Klimawandel wird zur medizinischen Herausforderung

Überraschende Ergebnisse einer Ärzte Krone-Umfrage in Zusammenarbeit mit dem Newsportal RELATUS MED: 81,2 % der Leserinnen und Leser fürchten bereits gesundheitliche Folgen des Klimawandels. Nur 17,5 % halten das Thema für Panikmache, und 1,3 % haben dazu keine Meinung. Diese Einschätzung hat auch reale Konsequenzen: Für 62,1 % ist Klimaschutz in der Ordination bereits Thema. Knapp mehr als die Hälfte bezieht ihren Strom aus erneuerbaren Energiequellen.

Fehlende Notfallpläne

Wie dramatisch sich Klimaentwicklungen auswirken können, haben etwa die Überflutungen in Deutschland gezeigt. Betroffen war auch die Gesundheitsversorgung vor Ort. Die deutsche Apothekerkammer meldet etwa, dass mindestens 65 Apotheken zerstört wurden. Die heimische Apothekerkammer sieht sich für derartige Ereignisse im Hinblick auf die Versorgung mit Medikamenten gerüstet. Ähnliches hört man vom Arzneimittelgroßhandel: „Unsere Mitglieder sorgen mit ihren 23 Lagerstandorten dafür, dass jedes Arzneimittel binnen zwei Stunden am richtigen Ort, in der richtigen Qualität und in der richtigen Menge verfügbar ist. Bei einem topografisch schwierigen Land wie Österreich ist das mitunter eine echte Herausforderung“, sagt Andreas Windischbauer, Präsident des Großhandelsverbandes PHAGO, zur Ärzte Krone. Die niedergelassenen Ärzte sehen sich allerdings noch zu wenig in Notfallpläne eingebunden. „Der Ärztekammer sind keine Notfallpläne bekannt, ergo sind wir auch nicht in etwaige Pläne eingebunden“, heißt es aus der Österreichischen Ärztekammer. Niedergelassene Ärzte vor Ort müssten somit im Fall einer Katastrophe individuell reagieren. Allerdings sind sie auch immer eng mit lokalen Behörden und Einsatzorganisationen vernetzt.
Ein anderes Thema sind die gesundheitlichen Folgen von Hitzewellen, vor denen Ärzte warnen. Denn Hitzewellen ereignen sich nicht nur etwa rund um das Mittelmeer, sondern auch österreichweit mit zunehmender Intensität und Dauer. Und sie stellen eine außergewöhnliche Belastung für das Gesundheitssystem, dicht bebaute Gebiete sowie die dort wohnenden Menschen dar. „Besonders für vulnerable Personengruppen, wie Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, sind Hitzewellen eine große Gefahr. Der Hitzestress wirkt sich aber auf uns alle aus. Das Herz-Kreislauf-System ist stark belastet, die körperliche, aber auch die geistige Leistungsfähigkeit sinkt. Damit nehmen auch Gereiztheit, Aggressivität und Unkonzentriertheit zu“, erläutert Univ.-Doz. Dr. Hans-Peter Hutter, Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie und Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Und weiter: „Die Auswirkungen der Hitze werden nach wie vor unterschätzt.“ Dass etwa durch die Auswirkungen von Hitze auf den menschlichen Körper in weiterer Folge auch das Unfallrisiko erhöht ist, zeigt ein Blick auf die Verkehrsunfallstatistik: Liegt die gemessene Tageshöchsttemperatur bei 30 Grad Celsius oder darüber, ereignen sich im Verhältnis zu Tagen mit 20 bis 25 Grad um 73 % mehr Verkehrsunfälle mit Personenschaden, diese mit 69 % mehr Verletzten und 57 % mehr Todesopfern. Besonders gefährlich wird die Hitze für „Einspurige“: Die Zahl der Fahrradunfälle ist mehr als dreimal so hoch, die der Motorradunfälle fast sechsmal, erklärt Armin Kaltenegger, Leiter des Bereichs Eigentumsschutz im KFV.

Ärztekammer will LKW-Verkehr bremsen

„Corona hat noch einmal verdeutlicht, dass Gesundheit unser wertvollstes Gut ist“, sagt Dr. Heinz Fuchsig, Referent im Umweltmedizinreferat der Österreichischen Ärztekammer. Er verweist darauf, dass Abgase durch Dieselverbrennung deutlich mehr Gesundheitsschäden hervorrufen als jene durch Benzin: „Nur etwas mehr als die Hälfte der LKW und weniger als die Hälfte der Baumaschinen haben Partikelfilter“, kritisiert er. Die Schweiz habe dieses schwerste Luftschadstoffproblem schon 2015 durch die Einführung einer Partikelfilterpflicht für Baumaschinen gelöst – aus wirtschaftlichen Gründen. Denn die Abgase schaden durch höhere Krankenstände vor allem der Wirtschaft, betont Fuchsig. „Letztlich bezahlt jeder von uns die Verbrennung von Treibstoffen mit einer schlechteren Gesundheit.“ Er fordert die Abschaffung des Dieselprivilegs: „Eine höhere Besteuerung von Treibstoffen und insbesondere von Diesel ist für unsere Gesundheit und den Erhalt der Lebensgrundlage praktisch unverzichtbar.“ Die zusätzlichen Einnahmen durch die höhere Besteuerung von Treibstoffen und insbesondere Diesel sollten den Kranken- und Pensionskassen zugutekommen, fordert Fuchsig.

Mückstein startet Kompetenzzentrum

Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein (Grüne) möchte nun im Rahmen des Schwerpunkts „Gesundheitsförderung 21+“ ein eigenes Kompetenzzentrum „Gesundheit und Klimaschutz“ installieren. „Die Klimakrise beeinflusst unsere Gesundheit und die Qualität unseres Lebens immer stärker. Deshalb ist Klimaschutz auch eine Maßnahme zur Gesundheit der Menschen“, hielt er in einer von der bundeseigenen Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) verbreiteten Medienmitteilung fest. Klimaschutz, Klimawandelanpassung und Gesundheitsförderung müssten Hand in Hand gehen. Mückstein will deshalb den Themen Umwelt und Klimawandel hohe Priorität einräumen: „Denn Maßnahmen, die auf die Verbesserung der Gesundheit abzielen und als Nebeneffekt auch zum Klimaschutz beitragen, sind in doppeltem Sinn gesundheitsförderlich.“ Mit dem neuen Kompetenzzentrum sollen mittel- und langfristig Strategien initiiert, Umsetzungs- und Forschungsaktivitäten angestoßen und die intersektorale Zusammenarbeit und Vernetzung gefördert werden. Mit der organisatorischen und fachlichen Leitung wurde die GÖG beauftragt. Synergien von Gesundheitsförderung und Klimaschutz sieht Mückstein in den Bereichen Bewegung, Mobilität, Ernährung, nachhaltige Gestaltung öffentlicher Räume, Förderung von Gesundheits- und Umweltkompetenz und Kommunikation zur Sensibilisierung für notwendige Maßnahmen. In Rahmen eines Projektcalls werden vom Gesundheits- und Sozialministerium neun Projekte in sechs Bundesländern mit insgesamt rund 300.000 Euro gefördert.