INITIATIVE Bewegungsapparat: Epiphysiolysis capitis femoris – ein orthopädischer Notfall

Übersicht

Die Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) gilt als so genannter „orthopädischer Notfall“. Der Abrutsch der proximalen Femurepiphyse, der typischerweise männliche Jugendliche mit erhöhtem Body Mass Index betrifft, führt neben akuten Beschwerden wie Hinken, Bewegungseinschränkung und Schmerzen zu sekundären Deformitäten am Hüftkopf. Die notfallmäßige Akutbehandlung dient in erster Linie der Stabilisierung der Epiphyse und der Sicherung der Hüftkopfdurchblutung. Nach erfolgreicher Behandlung der Akutsymptomatik kann es durch Formveränderungen im Hüftkopfbereich zu Impingement-Symptomen (CAM-Impingement) kommen, die zu Labrum- und Knorpelschäden führen. Das zunehmende Wissen um die Entität des Hüftgelenk-Impingements hat die Behandlungsstrategien der Epiphysiolysis capitis femoris in ein neues Licht gerückt. Die anatomische Wiederherstellung des Hüftkopfes gewinnt gegenüber In-situ-Fixierung oder extraanatomischen Korrekturosteotomien zunehmend an Bedeutung. Andererseits sind aggressivere chirurgische Verfahren mit einem erhöhten Risiko einer Hüftkopfnekrose (HKN) verknüpft.

Klassifikationen

Die ECF wird nach der Dauer der Symptome in akut, chronisch oder akut-auf-chronisch eingestuft. Eine andere Einteilung beurteilt die Funktion und unterscheidet stabile von instabilen ECF. Im Hinblick auf die Morphologie wird der Schweregrad des Abrutschens klassifiziert: bis 30° mild, 30–50° moderat, mehr als 50° schwer. Bei der Auswahl des Behandlungsverfahrens kann nicht eine Klassifikation alleine herangezogen werden. Vielmehr müssen alle Faktoren gemeinsam berücksichtigt werden um Zeitpunkt und Art der Operation festzulegen.

Behandlungsstrategien

Der „Notfalleingriff“: Ziel ist das Erreichen einer stabilen Situation. Ein instabiler Abrutsch muss möglichst rasch stabilisiert werden, um ein weiteres Abrutschen zu verhindern und die Hüftkopfdurchblutung abzusichern. Dies wird durch In-situ-Pinning oder Verschraubung erreicht. Eine kurze Dauer der Beschwerden und ein hohes Ausmaß der Bewegungseinschränkung sind Hinweise für eine instabile und akute Situation. Im Röntgenbild (Lauensteinaufnahme) wird der Abrutschwinkel ausgemessen, er gibt jedoch keinen Hinweis auf die Stabilität. Die MRT kann Zusatzinformationen liefern. Beispielsweise deutet eine Kallusbildung eher auf eine chronische Situation hin. Ein Hämarthros gibt Hinweis auf ein akutes Geschehen. Eine Gelenkpunktion (evtl. intraoperativ) kann hier zielführend sein.
Behandlung der Hüftkopfdeformität: Jede ECF – auch jene mit mildem oder moderatem Abrutsch – führt zu einer Veränderung der Hüftkopfform mit sekundärem Impingement. Es ist jedoch bekannt, dass der jugendliche Hüftkopf über ein erhebliches Remodellierungspotenzial verfügt. Dies gilt vor allem für Mädchen jünger als zehn und Jungen jünger als zwölf Jahre. In einer Langzeitstudie von Carney et al. zeigten Hüften, die mit In-situ-Pinning versorgt wurden, die besten Resultate bzgl. Komplikationen sowie Funktion und Arthroserate, unabhängig vom Schweregrad des Abrutsches.
Parsch et al. schlagen für instabile hochgradige Abrutsche eine offene Reposition über einen anterolateralen Zugang vor. Über eine Kapsulotomie wird mit dem Finger die instabile Epiphyse reponiert („gentle reduction“). Diese Methode eignet sich jedoch nur für akute und instabile ECF.
Bei chronischen ECF, die bereits stabil sind, können extraartikuläre Korrekturosteotomien (Southwick, Imhäuser) zu einer Verbesserung der Beweglichkeit führen. Diese Osteotomien haben den Vorteil, dass sie ein relativ geringes Risiko einer HKN haben. Allerdings liegt der Korrekturpunkt fern von der eigentlichen Deformität im Hüftkopfbereich, weshalb die Problematik des CAM-Impingements nicht adressiert wird. Das Risiko der Sekundärarthrose ist damit weiter hoch.
Um eine möglichst anatomische Korrektur zu erreichen, muss die Korrektur im Bereich der Epiphysenfuge erfolgen. Die cuneiforme Schenkelhalsosteotomie (Dunn-Osteotomie) erfolgt über einen anterolateralen Zugang zum Hüftgelenk. Durch Resektion eines Keils im Bereich der ehemaligen Epiphysenfuge kann der Hüftkopf reponiert werden. Allerdings ist dieser Eingriff mit HKN-Raten bis zu 27% assoziiert.

