspapier, herausgegeben von der Österreichischen Menopausegesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Endokrinologie, fasst den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Thema zusammen und soll Ärzte in der Praxis dabei unterstützen, die richtige, für die jeweilige Patientin individuelle Therapie zu erstellen.4

Nutzen und Risiken

Das kardiovaskuläre „Window of Opportunity“ beschreibt die Hypothese einer vorteilhaften Wirkung auf die Herz-Kreislauf-Situation beim Beginn der HRT vor dem 60. Lebensjahr oder in den ersten zehn Jahren nach der Menopause. Bei frühzeitigem Beginn kann demnach die Bildung von Arteriosklerose-Herden verzögert oder gar verhindert werden, was klinisch zu einer Reduktion von Myokardinfarkten und Schlaganfällen führen kann. Dies konnte beispielsweise in einer Metaanalyse gezeigt werden, in der es bei Frauen, die innerhalb der ersten zehn Jahre nach der Menopause behandelt wurden, zu einer Verringerung des Auftretens von koronaren Herzkrankheiten und einer Reduktion der Gesamtmortalität kam.3 Das in der WHI-Studie verwendete MPA stellte sich weiters als eines der ungünstigsten Gestagene für die Kombinationstherapie heraus, da es die vielen kardioprotektiven Effekte des Östrogens teilweise aufhebt oder sogar ins Gegenteil verkehrt.
Bei einem frühzeitigen Einsatz einer HRT kommt es über die Besserung der klimakterischen Beschwerden und einer Senkung des kardiovaskulären Risikos hinaus auch zu einem positiven Effekt auf die Osteoporose sowie das Kolonkarzinom.5

Osteoporose: Die HRT ist aufgrund ihrer prophylaktischen Wirkung als Second-Line-Therapie der Osteoporose zugelassen und insbesondere bei Frauen mit erhöhtem Risiko vor dem 60. Lebensjahr oder innerhalb von zehn Jahren nach der Menopause wirksam und angebracht. Bei frühzeitiger Beendigung einer HRT kommt es nach etwa zwei Jahren wieder zu einem Anstieg von Fragilitätsfrakturen inklusive Hüftfrakturen. Ein unbegründetes Absetzen sollte daher vermieden werden.4

Mammakarzinom: Das mit HRT assoziierte Brustkrebsrisiko ist ein komplexes Thema und hängt in erster Linie von individuellen Risikofaktoren und dem Lebensstil ab. Übermäßiger Alkoholgenuss (mehr als zwei Einheiten pro Tag) und mangelnde körperliche Betätigung können zu einem erhöhten Brustkrebsrisiko führen, während die absolute Risikoerhöhung durch eine HRT als gering einzustufen ist.6 Die Wahl des eingesetzten Gestagens ist offenbar entscheidend, wie die WHI-Studie mit dem synthetischen Gestagen MPA gezeigt hat. MPA, das heute nicht mehr in HRT-Präparaten enthalten ist, führt zu einer starken Proliferation im Brustgewebe und erhöht dadurch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Mammakarzinoms. Große Kohortenstudien haben hingegen gezeigt, dass reine Progesteron-Derivate und Dydrogesteron offenbar mit einem niedrigeren oder sogar keinem Brustkrebsrisiko verbunden sind.7, 8 Die derzeitige Datenlage spricht aber gegen den Einsatz einer HRT, wenn eine Frau bereits an Brustkrebs erkrankt ist oder war.4

Thromboembolie: Ein leicht gesteigertes Risiko für venöse Thromboembolien bei oraler HRT muss beachtet werden, wobei die absoluten Zahlen als gering einzustufen sind. Neben der Dosierung, ist das Ausmaß des Risikos auch von der Applikationsart und dem Gestagentyp abhängig, wie in einigen Studien gezeigt werden konnte. Das ist einer der Gründe, warum heute bevorzugt natürliches Östradiol und möglichst stoffwechselneutrales Progesteron verabreicht werden – oral oder transdermal.9

Gestagene und Östrogene

Metaanalysen haben gezeigt, dass die Mortalitätsrate bei HRT mit natürlichen Steroidhormonen im Vergleich zu keiner HRT geringer ausfiel. Auch hinsichtlich Kardioprotektion ist die Kombination von Östradiol mit natürlichem Progesteron oder Dydrogesteron dem Einsatz von synthetischen HRT-Regimen vorzuziehen: In entsprechenden Studien konnte die Verzögerung der Atherosklerose mit den natürlichen Wirkstoffen gezeigt werden.3 Zumeist wird eine vom Gynäkologen für die Patientin individuell ausgewählte Kombination von transdermalem oder oralem Östradiol und einem natürlichen mikronisierten Progesteron/Dydrogesteron verschrieben. Fixkombinationen stehen als Tabletten und transdermale Pflaster zur Verfügung.