Die modifizierte Dunn-Osteotomie

Basierend auf dem von Ganz entwickelten Zugang zur chirurgischen Luxation des Hüftgelenks hat sich eine neue Möglichkeit zur offenen Reposition von höhergradigen ECF entwickelt. Über eine Trochanter-Flip-Osteotomie kann das Hüftgelenk übersichtlich dargestellt werden. Nach der Kapsulotomie wird der Hüftkopf luxiert. Bei instabilen Situationen wird zuvor eine temporäre Bohrdrahtfixierung empfohlen. Entscheidend ist die Schonung der Gefäße, die die Epiphyse versorgen. Dies gelingt durch die Ablösung des gefäßführenden Periostlappens im Bereich des Schenkelhalses. Während der Operation kann die Durchblutung mit Laser-Doppler kontrolliert werden. Durch vorsichtiges Abtragen des Kallus, der sich im posterioren Schenkelhalsbereich gebildet hat, wird die Epiphyse mobilisiert und in ihre ursprüngliche Position gebracht. Durch Abtragen von Knochen im Schenkelhalsbereich und Distalisierung des Trochanters wird eine relative Schenkelhalsverlängerung durchgeführt, die der Wiederherstellung des Schenkelhals-Offsets dient. Die Epiphyse wird durch Schrauben fixiert. Der Periostlappen darf nur locker adaptiert werden, um ein Abknicken der Gefäße zu vermeiden.
Die bisher größte publizierte Serie von 40 Patienten zeigte hohe Erfolgsraten hinsichtlich Funktionsverbesserung und Wiederherstellung der Hüftkopfform. Im Rahmen der durchgeführten Operationen wurden bei allen Gelenken Knorpel- und Labrumveränderungen festgestellt. Es traten keine HKN auf. In einer Folgearbeit, die 128 Fälle mit einem Follow-up von zwölf bis 108 Monaten überblickt, zeigte sich, dass Knorpel- und Labrumschäden als Folge das CAM Impingements auftreten. In dieser Serie traten drei HKN auf. Bei allen war die Durchblutung bereits zum Zeitpunkt der Kapsulotomie kompromittiert. Eine Korrektur der CAM-Deformität im Rahmen der chirurgischen Therapie der ECF wird empfohlen.
An unserer Abteilung wird die Indikation zur offenen Epiphysenreposition nach der modifizierten Dunn-Technik kritisch gestellt. Es werden hochgradige ECF mit Abrutschwinkeln von mehr als 45° mit diesem Eingriff behandelt. In allen Fällen erfolgt zusätzlich zur Röntgenabklärung eine präoperative Abklärung mit MRT, um bereits vorhandene Durchblutungsstörungen auszuschließen. Weiters hilft die MRT ein besseres dreidimensionales Verständnis für die Deformität zu bekommen. Die Korrektur gelang bisher in allen Fällen zufrieden stellend und führte zu einer deutlichen Funktionsverbesserung. Bisher traten keine Hüftkopfnekrosen auf.

 

Abb_1

 

Abb_2

 

Zusammenfassung

Die Epiphysiolysis capitis femoris muss rasch erkannt und behandelt werden. Die Therapie ist immer chirurgisch und muss als „Notfalleingriff“ durchgeführt werden. Ziel ist das Erreichen einer stabilen Situation. Sekundäre Deformitäten müssen durch Korrekturosteotomien behandelt werden. Bei hochgradigen Abrutschen kann die offene Reposition der Epiphyse als primärer Eingriff geplant werden. Allerdings muss der Stellenwert der offenen Reposition der Epiphyse bei der ECF weiterhin kontrovers diskutiert werden. Die Evidenz ist limitiert und Langzeitergebnisse sind ausständig. Die derzeitige Datenlage erlaubt jedoch festzustellen, dass die Hüftkopfdeformität zum CAM-Impingement führt und damit verantwortlich für Knorpel- und Labrumschäden ist. Bei instabilen und höhergradigen Abrutschformen ist die offene Epiphysenreposition ein erfolgreicher Eingriff, der einerseits die Gelenkfunktion wiederherstellt und andererseits das Potenzial hat, Sekundärschäden an Labrum und Knorpel gering zu halten. Die Operation sollte spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben.

 

Literatur bei den Verfassern