Phytoöstrogene, für die mittlerweile umfangreiche Studien vorliegen, sind in erster Linie bei Hitzewallungen gut wirksam. Die pflanzlichen Östrogene setzen am selben Rezeptor wie die Östrogene der HRT an und sollten daher nicht ohne Rücksprache mit dem behandelnden Gynäkologen angewendet werden. Wissenschaftliche Untersuchungen zur gleichzeitigen Einnahme von HRT und Phytoöstrogenen liegen jedoch nicht vor.

Indikationsstellung

Die HRT stellt die effizienteste Therapie bei Hitzewallungen und Schweißausbrüchen, urogenitalen und psychischen Symptomen des klimakterischen Syndroms dar. Bei Frauen mit einer vorzeitigen ovariellen Insuffizienz – und ohne Kontraindikation für eine HRT – wird die systemische Hormontherapie zumindest bis zum 52. Lebensjahr ausdrücklich zur Prophylaxe des kardiovaskulären Risikos und insbesondere zur Osteoporose- und Frakturprävention empfohlen. Das Alter („Window of Opportunity“) und das individuelle Risikoprofil bestimmen, ob eine HRT gerechtfertigt ist.4 Venöse und arterielle Thromboembolien sind Kontraindikationen für die HRT.

 

Tipps für die Praxis:
  • Die Verordnung der HRT sollte individuell und von einem erfahrenen Facharzt für Gynäkologie gestellt und kontrolliert werden. Die zusätzliche Einnahme von Phytoöstrogenen sollte nur in Absprache erfolgen.
  • Die Indikation für eine HRT liegt bei vasomotorischen, urogenitalen und psychischen Symptomen des klimakterischen Syndroms sowie zur Prävention der Osteoporose und konsekutiver Fragilitätsfrakturen vor.
  • Zu den Kontraindikationen zählen venöse und arterielle Thromboembolien und gegebenenfalls ein Zustand nach Mammakarzinom.
  • Notwendige Begleitmaßnahmen bei HRT sind: Gewichtsreduktion, Nikotinabstinenz, lediglich moderater Alkoholkonsum und regelmäßige Bewegung
  • Möglicher zusätzlicher Nutzen der HRT: Risikoreduktion für Osteoporose, kolorektales Karzinom und kardiovaskuläre Erkrankungen, wobei hier das sogenannte „Window of Opportunity“ in den ersten postmenopausalen Jahren zu beachten ist.
  • Wechselwirkungen: Der Abbau von Östrogenen kann durch die gleichzeitige Gabe von Substanzen, die eine induzierende Wirkung auf arzneimittelmetabolisierende Enzyme, insbesondere auf Cytochrom P450 haben, beschleunigt werden. Hierzu gehören insbesondere Antikonvulsiva (zum Beispiel Barbiturate, Carbamazepin, Phenytoin) und Antiinfektiva (zum Beispiel Rifabutin, Rifampicin, Efavirenz, Nevirapin) sowie Johanniskraut-Präparate (Hypericum perforatum). Umgekehrt kann der Metabolismus von Estradiol durch die gleichzeitige Gabe von CYP3A4-Inhibitoren gehemmt werden (Azol-Antimykotika, Cobicistat und Makrolid-Antibiotika).

Nach: Österreichisches Konsensuspapier Hormonersatztherapie, 20164

 

 

Literatur

1 WHI Writing Group, JAMA 2002; 288:321–333

2 Langer RD, Climacteric 2017; 20(2):91–96

3 Boardman HMP et al., Cochrane Database of Systematic Reviews 2015(3), Art. No.: CD002229

4 „Österreichisches Konsensuspapier Hormonersatztherapie“ der Österreichischen Menopausegesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Endokrinologie; MEDahead-Consensus-Update, April 2016

5 Lobo RA et al., Atherosclerosis 2016; 254:282–290

6 Tao XY et al., Effect of primary ovarian insufficiency and early natural menopause on mortality: a meta-analysis, Climacteric 2016; 19(1),27–36

7 Fournier A et al., Breast Cancer Res Treat 2008; 107:103–11

8 Lyytinen H et al., Obst Gyn 2009; 113:65–73

9 de Villiers TJ et al., Climacteric 2013; 16:316–337